„Ich habe das Füchslein für den Wald und für die Trauer meiner späten Jahre geschrieben“, meinte Leoš Janáček einmal. Seine Oper ist zweifellos ein trauriges Stück, aber Das schlaue Füchslein ist mehr als nur der melancholische Lebensrückblick eines alten Mannes, dem der Tod näher ist als das Leben. Obwohl der Komponist bereits auf die Siebzig zuging, schuf er ein Werk voll nachdenklicher Tragikomik. Der „Trauer seiner späten Jahre“ entspricht ein ambivalentes, melancholisches „Tiermärchen“, das den Tod ebenso wenig ausgrenzt wie die tröstliche Gewissheit, dass aus dem Vergehen immer wieder neues Leben entsteht. Der Jäger bekennt dies in seinem bewegenden Schlussmonolog, dem (auch musikalisch unwiderstehlichen) Höhepunkt der dreiaktigen Oper.

(Foto: © Bernd Schönberger)
Der Stoff beruht auf einem mit Zeichnungen des Malers Stanislav Lolek illustrierten Fortsetzungsroman von Rudolf Těsnohlídek, der ab 1920 in der Brünner Tageszeitung „Lidové noviny“ erschien. Der Komponist verfasste das Libretto weitgehend selbst. Komponiert wurde die Oper wie ein impressionistisches Klanggebilde aus subtil instrumentierten kurzen Szenen und Episoden, verbunden durch insgesamt neun orchestrale Vorspiele und Verwandlungen, die das Werk musikalisch und dramaturgisch gliedern. Bei aller Nähe zum Impressionismus und zur Musik seines großen Vorbilds Debussy bleibt die Tonsprache Janáčeks allerdings unverwechselbar, auch in seiner Fähigkeit, Musik aus Sprachmelodien zu entwickeln.
Ein Förster, eine Füchsin (sowie ein Fuchs), wenige Dorfmitglieder und der Wald sind das Material, aus dem der 70-jährige Janáček eine seiner erstaunlichsten und schönsten Opern schuf, uraufgeführt 1924 in Brünn. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine einfache Tierfabel, wurde in seinen Händen zu einer Erzählung über das Geheimnis des Lebens. Tiere fangen an zu sprechen und benehmen sich wie Menschen, die Menschen wiederum ähneln den Tieren. Wobei die Tiere (die Füchse) eine derart innige Liebe zueinander entwickeln wie nur wenige Menschen. „Ich liebe Deine Seele“ sagt der Fuchs zum Füchslein Schlaukopf. Es ist ein märchenhaftes Traumspiel über Jugend und Alter, Geburt und Tod, Mensch und Tier, die gleichermaßen Repräsentanten des Lebendigen sind. Dabei wird die junge Füchsin zur Projektionsfläche der unerfüllten Sehnsüchte des alten Försters.
Immer wieder wird Das schlaue Füchslein als trauriger Abgesang auf die unwiederbringliche Erotik der Jugend gezeigt, gewissermaßen als erotisches Altherrenstück. Doch es ist eher eine Feier des Lebens, in der die Natur, die die Hauptrolle spielt in einem panerotischen Gleichnis. Eigentlich spielt die Oper im Wald.
Doch in der jüngsten Inszenierung des Cottbuser Co-Schauspieldirektors Armin Petras ist kein intakter Wald zu sehen, auch ist das Stück mitnichten ein (Kinder-) Märchen, sondern eher ein modernes, anklagendes Gleichnis. Es ist ein Panoptikum überwiegend beschränkter Repräsentanten der Gattung Homo sapiens, das zum Pandämonium entfremdeter Menschen und Tiere in entfremdeter Natur und Zivilisation wird. Wie sagt es eines der Tiere: „Eine Schande der Tierwelt ist das Menschenvolk“.
Weder Waldidyll, noch Romantik, und alles andere als eine kulinarische, „schöne“ Janáček -Inszenierung wartet auf die Zuschauer im schönen Cottbuser Jugendstiltheater.

(Foto: © Bernd Schönberger)
Es ist eher ein mährisches Requiem als ein mährischer Sommernachtstraum, dem man in der tiefsinnigen wie intelligenten Inszenierung von Petras beiwohnt, immer hart an der Schmerzgrenze. Ein Stück über Zerstörung und Sehnsucht nach Heilung des Bruchs zwischen zerstörter Natur und menschlicher Kultur, ein Verhältnis, das längst aus den Fugen geraten ist.
Armin Petras hat Janáček ins Herz geschaut. Er nimmt das Stück ernst jenseits von anthropozentrischer Tierverniedlichung oder jeder Art von Mickey-Mousing. Er vermeidet weitgehend böhmische Folklore und märchenhaft kindliche Tiermasken und -Kostüme. Er zeigt stattdessen Wunden und Blessuren, überzeichnete, ja überschminkte Figuren und Charaktere unserer Gegenwart und er lässt die Geschichte sogar in der fiktiven Zukunft spielen, in einer bereits in großen Teilen durch den zivilisatorischen Prozess zerstörten Welt.
Die Schweizerin Natascha von Steiger hat ihm eine drehbare Holzbühne nach Art eines demolierten, schrägen Tanzpodiums einer Dorflinde mit aufklappbaren Öffnungen über Müllsäcken gebaut, dahinter Zivilisationsschrott, futurische Wohnsiedlungen, deprimierende Industrie-Brachen, gelegentlich ein Mond. Die rumänische Videokünstlerin Maria Tomoiagăhat stimmungsvolle wie verstörende, verfremdete wie realistische Filme beigesteuert, die vor wie hinter der Spielfläche auf Schleier projiziert, für fast cineastische Poesie sorgen, abgefilmte Spielszenen, in denen die Füchsin durch Industrieruinen, zerstörte Landschaft und kaputte Wälder stromert. Auch Naturkatastrophen aller Art, Folgen des Klimawandels wohnt man bei. Schließlich wird der Jäger auf seinen Waldexkursionen gezeigt, zumal in seiner bewegenden Schlussszene. Erst da ist ein einziges Mal ein grüner Baum zu sehen. Ein Hoffnungszeichen wie das weiße Licht, das ganz am Ende aufblendet. Der aus Wismar stammende Lichtdesigner Norman Plathe-Narr versteht es, mit Licht geradezu zauberische Effekte hervorgerufen. Wenn sich die hölzerne Spielfläche hinter dem Schleier dreht, wenn Nebel kriechen und Projektionen flimmern, hat die Inszenierung eine fast traumhafte Dichte, die fasziniert. Die Bühne wird dann zur grotesken, surrealen Karussellfahrt einer suggestiven Musiktheater-Produktion.

(Foto: © Bernd Schönberger)
Tiere und Menschen sind in dieser Inszenierung fast ununterscheidbare Zwitterwesen im punk- und rockerartig anmutenden Look. Patricia Talacko hat mit viel zeitgeistigen Anleihen versehene Kostüme entworfen. Tiere im eigentlichen Sinn (oft lediglich peinliche Tierimitationen) sieht man nicht, weder Dackel, Dachs, Hahn oder Hennen, Grille, Heuschreck oder Frosch, Eule, Eichelhäher, Specht noch Mücke. Man mag das als Verlust jener Romantik beklagen, die der Musik ja tatsächlich eigen ist. Das Naturstück kommt zweifellos zu kurz, in dieser radikalen, eher auf Hässlichkeit unserer Gegenwart setzenden Inszenierung, die mehr die Tristesse und Schäbigkeit unserer Welt ins Auge fasst. Aber Armin Petras hat seine Lesart intelligent und nicht ohne Humor, konsequent und einleuchtend auf die Bühne gebracht. Es gibt gewitzte (pantomimische) Wagnergesangs-Anspielungen, auch ein paar Zeitgeist-Anliehen, Streetdance lässt grüßen.
Die Oper ist, zumal in der nicht unumstrittenen, traurigen Fassung von Max Brod, die man spielt, alles andere als eine romantische, es ist eher eine verzweifelte, trotz ihres versöhnlichen Endes.
Johannes Zurl, seit 2020 Erster Kapellmeister am Staatstheater Cottbus, lässt denn auch einen eher verzweifelt aufschreienden Janáček hören als einen heiteren. Sein Janáček- Sound ist hochexpressiv wie die Inszenierung, er lässt die Modernität der Musik zum Zuge kommen, ohne die Naturmystik, die angedeuteten Folklorismen und Volksliedanklänge zu vernachlässigen. Grelle, brutale und lyrische Momente halten sich die Waage. Es ist kein verzärtelter, sondern ein kraftvoll bewegender, ja aufrüttelnder Janáček, dem man fasziniert, ja überwältigt lauscht. Das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus ist in Bestform. Auch die Damen und Herren des Opernchores und der Kinder- und Jugendchor singen ohne Fehl und Tadel (Choreinstudierung: Christian Möbius).

(Foto: © Bernd Schönberger)
Die sängerische Besetzung des an Partien reichen Stücks aus dem überwiegenden Hausensemble ist wieder einmal sehr überzeugend. Wobei der Bass-Bariton Andreas Jäpel als Förster zweifellos herausragt durch seine Wortverständlichkeit, Gesangskultur und noble Darstellung. Er ist eine Säule des Ensembles und eine Sängerautorität, ohne Frage der Mittelpunkt der Aufführung. Aber auch Antje Bornemeier als Försterin, Dirk Kleinke als Schulmeister, Ulrich Schneider als Pfarrer, Nils Stäfe als Flaschen und Müll sammelnder Landstreicher Háraschta sowie Thomas Pöschel als Gastwirt Pasek überzeugen ausnahmslos, um nur die wichtigsten Hauptpartien zu erwähnen. Anne Martha Schuitemaker als Füchslein Schlaukopf (mit langen fuchsroten Haaren im knappen Lederhöschen eher wie eine Rockerbraut mit viel Sexappeal anmutend) und Rahel Brede als Fuchs brillieren mit ihren Sopranstimmen, die sie allerdings etwas zu lautstark und nicht immer wortverständlich zur Schau stellen. Da hätte man sich doch intimere, lyrischere Töne gewünscht. Alles in allem aber darf man von einer großartigen Aufführung sprechen, die auch bühnentechnisch alle Register zieht und reibungslos funktioniert.
Dieter David Scholz, 28. Juni 2025
Das schlaue Füchslein
Oper in drei Akten von Leoš Janáček
Libretto von Leoš Janáček nach der Geschichte von
Rudolf Těsnohlídek
Für die deutsche Bühne bearbeitet und übersetzt von Max Brod
Staatstheater Cottbus
Premiere am 28. Juni 2025
Gesehene Aufführung: 26. Juni 2025 (Generalprobe)
inszenierung: Armin Petras
Musikalische Leitung: Johannes Zurl
Philharmonische Orchester des Staatstheater Cottbus