Aus allen Richtungen waren sie an diesem Mittwochmorgen in Richtung Stadthalle unterwegs. 70 Klassen aus 20 Schulen kamen zum Schulkonzert des Sinfonieorchesters. Das sehr, sehr lebendige Geschnatter im Saal schlug beim Auftritt des Orchesters sofort in frenetischen Applaus um. Geduldig stand der Konzertmeister bis nach genau 112 Sekunden Ruhe einkehrte zum Stimmen der Instrumente.
Juri Teztlaff, Fernsehmoderator, vielen im Saal bekannt, ist er doch ein wichtiges Gesicht bei KIKA (Kinderkanal von ARD und ZDF), verwies auf seine mitgebrachte Weinflasche, in der sich ein Zettel befand. Worum handelt es sich: alle im bis auf den letzten Platz besetzen Saal antworteten unisono: um Flaschenpost. Was auf dem Zettel stand, war nicht leicht zu lesen. Der Dirigent vermutete Noten, die der Hornist tatsächlich spielen konnte und es erklang das Eingangsthema der Sinfonie. Der kurze Text schien in Tschechisch abgefasst zu sein. Tatsächlich fanden sich einige im Publikum, die die Sprache beherrschten. Das Orchester erheischte gespannte Aufmerksamkeit mit den ersten Takten der berühmten Sinfonie und dann erzählte der Entertainer immer in lebendigem Dialog mit der Zuhörerschaft die Geschichte von Antonin Dvorak, der als Professor für Komposition klassischer Musik eines Tages Post aus Amerika erhielt und gebeten wurde, sein Fach in New York zu unterrichten. Klassische Musik aus Amerika gab es 1892 nämlich nicht. In den dortigen Konzertsälen spielte man nur europäische Musik, hielt es aber für wichtig, eigene Musik zu komponieren und zu spielen. Die Entscheidungsschwierigkeiten des in Prag etablierten Antonin Dvorak, das Wellenrauschen, Möwenkreischen und Heulen des Windes auf dem großen Dampfer wurde sogleich unter Juris „Dirigat“ im geteilten Saal und auf den Emporen erstmal sozusagen dreistimmig geprobt. Dann galt es das Gefühlsleben, das Lampenfieber, die unsichere Erwartungshaltung des in zur Neuen Welt aufbrechenden Komponisten in der Sinfonie zu entdecken. Auf Frage des Moderators, welches Gefühl denn Antonin Dvorak auf dem Dampfer bewegt haben mag, antworteten alle 1450 Zuhörer laut und kräftig, und er bestätigte bei mehr als tausend Gefühlen im Saal, daß jedes wahr und richtig sei!
Das junge Publikum war intensiv auf das Konzert vorbereitet worden. Siebzig Klassen hatten die Musiker aus dem Orchester seit November besucht, den Komponisten und die Musik in kurzen Arrangements vorgestellt, die dafür eigens vom Klarinettisten Gerald Hacke geschrieben worden waren. Die traurige Melodie des langsamen Satzes, mit der der Indianerhäuptling Hiawatha seiner verstorbenen Gefährtin Minnehata nachtrauert, kann nur vom Englisch-Horn so seelenvoll gespielt werden. Dass das Instrument zu der Familie der Holzblasinstrumente bzw. der Oboen gehört, wussten alle schon, dass das „Englisch“ im Namen des Instrumentes mit Liebesfuß wahrscheinlich vom französischen cor anglais (gewinkeltes Horn) abstammt, wusste der agile Juri. Immer wieder gab es Applaus, einige Male sogar Sonderapplaus. Da wurden dann auch gleich alle Blechbläser vorgestellt und reckten ihre goldenen Instrumente in die Höhe, ebenso die Klarinetten, nur gut, daß die Kontrabässe dabei außen vor blieben. Nach dem 3. Satz kamen unerwartet rund 30 Kinder auf die Bühne, sie waren eingeladen, mitzuspielen. Blockflöten stellten sich hinter dem Orchester auf, die jungen Streicher mischten sich unter die Profis, währenddessen übte das Publikum schon den Spiritual „Swing low, sweet Chariot“. Da wurde das Sinfonieorchester vorübergehend zur Bigband (Mitspielstück-Arrangement Ingo Luis). Daß im letzten Satz alle Gefühle und Einflüsse musikalisch zusammengefasst wurden, die musikalische Reise also zwischen den Südstaaten, dem mittleren Westen und Böhmen hin und her pendelte, war dem Publikum nach den kurzweiligen und interessanten Erläuterungen von Juri klar und folgte gerne seiner Einladung, beim langen letzten Satz (neun Minuten) die Augen zu Schließen und sich vollständig ihrer Phantasie zu überlassen.
Jugendlich stürmischen, großen Applaus gab es vom begeisterten jungen Publikum für Juri Tetzlaff und für das engagiert wie hochmusikalisch spielende Orchester unter der inspirierenden wie routinierten Stabführung von Motonori Kobayashi (sei Jahren 1. Kapellmeister am Theater Dortmund). Nach diesem beeindruckenden Konzert, welches gerade in jetzigen Zeiten alle zu intensivem, gemeinsamen kulturellem Miteinander geführt und zusätzlich 80 Minuten ohne digitalen Konsum ermöglicht hat, wird deutlich, dass die Educations-Arbeit des Orchesters kaum überschätzt werden kann. Und das Interesse ist groß. Beim Verlassen der Halle kollidierten die Besucherströme schon mit dem Publikum des sich anschließend 2. Konzertes. Die Schulkonzerte werden dankenswerterweise unterstützt vom Lions Club Corona, der in diesem Jahr sein 20. Jubiläum feiert.
Johannes Vesper, 6. Februar 2024
Besonderer Dank an unsere Freunde von den MUSENBLÄTTERn
Abenteuer Amerika
Musik von Antonin Dvořák
Historische Stadthalle Wuppertal
31. Januar 2024
Juri Tetzlaff, Moderation
Motonori Kobayashi, Dirigent
Schulkonzert des Sinfonieorchesters Wuppertal