Auf ihrer jährlichen Tournee kam die Deutsche Streicherphilharmonie direkt aus der Berliner Philharmonie nach Wuppertal. Das Orchester feiert aktuell sein 50jähriges Jubiläum und war eingeladen worden vom Lions Club Wuppertal Corona und der Bergischen Musikschule, spielen doch drei Schülerinnen von Roswitha Dasch, Dozentin in Wuppertal, in diesem Orchester mit (siehe hier). Es wurde 1973 als Festivalorchester anläßlich der „X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ in Ost-Berlin gegründet und bietet als Auswahlorchester der deutschen Musikschulen besonderen Talenten derselben die Möglichkeit Orchestererfahrung auf hohem Niveau zu sammeln. Mitglieder des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB) unterstützen als Paten die jungen Musiker (11-19 Jahre). 2021 waren sie unter Marek Janowski zum 1. Mal im Tal. Diesmal spielten sie unter Leitung ihres Chefdirigenten (seit 2013) Wolfgang Hentrich, dessen Position übrigens 1995-2002 der ehemalige Wuppertaler Generalmusikdirektor Hanns-Martin Schneidt innehatte. Bewegend sprach Wolfgang Hentrich am Ende über das Orchester als Projekt der Deutschen Einheit, die mit diesem Ensemble kulturell in sympathischster Weise vollzogen und erlebt worden ist.
Schon mit dem überraschend vollen wie weichen und präsenten Akkord zu Beginn des Präludiums „Aus Holbergs Zeit“ von Edward Grieg (1843-1907) zeigte sich die Klasse dieser Musiker, welche höchst aufmerksam wie konzentriert das konzise und inspirierende Dirigat ihres Chefdirigenten musikalisch umsetzten. Neben dem Orchester feierte auch der Lions Clubs Corona ein Jubiläum, nämlich sein 20jähriges Bestehen. Deswegen realisierte mit diesem Konzert der einzige Damen-Lionsclub Wuppertals eine seiner Herzensangelegenheiten. Jugendlichen aus Wuppertaler Brennpunktschulen sollte der Besuch von Schulkonzerten des Sinfonieorchesters Wuppertal ermöglicht und Begeisterung für die Musik geweckt werden.
Gideon Klein (1919-1945) hatte sein eigens Streichtrio 1944 im Konzentrationslager komponiert aber nie gehört. Der Komponist wurde am 27.01.1945, dem Tag der Befreiung des KZ Auschwitz unter unklaren Umständen dort umgebracht. Inzwischen werden seine Werke zunehmend gespielt und das Streichtrio für Streichorchester bearbeitet. Schnelle Violinen zu Beginn erinnerten bei fast virtuoser Stimmführung an einen böhmischen Bauerntanz. Ernst stimmte im langsamen 2. Satz die Solovioline mit großem Ausdruck ein trauriges Liedthema an, welches vom Solistenquartett der ersten Pulte makellos ausgebreitet wurde bevor es nach Verdichtung über langem Orgelpunkt zuletzt verdämmerte. Synkopisch furios sauste, voran marschierend, der 3. Satz los. Von dem komplexen Werk war das jugendliche Orchester begeistert, spielte mit Verve und tiefem Ausdruck dieses eindrucksvolle Werk des unglücklichen 25-jährigen.
15 Jahre alt war Mozart, als er seine Streicherserenade KV 137, vielleicht ursprünglich als Streichquartett, komponierte. Mit dem jugendlichen Feuer und der stürmischen Leichtigkeit des Lieblingskomponisten von Peter Tschaikowski wurde das Publikum in die Pause entlassen.
Im 2. Teil des Konzertes las Nina Hoger, seit Jahrzehnten mit Filmen im Fernsehen wie mit Lesungen im Rilke-Projekt zu Hause und auch in Wuppertal keine Unbekannte, zwischen den Sätzen der Streicherserenade op. 48 von Peter Tschaikowsky (1840-1893) aus dessen Briefwechsel mit seiner neun Jahre älteren Mäzenin und Seelenfreundin Nadeshda von Meck, die ihm geschrieben hatte: „Mir aber ist meine Freude an Ihrer Musik so teuer…. Wohl wahr! Ab 1876 hat die Mutter von 12 Kindern ihn finanziell großzügig unterstützt. Persönlich sind sich die beiden nie begegnet, haben sich aber 1204 Briefe gegenseitig geschrieben. 1877 glaubte Tschaikowski durch Heirat von seiner Homosexualität ablenken zu können und … „jenem niederträchtigen Gesindel den Mund zu stopfen“ (Brief an Frau von Meck 4.10.1976). Seiner Psyche half das nicht. Aus „Trankopfern für Bacchus“ wurde eine manifeste Alkoholkrankheit und es kam schließlich zu einem mißglückten Selbstmordversuch. Den nächtlichen Gang in die eiskalte Moskwa 1877 hat er wie dann auch die schwere Lebenskrise mit der moralischen Unterstützung seiner Muse überstanden.
Der Briefwechsel bietet eine wichtige Quelle für die Biografie und das Werk des Komponisten. Warum der Briefwechsel mit Peter und ihre Unterstützung 1890 abrupt endete, weiß man nicht. Die passionierte Musikfreundin hatte zeitweise auch Claude Debussy in ihrem Haushalt eingestellt, bis der ihre 15jährige Tochter heiraten wollte. Später war sie an Tuberkulose erkrankt und starb wenige Monate nach Tschaikowski vermutlich in einer Wiesbadener Klinik. In den eher literarischen als leidenschaftlichen Briefen bekannte Tschaikowski seine Sehnsucht nach Ruhm und Erfolg, schwärmte von der Musik Mozarts, die ihn erquicke und jünger mache. Seine Streicherserenade hatte er in dem ukrainischen Dorf Kamenka (heute Kamjanka) südlich von Kiew komponiert, wo er auf einem Landsitz der Freundin immer wieder die Sommerferien verbracht hatte. Er verstand sie als „Tribut seiner Verehrung an Mozart“, dessen Leichtigkeit und Eleganz er mit russischer Seele und inniger Romantik verbunden hat, und hielt sie für das Beste, was er je geschrieben habe. Eduard Hanslick, der berühmte wie miesepetrige Musikkritiker aus Wien, war da ganz anderer Ansicht und von ihr eher gelangweilt. Das Publikum heute aber war begeistert von der reichen Melodik und dem Spiel der Klänge. Natürlich wurde der 2. Satz wie vorgeschrieben „süß und sehr graziös“, schwebend zwischen Sentimentalität und Eleganz gespielt. Die musikalische Reife der jungen Musiker wurde sehr deutlich auch in dem elegischen 3. Satz mit Totenklage und Liebesduett (Cello und Violine), oder wenn im 4. Satz russische Volkslieder, darunter das Lied „Unterm grünen Apfelbaum“, durcheinanderwirbeln.
Nach großem Applaus gab es drei Zugaben, die gleicht hintereinander gespielt wurden. „Nimrod“ aus den Enigma-Variationen (Edward Elgar) für die Seele, „We are the Champions“ für den Spaß und zuletzt nach einer wirklich eindrucksvollen Solo-Violineinlage des Dirigenten bzw. Konzertmeisters der Dresdner Philharmoniker mit frappierenden Spiccato-Arpeggien brach Vivaldis „Sommer“ aus in affenartigem Tempo. Hier wechselten Dirigent und Konzertmeisterin des Orchesters die Plätze. Da tobte virtuoser Barock durch den Saal. Mit frenetischem Beifall geriet das Publikum vollends aus dem Häuschen. Ein grandioses Konzert und eine bemerkenswerte Aktivität des Lions Club Corona!
Johannes Vesper 4. November 2023
Dank an unsere Freunde von MUSENBLAETTER (Wuppertal)
Historische Stadthalle Wuppertal
4. November 2023
Deutsche Streicherphilharmonie