Besuchte Premiere am 17.08.19
Genuß ohne Reue
Giuseppe Verdis "Nabucco" gehört zu den Opern, die wie wenige geeignet für eine sommerliche "Open-Air"-Aufführung sind. Zwar gibt es eigentlich nur einen Hit, man braucht gar nicht sagen welchen, doch die sehr geradlinige, nicht allzu lange Handlung aus dem Alten Testament machen die Oper prädestiniert dafür. Auf dem Burgplatz erfindet Regisseur Klaus Christian Schreiber nichts neu sondern erzählt die Handlung gerade ohne allzu großen interpretatorischen Schnickschnack: eine Gruppe Antikenausgräber findet eine Tonscherbe im Sand und wie in einem Rollenspiel begeben sich die Personen in ihre Rollen. Corinna Gassauer hat dazu eine werkdienliche Ausstattung entworfen, die ästhetisch mehr als befriedigend ist. Die Arena ist mit Sand gefüllt, aus dem gleichfarbene Podeste nie die Sicht verstellen, eine kleine Verwandlung führt aus dem Jerusalem des Beginns in das kulturell höherstehende Babylon, das Ischtar-Tor hat mit seinen leuchtenden Blautönen inspiriert. Die Protagonistenkostüme erinnern an die Vorantike und gefallen in ihren Rot-Blau-Beige-Farben, Nabuccos Auftritt zu Pferde ist dann richtiges "Großes Kino", einzig der Götze stört im jüdischen Anfangsakt, da sollte er noch verhüllt sein. Als besonders schöne Lösung gefällt mir die Lösung des Chorproblems. Wieso Chorproblem mögen Sie denken? Verdis erster Erfolg ist in erster Linie eben eine Choroper, in der zwei Völker, die Juden und die Babylonier, aufeinandertreffen; es bräuchte also eigentlich zwei große Chöre. Eine Anzahl von Sängern, die selbst der große Opern-und Extrachor des Braunschweiger Staatstheaters nicht aufbrächte, zumal für eine Freilichtaufführung, das meine ich jetzt nicht vom musikalischen Punkt her. Die Lösung der "Zwei-Seiten-Kostüme" finde ich absolut gelungen, denn jeder Mensch trägt eine Opfer- und eine Unterdrückerseite in sich. So sind die Chorkostüme von einer Seite beige und schlicht für das jüdische Volk, von der anderen in prunkvollen Blautönen ( mit halben Bärten für die Männer) für die Babylonier.
Bleiben wir gleich bei den Chören, denn die Chorleiter, Georg Menskes und Johanna Motter, haben mit den Sängern wirklich tolle Arbeit geleistet, von fast geflüstertem Piano bis ins schallende Forte, immer präsent und wohlklingend. "Va pensiero" habe ich nun wirklich schon oft von vielen guten Opernchören gehört, die versuchten den doch recht abgedudelten Ohrwurm durch feinste Interpretierung neu hören zu lassen. Ich weiß eigentlich nicht was die Braunschweiger da so anders gemacht haben, doch so schön habe ich das lange nicht gehört, eine wirklich ergreifende Darbietung und ein Höhepunkt des Abends. Auch Srba Dinic am Pult des Staatsorchesters hat eine eindringliche Interpretation dirigiert, schon die Ouvertüre klang für "Nabucco" ungewohnt lyrisch und feinnervig mit vielen hörbaren Orchesterstimmen, in den Finali lies er es dann wieder ordentlich "knallen", manchmal fast ein wenig zu schnell. Doch wird hier auch für das Burgplatz-Open-Air eine sehr differentierte Arbeit geliefert.
Ivan Krutikov in der Titelpartie war ein sehr charismatischer Nabucco, dessen Darstellung sehr aus dem Schauspiel kam, was zu einigen leichten Verismo-Effekten führte, doch in der Preghiera des letzten Aktes zeigt er dann die hohe Schule des Belcanto und einen wirklich ansprechenden, hellklingenden Bariton, mehr davon also auch von Anfang an, würde seine Leistung runden. Die Palme des Abends gebührt eindeutig Yulianna Bawarska als Abigaille, einer wirklich mörderischen Partie, die auch eine Callas schnell ad acta gelegt hatte. Teuflische Sprünge, virtuose Geläufigkeit wechseln mit weiten lyrisch ausschwingenden Gesangsbögen, dramatischer Furor muß mit introvertiertem Pianogesang kombiniert werden, zumal bei einer recht langen Partie. Yulianna Bawarska hat das alles "drauf", die dramatischen Passagen in den großen Ensembles und, was mich immer wieder am meisten beeindruckte, die zarte Zurücknahme in feinste Piani bei starker Spannung in der Charakterzeichnung, eine grandiose Sängerin ! Viva la Diva!
Das die Nebenrollen dabei nicht allzu sehr abfielen, zeugt für die Kompetenz des Ensembles. Jisang Ryu beeindruckte vor allem mit den tiefen, satten Tönen als Zaccaria, die Vokale gerade in den Höhen klängen abgedunkelt noch besser, auch das Legato der Melodiebögen böte noch Luft nach oben. Dorothea Spilgers warmklingender Mezzosopran punktet als Fenena und weiß gegen die allmächtige Abigaille als sympathischer Gegencharakter zu bestehen. Ja, da tut sich Kwonsoo Jeon als Tenorliebhaber zwischen den Königstöchtern schwerer. Seinen eigentlich sehr angenehm klingender Tenor leidet immer wieder unter Intonationstrübungen, ich habe stets das Gefühl er liegt ein klein wenig unter dem Ton, auch die Stilistik hat, für mein Gefühl, etwas sehr Eindimensionales, das lässt sich schwer beschreiben, ist mehr eine Ermessenssache. Rainer Meseckes Oberpriester dröhnt effektvoll. Jelena Bankovic als Anna lässt die Kürze dieser Rolle bedauern. Aufhorchen lässt der interessante Tenor von Michal Proszynski als Abdallo, da wäre man auch auf eine größere Partie gespannt.
Sehr beruhigend im Programmheft ist, das "Murmel" (Nabuccos Pferd) vor jeder Vorstellung geduscht wird, so daß für Pferdehaarallergikerinnen keine Gefahr besteht. Das diesjährige Burgplatzspektakel ist mit "Nabucco" allen Opernfreunden und denen , die es noch werden, rundum zu empfehlen. Eine szenisch sehr ansprechende und ästhetisch wirklich schöne Produktion, musikalisch sehr bestechend. Aber der Verkauf ist dementsprechend auch gut, was absolut verdient ist.
Martin Freitag 26.8.2019