Streaming-Premiere am 09. Mai 2021, Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Packender Opernabend voller Überraschungen
Als erstes Theater in Hessen präsentierte das Hessisches Staatstheater Wiesbaden einen großen Opernabend in voller Besetzung. Um es vorwegzunehmen: es war ein außergewöhnliches Erlebnis!
Wunderbar spielfreudig agierte das sehr engagierte Ensemble, das mit ungemeiner Wandlungsfähigkeit begeisterte.
Diese spannende Premiere verblüffte mit vielen Überraschungen. Da ist zunächst einmal die gelungene Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg. Nach seinem schwachen „Ring“ und einem unsäglichen „Rigoletto“, gelang ihm seine bisher überzeugendste Regie-Arbeit. Laufenberg verfremdet zu keinem Zeitpunkt die Handlungsverläufe, meidet im Gianni Schicchi jeglichen Klamauk und erzählt jeweils schlüssig, packend die Geschichten. Die Personenführung wirkt en Detail gut gearbeitet.
Der „Tabarro“ spielt in einer Industrielandschaft, Kräne sind im Bühnenhintergrund zu sehen. Allerdings wirkten die sehr neu wirkenden Kostüme etwas beißend im Kontrast. Hier fehlte der Schmutz der anstrengenden Arbeit. Gut wurde die Entfremdung zwischen Giorgetta und Michele aufgezeigt, die den Verlust des Kindes nicht verkraftet haben. Leidenschaftlich verzehrt sie sich an ihrem Liebhaber Luigi. Dieser wird am Ende von Michele erstickt, in dem dieser ihm das Knie auf die Kehle drückt. Amerika lässt grüßen….
„Suor Angelica“ wird in einem minimalistischen Bühnenbild geboten. Die Bühne öffnet und schließt sich, gibt unterschiedliche Einblicke. Die Nonnen führen ein karges Dasein. Einzige Freude ist die Fontäne eines Brunnens und ein leibhaftiger Esel. Sehr autoritär agiert die Äbtissin in diesem Kloster.
Höhepunkt der Aufführung war das spannende Duett zwischen Suor Angelica und ihrer Tante. Spannend wie ein Thriller umkreisten sich die Sängerinnen. Dann verkroch sich Suor Angelica vor Angst unter dem Tisch, während die Tante den Tisch bestieg und sich selbst überhöhte. Nach deren Todesmeldung von Angelica, geriet Angelica in völlige Apathie. Daher wurde sie von den Mitschwestern gezwungen, das Testament zu unterzeichnen, in dem eine Schwester ihr dabei die Hand führte. Als Strafe zog ihr die Äbtissin mit kalter Wut den Stuhl weg, so dass Angelica zu Boden sank. Das ging unter die Haut.
Am Ende erscheint nicht die Madonna, sondern Jesus mit dem verstorbenen Kind von Angelica und schenkt somit Angelica die ersehnte Erlösung.
„Gianni Schicchi“ ist hier die Geschichte von Neu-Reichen, die es richtig krachen lassen wollen. Witzig mit viel Situationskomik agiert das vortreffliche Ensemble. Auch hier überzeugt die Inszenierung auf ganzer Linie.
Bühnenbildner Gisbert Jäkel schuf passende Bühnenräume, die jeweils eine eigene Stilistik für das jeweilige Stück boten. Sekundiert wurde er durch die gelungenen Kostüme von Jessica Starge. Andres Jung schuf beeindruckende Lichteffekte. Chordirektor Albert Horne sorgte für blitzsauberen Chorgesang.
Bis auf wenige Gäste demonstrierte das Wiesbadener Sängerensemble eindrucksreich seine Kompetenz und Vielfalt.
Im Mittelpunkt stand die Sopranistin Olesya Golovneva, die alle drei Sopranpartien begeisternd darbot.
Sie war eine verletzt wirkende Giorgetta, die überzeugend ihren Hunger nach Lebensfreude, Ausbruch aus ihrer Ehe und nach Leidenschaft aufzeigte. Der Verlust ihres Kindes war ihr jederzeit anzumerken. Habe ich sie bislang immer reichlich unterkühlt erlebt, so wirkt sie hier überraschend anders! Wie ausgewechselt agierte sie mit Volleinsatz und größter Risikofreude. Sehr textbezogen, dynamisch im Vortrag, manchmal leicht gefährdet in der extremen Höhe, gab sie ihrer Rolle alles. Fabelhaft!
An ihrer Seite agierte als wuchtiger Michele Daniel Luis de Vicente mit machtvoll, dunklem Bariton. Es gelang ihm ein vielschichtiges Charakterbild, gleich einem ruhenden Vulkan, der in der Kulmination seines Monologes beeindruckend explodierte. Einzig beim Mord an Luigi wirkte er etwas gebremst. Hier fehlte das völlig Unkontrollierte, wie es z.B. Juan Pons unnachahmlich realisierte. Davon abgesehen war er eine sehr gute Wahl.
Haustenor Aaron Cawley zeigte seine bisher beste Leistung am Haus. Klar und selbstsicher die Darstellung. Den großen Schwierigkeiten seiner vertrackten Partie begegnete er mit staunenswerter Lässigkeit. Zudem öffnete sich seine Stimme herrlich in der Höhe. Leider artikuliert er immer noch verwaschen, so dass ihm immer noch die letzte Wirkung zu herausragender Größe fehlt.
Wunderbare Charaktere schufen die hinreißende Romina Boscolo (Frugola), Wolf Mathias Friedrich (Talpa) und Eric Biegel (Tinca).
In Suor Angelica durften viele Chorsängerinnen kleinere Solopartien übernehmen, was ausnehmend gut gelang.
Olesya Golovneva war eine Idealbesetzung für die schwierige Rolle. Wunderbar lyrisch mit leuchtender Höhe durchmaß sie alle Stationen ihrer fordernden Partie mit größter Identifikation. Und doch war es die überragende Romina Boscolo als Zia Principessa, die sie in die Schranken verwies. Mit pastoser Altstimme und größter Bühnenpräsenz war sie eine perfekte Besetzung auf allerhöchstem Niveau. Verblüffend erinnerte sie zuweilen an die große Fedora Barbieri.
Zu loben ist Fleuranne Brockway für ihre große Wandlungsfähigkeit, die dann als äußerst zickige Ciesca im Gianni Schicchi kaum wiederzuerkennen war. Sie war eine grausam furchteinflößende Äbtissin, die die Szene beherrschte und dazu mit ihrer Stimme gefiel.
Feine Sopranfarben steuerten Stella An (Genoveva)und Britta Stallmeister (Dolcina) bei.
Ein leichtfüßiger Ausklang bot dann schlussendlich „Gianni Schicchi“. Herrlich losgelöst sang und spielte Daniel Luis de Vicente den schlitzohrigen Strippenzieher.
Einmal mehr begeisterte Olesya Golovneva nun als Lauretta. Mit sehr eigener Note verwöhnte sie mit fein abdosierter Dynamik ihr „Oh mio babbino caro“.
An ihrer Seite mit fein schmachtendem Tenor Ioan Hotea als Rinuccio.
Das übrige Ensemble wurde angeführt von der wunderbaren Romina Boscolo als dominate Zita.
Auch aus dem Orchestergraben gab es eine große Überraschung. Selten war das Staatsorchester Wiesbaden derart ausgewogen und subtil zu vernehmen. Da klapperte kein Einsatz, alle Instrumentengruppen harmonierten trefflich miteinander. Die Einsätze, vor allem in den Bläsern gelangen mustergültig. Und auch Gast-Dirigent Alexander Joel wirkte erneuert. Nach seinem äußerst faden Ring-Dirigat überzeugte er hier auf ganzer Linie mit einer fein ausgehörten Interpretation. Immer bei den Sängern, zeigte er viel Nähe zum Impressionismus. Dabei scheute er auch nicht die Härten und Eruptionen. Die dynamische Kontrolle geriet vorbildlich. Einzig beim „Gianni Schicchi“ bereiteten die vielen Taktwechsel dem Orchester noch etwas Schwierigkeiten. Dies mag sich aber noch leicht beheben.
Fazit: Dieser Abend ist eine der besten Opernproduktionen, die Wiesbaden bisher in der Verantwortung Laufenbergs zeigte! Auch die musikalische Einstudierung hat beste Vorarbeit geleistet, da die Sänger ihre Rollen wunderbar textbezogen gestalteten.
Zu loben ist überdies die sehr gute Kameraführung und die feine Tonqualität der Übertragung. Diese Produktion ist in diesem Monat noch mehrmals als Stream auf der Internetseite des Hessischen Staatstheaters buchbar. Unbedingt empfehlenswert. BRAVO an das Hessisches Staatstheater!
Dirk Schauß, 13.5.2021
Bilder (c) Forsters