Von Parodie zu Comedy
Premiere im kleinen Haus am 07.03.2014 (Schauspielsparte)
Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Worte
Die Großherzogin, eines von Offenbachs bekanntesten und beliebtesten Werken, ist im Jahre der Weltausstellung 1867 uraufgeführt worden. Offenbachs Bouffes wurden von den herrschenden Schichten und deren Widersachern in Paris (jeweils aus anderen Motiven) immer recht bald nach dem Herausbringen besucht. So auch die Grande Duchesse: Von Napoleon III, der sich dafür interessierte, ob er wieder „etwas abbekommen“ hatte und von seinen Gegnern, die sich genau darauf diebisch freuten. Entsprechend unterschiedlich fielen auch die Reaktionen an. Napoleon kritisierte das Werk, weil er es dafür geeignet hielt, Verstimmungen bei ausländischen Staaten hervorzurufen; wohl nicht beim Großherzogtum Gerolstein, denn das gab es nicht – aber vielleicht bei einem der verbliebenen deutschen Operettenstaaten? Auch das nicht, denn Humor und Parodie zielen in die Mitte der damaligen Großmächte mit ihrem militärischen Gehabe, der Kabinettdiplomatie und dem Geprotze der Potentaten zur Entstehungszeit der Operette, und nicht in die Zeit, die das Libretto „vorschreibt“: um 1720. Aber 1867 – schon Spätzeit des zweiten französischen Kaiserreichs – war in Paris ein internationales Publikum anwesend, allein siebenundfünzig Staatsoberhäupter, der russische Zar mit Sohn sowie der König von Preußen samt Thronfolger mit Moltke und Bismarck, die nur wenige Jahre später den Kaiserspuk in Frankreich beenden sollten. Alle beeilten sich, Plätze für die Großherzogin zu bekommen.
Der politische und gesellschaftliche Hintergrund der Offenbachschen Bouffen, die für die damalige Gegenwart geschrieben wurden, erschließt sich dem heutigen Publikum nur noch am Rande, also muss ein neuer Text her (zumindest für die gesprochenen Passagen), und die Handlung kommt in ein Umfeld, das wir heute besser verstehen und mit dem man auch seine Witzchen machen kann. Da liegen dann meistens genau die Schwächen heutiger Operettenproduktionen und vor allem der Offenbachiaden. Denn wo sollen heute denn so viele geniale Texter herkommen, die diese Werke adaptieren, ohne in Plattheiten und Comedy zu verfallen? Die in Darmstadt vorgestellte Fassung stammt von Michael Quast und Rainer Dachselt, hatte vor 14 Jahren am Staatstheater Mainz Premiere und ist schon einige Male nachgespielt worden. Quast ist ein ausgewiesener Offenbach-Spezialist, der sich inzwischen auch als Produzent von Ein-Mann-Opern einen Namen gemacht hat. Den Kern des Originals hat er weitgehend bewahrt. Der Text – leider nicht durchgängig verständlich – ist dazu auch mit aktuellen Einwürfen angereichert, die beim Publikum umso mehr Lacher erzielen, je derber oder mundartlicher sie sind.
Thomas Dehler (General Bumm), István Vincze (Prinz Paul zu Schorf und Schwärenstein), Diana Wolf (Die Großherzogin), Stefan Schuster (Baron Pück)
Der Regisseur Axel Richter verlegt den fiktiven deutschen Duodez-Stadt, das Großherzogtum Gerolstein, in eine ganz konkrete Umgebung: die Plaza eines Einkaufszentrums mit Brunnen und Glastüren an einer Seite sowie aufgestapelter Ausverkaufsware (natürlich Schuhe, einem derzeit besonders beliebten Requisit der Regie) auf der anderen Seite. (Bühne und Kostüme fantasievoll: Klaus Noack). Ein etwa zwanzigköpfiger Chor in modern-verrückten Kostümen bevölkert die Szene: „Kunden und Beschäftigte der Shopping Mall“ sind das und natürlich gleichzeitig Statisten. Aus denen schälen sich zwei der Hauptdarsteller heraus: Wanda und Fritz, Reinigungskräfte. Mit einem kleinen Laufband werden Getränke und Snacks bereitgestellt. Das weitere Hauptpersonal der Operette wird nach und nach vorgestellt: zunächst General Bumm in dunklem Anzug, gefolgt von Baron Pück, dem ebenso dümmlichen wie wichtigtuerischen Politberater de Großherzogin. Die tritt erst als letzte auf – begleitet von eine pelztragenden Entourage – und mischt sich plötzlich in die Staatsgeschäfte ein. Den stieseligen Prinzen Paul mit seinem Brautwerber Baron Grog lässt sie links liegen. Denn sie verliebt sich in den dialekt-sprechenden Fritz, den sie im Rang sogar über den kommandierenden General Bumm erhebt und in irgendeinen Krieg schickt. Um gegen feindliche Einwirkungen gesichert zu sein, zieht man sich im Einkaufszentrum Schuss-sichere Westen an; das Lungervolk kommt nach der Pause in Camouflage-Anzugteilen in die Mall zurück, in die auch Fritz wieder siegreich einzieht. Seine Wanda will ihn aber nicht an die Großherzogin abtreten, was zu den letzten Verwicklungen führt.
Tom Wild (Fritz), Diana Wolf (Die Großherzogin), Chor/Statisten
Die Handlung verläuft in etwa so, wie von Meilhac, Halévy (Librettisten) und Offenbach vorgesehen. Aber was hat das alles mit einer Shopping Mall zu tun? Gegen wen wird da Krieg geführt? Gegen ein anderes Einkaufzentrum? Beute wird jedenfalls nicht vorgewiesen, als Fritz siegreich aus dem Krieg zurückkehrt. Er kriegt aber seine Wanda, und der „Adel“ kann dann so weiterzaubern wie bisher. Geht man davon aus, dass 1867 ein deutscher Duodez- oder Operettenstaat schon reine, ironische Fiktion war, dass das Geschehen also im Irrationalen angesiedelt sein sollte, dann ist das bei dem zu konkreten Bild eines Einkaufzentrums nicht unbedingt der Fall; die Satire geht teilweise ins Leere und Zweideutigkeiten werden plötzlich eindeutig: wie der blutbeschmierte Säbel der Vorfahren. Die Travestie, die Ironie und der Humor überleben das Handlungsende; es könnte irgendwo anders gleich weitergehen.
Diana Wolf (Die Großherzogin), Tom Wild (Fritz)
Wenn es schon textlich und szenisch nicht so richtig passen will – oder im Imaginären bleibt – dann kann doch eine geübte Regie immer noch einen bewegten, quirligen Bühnenzauber aufführen. Das gelingt auch hie recht gut, wenn auch unter Einbeziehung einiger Schablonen. So kommt das Publikum auf einen recht unterhaltsamen Abend, den man auch nicht nach tieferem Sinn hinterfrage sollte. Das könnte man lediglich bei einer Sondereinlage der Reinigungskraft Fritz tun. Der war wieder zum Schützen Arsch zurückbefördert worden und hatte zudem noch eine Abreibung erhalten, als er sich in einem hinterpfälzisch gesprochenen Monolog darüber ausließ, dass der Schauspieler Tom Wild (sein echter Name) eigentlich noch schlechter daran ist als die Reinigungskraft Fritz: gefeuert (vom Theater), nein, genauer gesagt: nicht verlängert. Es steht Intendantenwechsel am Staatstheater an. Da wird eben nicht „verlängert“ – und Kollegen auch abseits des künstlerischen Personals wissen noch nicht, was aus ihnen wird, obwohl keine der Stellen abgebaut wird – nur eben erstmal „nicht verlängert“. Dem der da sensibel ist, brachte die Einlage von Tom Wild so viel wie der ganze Abend. Er würde es dann mal als Fitnesszentrum-Fachwirt versuchen…
Isabell Dachsteiner (Wanda), Diana Wolf (Die Großherzogin), Tom Wild (Fritz), Chor/Statisterie
Der Abend im kleinen Haus wird von der Sparte Schauspiel veranstaltet. Da bleibt man naturgemäß der Pracht der Musiktheater etwas fern. Daher wird auch mit musikalisch viel einfacheren Mitteln gearbeitet. Das Orchester heißt in Darmstadt „Heeresmusikkorps Gerolstein“ und besteht aus sieben Instrumenten inkl. Klavier, von welchem aus der musikalische Leiter des Abends, Michael Erhard, den Abend dirigiert. Die Quast-Dachselt-Fassung sieht kein festes Instrumentenarrangement vor. Die Gruppe musiziert zwar präzise und inspiriert, aber die Zusammenstellung von Flöte, Trompete, Violine, Cello und Bass sowie Schlagzeug und Klavier lässt die richtige Farbgebung zum Offenbach-Elan nicht aufkommen. Die Instrumentalisten wurden außerhalb des Staatsorchesters rekrutiert. Woher der über zwanzigköpfige Chor zusammengestellt und wer ihn einstudiert hat, darüber gibt das Programmheft keine Auskunft. Dieser Truppe kann quirlige Bewegung, aber auch schlagkräftiger Gesang attestiert werden. Die Solisten wurden über Microport verstärkt und schlugen sich durchweg auch gesanglich recht gut, teilweise sehr gut, wobei Tom Wild (Fritz) und Isabell Dachsteiner (Wanda) als stimmlich beeinträchtigt gemeldet wurden. Diana Wolf trat als anmaßende und launische Großherzogin auf; den General Bumm spielte Thomas Dehler überzeugend auch mit potentem Stimmmaterial. Baron Pück war Stefan Schuster und Prinz Paul István Vincze. Die reine Sprechrolle als Baron Grog füllte Harald Schneider aus.
Das war Unterhaltungstheater auf ansprechendem Niveau. Das gut amüsierte Publikum aus dem fast voll besetzten Haus spendierte reichlich Beifall. Bis zum 27. Mai gibt es noch neun Vorstellungen der Großherzogin.
Manfred Langer, 09.03.2014 Fotos: Barbara Aumüller