Besuchte Aufführung: 13.3.2016 (Premiere: 15.1.2016I
Im Theater der Grausamkeit
Ungewöhnlich, aber nichtsdestotrotz sehr spannend gestaltete sich die Aufführung von Verdis „Rigoletto“ am Staatstheater Mainz. Das war eine Vorstellung, die man nicht so schnell wieder vergisst. Ohne Zweifel wird die denkwürdige Inszenierung von Lorenzo Fioroni, für die Paul Zoller das gelungene Bühnenbild und Katharina Gault die Kostüme beisteuerten, einmal in die Annalen des Staatstheaters Mainz eingehen. Zum behaglichen Zurücklehnen ist Fioronis hervorragende Regiearbeit nicht geeignet, vielmehr verlangt sie volle Konzentration sowie die Bereitschaft, sich auf neue Sichtweisen einzulassen. Nichts anderes war von diesem Regisseur, der Mainz schon so manche eindringliche Produktion bescherte, aber zu erwarten. Dass er sich nicht in konventionellen Bahnen bewegen, sondern einen Ansatz ganz eigener Art wählen würde, war von vornherein klar.
Wenn im Folgenden ein wenig auf die Vorlage der Oper und die Historie eingegangen wird, ist das zum Verständnis der Inszenierung erforderlich. Den Stoff für seine 1851 in Venedig uraufgeführte Oper entnahm Verdi Victor Hugos Stück „Le roi s’amuse“ – zu Deutsch: „Der König amüsiert sich“ -, das bereits einen Tag nach seiner erstmaligen Präsentation im Jahre 1830 für Jahrzehnte verboten wurde, weil es den „Ritter-König“ Franz I zu stark ins Negative zog. Diesen angesehenen Herrscher, der mit gerade mal zwanzig Jahren den französischen Thron bestieg, sich auf dem Schlachtfeld bewährte und Kunst und Kultur förderte, zu einem fragwürdigen Lebemann und Weiberhelden zu machen, erschien den Kritikern damals unakzeptabel. Auch Verdi hatte mit der Zensur zu kämpfen, die mehrmals eine Umarbeitung verlangte und insbesondere forderte, aus dem König den Duca von Mantua zu machen. Die Ehre von Franz I war somit gerettet.
Marie-Christine Haase (Gilda), Rigoletto
Hier setzt Fioroni mit seiner Interpretation an. Gekonnt identifiziert er den Duca mit Franz I und verlegt die Handlung in die Zeit der Renaissance, wartet aber auch mit modernen Zitaten auf. Kriegerisch und blutig geht es bereits zu Beginn zu, als eine Anzahl blutverschmierter Frauen mit Puppengesichtern von Fahnen schwenkenden, phallusbetonte Gewänder tragenden Lanzenträgern gejagt und zu guter Letzt aufgespießt und an zeitgenössische Laternenpfähle gehängt werden. Der einen eleganten Anzug tragende Sparafucile wird die Leichen später wieder abnehmen. Auch die Tochter Monterones fällt den Schergen zum Opfer. Später wird der Vater den Leichnam seiner Tochter anklagend dem die Schuld an ihrem Tod tragenden Duca präsentieren. Nebel und diffuses Licht bestimmen dabei die Szene. Es ist ein sehr frauenfeindliches Bild, das dem Zuschauer hier in äußerst radikaler Weise vorgeführt wird. Grauen und Gewalt regieren die Welt. Sie sind auch Gilda nicht fremd, die bereits während der Ouvertüre ihre Puppen misshandelt. Wenn man sich diese Szenen betrachtet, fühlt man sich stark an die Untaten von Vlad dem Pfähler erinnert, dem Vorbild von Bram Stokers Romanfigur Dracula. Die von Fioroni entworfenen Bilder gemahnen manchmal an das Bild der Schlacht bei Marignano, die Franz I für sich entschied und damit die Expansionsbestrebungen der Schweizer nachhaltig beendete. Mit Geschichte kennt sich Fioroni aus. Er hat sie gut recherchiert und beeindruckend in seine Deutung einbezogen.
Paul O’Neill (Duca), Alexandra Samoulidou (Gräfin Ceprano), Borsa
Diese reichlich krassen visuellen Impressionen weisen indes noch in eine andere, theatertheoretische Richtung. Die Bezüge zum Theater der Grausamkeit eines Artaud werden offenkundig. Mehr noch als Artaud ist das Ganze aber dem 1897 gegründeten Pariser Grand Guignol verpflichtet, einem grausamen Puppenspiel-Theater, das auf oft sehr groteske Weise Horroreffekte auf die Bühne brachte und damit die Besucher nachhaltig schockte. Hier ist auch Fioroni ganz in seinem Element und klammert konventionelle Sehgewohnheiten gänzlich aus. Am Ende beherrschen zahlreiche kleine Brände die fleißig eingesetzte und von zahlreichen mobilen Wänden mit Schwarz-Weiß-Photos dominierte Drehbühne des Mainzer Staatstheaters. Rigoletto hat sie zwischen Müll und ausgedienten Reifen mit Hilfe eines Benzinkanisters gelegt. Auf den Sack, in dem sich am Ende traditionell die tödlich verwundete Gilda befindet, verzichtet Fioroni, was kein Fehler ist.
Paul O’Neill (Duca)
Trotz der Anknüpfung an die Renaissance lässt der Regisseur aber keinen Zweifel daran aufkommen, dass die aufgezeigten privaten Probleme auch in unserer heutigen Zeit vorkommen können. So treten die Protagonisten auch mal in moderner Alltagskleidung auf, die zu den übrigen, der Renaissance zuzuordnenden Kostümen einen extremen Gegenpol bilden. Und eine seelische Deformation, die bei Rigoletto an die Stelle seines herkömmlichen Buckels tritt, weist ganz in Richtung Sigmund Freud. Hier lässt Fioroni auch einen gehörigen Schuss Psychologie in seine Inszenierung mit einfließen. Dabei sind die Grenzen zwischen Realität und Spiel fließend. Es ist eine eindrucksvolle Gratwanderung, die die Regie hier in einem ausgemachten Gruselkabinett vollführt und die Rigoletto mit seiner großen Trommel stets aufs Neue anfacht. Wenn im Zuschauerraum mal das Licht angeht, ist das ein echter Coup de théatre, der nachhaltig beeindruckt. Dem Publikum wird hier wahrlich viel abverlangt. Wer sich aber auf Fioronis spektakuläre Sichtweise einlässt, wird mit einem grandiosen Opernabend belohnt.
Tamta Tarieli (Maddalena), Ks Hans-Otto Weiß (Sparafucile), Rigoletto
Zu dem trugen auch die großenteils ausgezeichneten Sänger ihren Teil bei. Leider hatte an diesem Abend der Krankheitsteufel zugeschlagen. Der für den Rigoletto vorgesehene Werner van Mechelen war erkrankt und wurde kurzfristig durch Jaco Venter vom Badischen Staatstheater Karlsruhe ersetzt – eine gute Wahl, wie sich schnell herausstellte. Venter hatte sich in kurzer Zeit das Regiekonzept trefflich zu Eigen gemacht und mit großer darstellerischer Intensität eindringlich umgesetzt. Auch gesanglich vermochte er mit seinem robusten, gut gestützten und eine große Ausdrucksintensität aufweisenden Bariton sehr für sich einzunehmen. Als Gilda, die vom Regieteam bewusst in nicht sehr ansehnliche Kleider gesteckt wurde – auf diese Weise will ihr Vater sie für die Außenwelt nicht gerade anziehend machen – bewährte sich Marie-Christine Haase. Sie gestaltete ihre Rolle mit delikatem Spiel und einer großen stimmlichen Bandbreite. Dabei beglückte sie gleichermaßen mit feinen lyrischen Momenten als auch mit trefflichen Koloraturen und einer ausgezeichneten Pianokultur. Ihren bestens fokussierten Sopran setzte sie recht differenziert und nuancenreich ein. Bestens präsentierte sich Paul O’ Neill mit in allen Lagen ausgeglichenem, sauber geführtem, prägnantem und höhensicherem Tenor, der die Arien des Duca zu Höhepunkten des Abends werden ließ. Nichts auszusetzen gab es an dem sonor singenden Sparafucile von Ks. Hans-Otto Weiß, während es dem in der Mittellage solide singenden Grafen von Monterone Georg Lickleder s beim Fluch etwas an Dämonie mangelte. Volltönendes Baritonmaterial zeichnete den Marullo von Kyung Jae Moon aus. Stimmlich etwas unauffällig war Scott Ingham als Borsa. Tadellose Mezzosopranstimmen brachten Tamta Tarieli und Ruth Katharina Peeck für die wenig attraktiv vorgeführte Maddalena und die Giovanna mit. Mit einer perfekt gesungenen Gräfin Ceprano empfahl sich Alexandra Samoulidou für künftige Zeiten als Gilda. Solide gab Stefan Keylwerth den Grafen Ceprano. Ein zufriedenstellender Page war Alin Deleanu. Wenig zu bieten hatte Ion Dimieru s sehr flach und halsig klingender Gerichtsdiener.
Am Pult gefiel Samuel Hogarth. Zusammen mit dem versiert aufspielenden Philharmonischen Staatsorchester Mainz erzeugte er einen größtenteils robusten, dramatischen Klangteppich, der von schöner Italianita geprägt war und die Sänger an keiner Stelle zudeckte.
Fazit: Ein exzellenter Opernabend, dessen Besuch sehr zu empfehlen ist.
Ludwig Steinbach, 14.3.2016
Die Bilder stammen von Martina Pipprich