Meiningen: „Don Giovanni“, Wolfgang Amadeus Mozart

So mancher Mann unter den Zuschauern wird stillen Neid empfinden, wenn er die Vita des äußerst talentierten Don Giovanni betrachtet, der ganz nach Gusto Scharen von Frauen verführt. Auch wenn ein schlimmes Ende droht. Ist diese Oper ein Lehrstück für Casanovas, ein Spiegel für Frauen, eine Rüge für allzu willfähriges Personal, eine Zurschaustellung speichelleckender Bürger und einfältiger Bauern? Nun, es gibt von allem etwas. Vor allem aber ist diese Oper ein polyphones Meisterwerk, das Mozarts gesamtes Repertoire in atemberaubendem Tempo auffährt. Dramatik und Sinnlichkeit berühren und pure Lebensfreude gipfelt in Tänzen und Tafelmusik.

Dass Regisseur Hinrich Horstkotte die Oper weitgehend in ihrer Zeit belässt und die ausgefallenen Kostüme phantasievoll danach gestaltet, muss man ihm hoch anrechnen. Aber hier wird keine verstaubte Antiquität reanimiert, sondern ein Collier geschaffen, das in allen seinen Teilen glänzt. Und eines muss man vorwegnehmen: Ohne einen so hervorragenden Chor, der schauspielerisch ein kurioses Eigenleben führen darf, und ein Ensemble, das mit ganzem Herzen und großem Können die Rollen lebt und singt, wäre das nicht möglich. Schließlich schlägt Horstkotte hier das dritte Mal auf und weiß, was er an Meiningen hat. Und das gilt besonders für die Hofkapelle unter Killian Farrell, die die Besonderheiten dieser Inszenierung brillant intoniert.

© Christina Iberl

Dreh- und Angelpunkt auf der Bühne ist ein riesiges altes Buch, ein Koloss, der wandelbar ist. Es dient als Wand, als Mauer, es lässt sich aufblättern und man kann zwischen die Seiten schlüpfen. Es wird die Hauptrequisite bleiben. Diener Leporello muss für seinen Herrn in diesem Folianten ein Beischlafregister führen und ihn wohl oder übel stets zu seinen Abenteuern begleiten. Diesmal läuft es nicht so gut. Als dieser Donna Anna maskiert überfällt, will deren Vater, der Komtur, sie schützen und wird getötet. Sie und ihr Verlobter Ottavio schwören Rache. Inzwischen ist Donna Elvira, eine Verflossene Don Giovannis, eingetroffen, die ihn noch immer liebt und sich Hoffnungen macht. Sie trägt interessanterweise Weiß und sieht sich wohl schon als Braut. Er hat natürlich kein Interesse und als Leporello ihr zeigt, wie viele Frauen vor und nach ihr dran waren, beschließt sie, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Emma McNairy spielt diese charakterstarke Frau mit Verve, Temperament und Gefühl und hat in dieser fast omnipräsenten Rolle eine Mammutleistung vollbracht. Als eine lustige Bauernhochzeitsgesellschaft auftaucht, wittert D. G. ein lohnendes Objekt. Zerlina, die zauberhafte Braut, fühlt sich von den Schmeicheleien des edlen Herrn angetan. Monika Reinhardt spielt ihr eigenes Spiel, ein gefährliches. Masetto, ihr Bräutigam, ist zu Recht eifersüchtig. Mark Hightower mimt diesen plumpen, etwas einfältigen und unbeholfenen Mann großartig. Don Giovanni lädt alle zu sich ein und beinahe gelingt es ihm, Zerlina zu verführen. Doch Elvira warnt sie rechtzeitig. Auch Anna und Ottavio erfahren durch sie, was für ein Schurke er ist. Lubov Karetnikova trägt Schwarz, ein Schleier verhüllt ihr Gesicht und alles an ihr strahlt Haltung und Würde aus. Die Stimme klar und akzentuiert, unterscheidet sie sich sehr von ihrem Verlobten. Aleksej Kursanov wirkt zunächst zurückhaltend, fast zart, ein Mann der leisen Töne. Doch tapfer folgt er dem Racheaufruf Annas. Leporello muss nun das Fest vorbereiten und Mädchen besorgen. Tomasz Wija spielt dieses windige Faktotum in seiner Doppelmoral außerordentlich glaubwürdig und in jeder noch so schwierigen Situation mit vollem Körpereinsatz. Ernst gemeinte Versuche, seinen Herrn zum Positiven zu ändern, gibt es nicht. Auch er ist ein Opportunist.

© Christina Iberl

Als Shin Taniguchi als „Mister Universum“, eher als Giovanni Bordello, ganz im obszönen Goldoutfit auftritt und sie vernaschen will, bekommt sie es doch mit der Angst zu tun. Alles an ihm ist aalglatt. Er kennt keine Moral, nur seine individuelle Freiheit, sich alles zu nehmen: triebgesteuert, ohne Schuldgefühle, unersättlich und eigentlich ein Fall für die Psychiatrie. Ein „Aufgeklärter“ im negativen Sinne. Die Jagd auf ihn ist eröffnet, auch wenn er erst seinen Diener als Übeltäter verantwortlich machte. Ein Kleidertausch verschafft ihm zwar Raum, erneut auf die Jagd zu gehen, aber Leporello wird schnell enttarnt. Und wieder muss er mit seinem Herrn um die Häuser ziehen. Der Mond schafft ein trügerisches Idyll. Giovanni erdreistet sich, die Statue des toten Komturs zu verhöhnen und lädt ihn zum Abendessen ein. Ein Totenkopf symbolisiert Unheil. Anna scheint sich inzwischen sicher, dass ihr Vater gerächt wird. Das ist ihr wichtiger, als eine übereilte Ehe mit Ottavio einzugehen. In einer wunderschönen Arie zeigt Lubov Karetnikova ein außerordentliches Talent und Potential!

Noch einmal hat D. G. seinen großen Auftritt, wenn er sich in einer weit ausladenden Krinoline präsentiert, lang, glänzend das offene schwarze Haar. Alles wirkt surrealistisch, vor allem seine illustren Gäste, ein Gruselvolk abgerissener Bettler, die wie ausgehungerte Katzen um Brocken gieren. Die Szene ändert sich, wohl liegt das Buch noch offen da, aber von oben tanzen Seiten herab. Der Komtur erscheint als oberster Richter auf einem Monument und verkündet das Ende. Eine rote Hand greift aus der Unterwelt nach Don Giovanni und zieht ihn in das Buch. Deckel zu. Am Ende begegnen sich Zerlina, Masetto, Ottavio und Anna, die einen roten Handschuh trägt. Elvira, die bis zum Schluss noch Gefühle für ihren Geliebten hegte, hat ihr Brautkleid gegen weiße Ordenstracht getauscht, sich die Haare abgeschnitten und trägt Rosenkranz. Dies ist nur eines der vielen metaphorischen Ereignisse, die der Regisseur sprechen lässt.

Stellt der Komtur am Ende die „Weltordnung“ wieder her? Teilweise ja, aber eigentlich sind es die Frauen, die Hinrich Horstkotte protegiert: Persönlichkeiten, die ihren Weg gestalten. Er verleiht ihnen Individualität, die wandelbar und nicht unbedingt vorhersehbar ist. Anna emanzipiert sich, Zerlina arrangiert sich nach ihren Vorstellungen und Elvira ändert ihr Leben selbstbestimmt.

Auch wenn Mozart sich einen Spaß erlauben wollte, wiegt die Dramatik hier schwerer. Weder Albernheiten, Geplänkel noch unnötiger Aktionismus stören. Trotzdem blitzt immer wieder Komik auf, wohldosiert. Was Roman David Rothenaicher mit seinem Chor an Kuriosem auf den Punkt gezaubert hat, ist ein Kunstwerk für sich. Mimik, Körpersprache, Choreographie und Ausstattung zeigen, dass hier nichts ohne Bedeutung ist.

Es ist wieder ein Glücksfall, dass das Haus sämtliche Rollen aus dem Ensemble besetzen kann, und zwar exzellent.

© Christina Iberl

Shin Taniguchi ist der Solitär dieser Oper und von einer diabolischen, kalten Eleganz, eine Diva, die aus dem Bewusstsein agiert, dass sie sich alles erlauben kann. Alles an ihm ist glatt, der geschmeidige Bariton, die Kleidung, die teils an Schlangenhaut erinnert.

Bassbariton Tomasz Wija als Leporello bleibt seiner Rolle als Faktotum verlässlich treu. Zähneknirschend folgt er seinem Herrn und verbindet unspektakulär die Ereignisse.

Monika Reinhardt, Sopran, zeigt in dieser Paraderolle mit Witz und Temperament eine Zerlina im Überschwang. Sie und Mark Hightower als Masetto ergeben ein Paar, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Keck, quirlig und raffiniert führt sie ihren Mann an der Nase herum und er macht mit. Allein diese beiden zu kombinieren, ist Komik pur, und den Spaß sieht man ihnen an.

Lubov Karetnikova, Sopran,ist neu im Ensemble und zeigt Profil und Haltung als Donna Anna. Stimmlich sicher prägt sie diese von den Ereignissen gezeichnete Frau, die im Lauf der Handlung an Ausstrahlung gewinnt.

Ihr Verlobter, der junge Tenor Aleksej Kursanov, singt zart, berührend und ernsthaft. Es ist fast offensichtlich, dass die beiden so schnell kein Paar werden.

Emma McNairy, Sopran, hat als stimmgewaltige Donna Elvira eine starke Rolle. Sie ist wohl die interessanteste Persönlichkeit dieser Oper.

Auch wenn Selcuk Hakan Tiraşoğlu als Komtur nur zwei kurze Auftritte hat, gestaltet der bewährte Bassbariton diese sehr eindrucksvoll.

19 Jahre hat Meiningen es sich verkniffen, Don Giovanni wieder auf den Spielplan zu setzen. Man kann es mit Recht als Geniestreich bezeichnen, auf Hinrich Horstkotte, GMD Killian Farrell und dieses Ensemble gewartet zu haben.

Inge Kutsche, 1. Juni 2025


Don Giovanni
Dramma giocoso in zwei Akten
Wolfgang Amadeus Mozart

Staatstheater Meiningen

Premiere am 30. Mai 2025

Regie: Hinrich Horstkotte
Musikalische Leitung: Killian Farrell
Meininger Hofkapelle

Weitere Vorstellungen: 7. Juni, 5. Juli, 31. August, 13. + 21. September, 30. Oktober, 14. November, und 25. Dezember 2025