Die als „Comic Opera“ herausgebrachten Werke des Duos Gilbert und Sullivan sind eine sehr britische Angelegenheit und eine nostalgische noch dazu. In der Tradition der Pariser Offenbachiaden verfasste William Schwenck Gilbert ab den 1870er Jahren Libretti, bei denen er in mitunter ins Absurde kippenden Handlungen mit Sprachwitz und beißendem Spott auf gesellschaftliche Verhältnisse regelrechte Pointenfeuerwerke zündete, und die Arthur Sullivan mit Geschick und Lust an der musikalischen Parodie wirkungsvoll vertonte. Gerade die gesellschaftskritische Komponente läßt die Werke des Duos aber sehr zeit- und ortsverhaftet erscheinen. Das steht einer Rezeption außerhalb des angelsächsischen Sprach- und Kulturraums machtvoll im Wege. Insbesondere die bei anderen Werken so beliebten Regiemethoden der Aktualisierung und Transformation in ein anderes Setting funktionieren hier nicht.
Wie wollte man auch folgende Handlung transformieren: Ein Piratenlehrling hat sein 21. Lebensjahr vollendet und damit seinen Ausbildungsvertrag erfüllt. Zu diesem Gewerbe kam er durch einen Hörfehler seines Kindermädchens, das ihm eine „private Ausbildung“ verschaffen sollte, aber „Piratenausbildung“ verstanden hatte (im Original lautet das Wortspiel: „Pilot“ – „Pirat“). Da der Lehrling jedoch von etwas erfüllt ist, was er als Pflichtgefühl versteht (das Stück hat im Englischen den Untertitel „The Slave of Duty“), hat er die Freibeuterausbildung gewissenhaft zu Ende gebracht. Von Stund an aber will er nun das Piratentum, welches ihm in Wahrheit zuwider ist, bekämpfen. Er verliebt sich in eine von unzähligen Töchtern eines britischen Generalmajors und rekrutiert hasenfüßige Polizisten zum Kampf gegen seine vormaligen Kumpane. In einem absurden Twist erläutert ihm aber der Piratenanführer, daß er in einem Schaltjahr am 29. Februar geboren sei, weswegen er nicht 21 Geburtstage, sondern lediglich deren fünf hinter sich habe und ergo seine vertragliche Verpflichtung, bis zum 21. Geburtstag der Piraterie nachzugehen, noch lange nicht erfüllt sei. Daraufhin wechselt der junge Mann erneut die Seiten und zieht nun gegen die von ihm selbst ausgesandten Polizisten ins Feld, bis das Ganze in einem weiteren absurden Twist zu einem augenzwinkernden Happy End geführt wird.
So etwas kann man kaum anders als „werktreu“ umsetzen. Folgerichtig bieten die Kostüme von Lucia Vonrhein alles an Korsarenuniformen, Augenklappen, Zwei- und Dreispitzen, Stiefeln, Degen und Totenkopfaufdrucken, was man so aus einschlägigen Piratenfilmen kennt. Die Bühne von Peter Engel zeigt dazu ein stilechtes Piratenschiff, dessen Bug offenbar durch die Mauer einer Strandbar gebrochen ist. Das Publikum darf sich wie auf einer Motto-Party fühlen und bekommt in der Pause einen Cocktail „Penzance Libre“ und Rumkugeln serviert.
Die Regie von K. D. Schmidt hat es gerne handfest. Auch wenn auf der Bühne immer wieder mit dem eleganten Florett herumgefuchtelt wird und es sogar einen sehenswert choreographierten, geradezu filmreifen Degenkampf gibt, bedient sich das Produktionsteam in Sachen Humor meist des Säbels: Mehr Klamauk und Klamotte als feine Ironie. Das Subtilste an dem Abend ist ein Loriot-Zitat: „Ich möchte einfach nur hier sitzen.“ Den Text haben Inge Greiffenhagen und Bettina von Leoprechting geschickt ins Deutsche übersetzt, so daß gerade in den Sprechpassagen der Humor auch ohne Blick auf die Übertitel unmittelbar zünden kann. Der Funke springt an diesem Premierenabend jedenfalls gleich zu Beginn auf das Publikum über, das sich bis zum jubelnden Schlußapplaus hörbar gut unterhalten fühlt.
Mit Samuel Hogarth steht ein echter Brite am Dirigentenpult und befeuert die Spiellaune des gut aufgelegten Orchesters. Die Regie durchbricht immer wieder einmal die „vierte Wand“ jedenfalls zum Orchestergraben hin für kurze Interaktionen zwischen Darstellern und Dirigent. Im leichten Operettengenre werden gerne Schauspieler mit Gesangsambitionen in den Hauptrollen besetzt. Nicht so in Mainz. Hier hört man bewährte Mitglieder des Opernensembles, die sichtlichen Spaß am Klamauk haben. Mark Watson Williams gibt den Piratenlehrling Frederic mit hell timbrierten Spieltenor, der in lyrischen Passagen durchaus zu schmelzendem Melos in der Lage ist. Als Piratenkönig überzeugt Brett Carter mit kernigem Kavaliersbariton. Der im Mainzer Ensemble für das Heldenfach zuständige Alexander Spemann überbietet in dem berühmten Patter Song „I am the very model of a modern Major General“ (hier: „Ich bin der typisch englische moderne Generalmajor“) das aus dem Orchestergraben vorgegebene Tempo, bringt damit noch mehr Silben in weniger Zeit unter und erhält für diese akrobatische Leistung kräftigen Szenenapplaus. Womöglich wird man sich in Folgevorstellungen auf ein gemeinsames Tempo einigen. Frederics Geliebte Mabel wird von Alexandra Samouilidou mit einem stark tremolierenden, aber koloratursicheren Soubrettensopran gegeben. Katja Ladentin schließlich trumpft als zur Freibeuterei gewechseltes Kindermädchen Ruth mit sonorem Mezzo auf. Einige Herren des Chores überzeugen auch in urkomischen Choreographien, die sie als tapsig-vertrottelte Polizisten in Bobby-Uniform darbieten.
Insgesamt kann man von einem gelungen Fall der „kulturellen Aneignung“ sprechen: Eine Mischung aus Monty Python und Mainzer Fastnacht, welche die verstaubte Gesellschaftskritik links liegen läßt, dafür kurzweilig den absurden Plot und den immer noch zündenden Sprachwitz auf gutem musikalischen Niveau präsentiert.
Michael Demel, 29. November 2023
Die Piraten von Penzance
William Schwenck Gilbert und Arthur Sullivan
Staatstheater Mainz
Premiere am 25. November 2023
Inszenierung: K. D. Schmidt
Musikalische Leitung: Samuel Hogarth
Philharmonisches Staatsorchester Mainz
Weitere Vorstellungen: 3., 16., 20. und 31. Dezember 2023, 12. und 18. April sowie 12. Juni 2024.