Kaffeegeschirr, Blumen und anderes mehr auf der Orchesterbühne? Nach konzentrierter Stille begannen mit schwebendem Pianissimo der sieben Instrumente die „Nouvelles Aventures“ von György Ligeti (1923-2006). Unvermutet und plötzlich erschreckte ein kurzer baritonaler Schrei (Andrew Hamilton). Dann flogen Richtung Schlagzeug die Rosen aus ihrer Vase, die zum Stopfen des Horns gebraucht wurde. Inzwischen plapperten beide Soprane (Juliana Zara, Dorottya Láng) zusammen mit dem Bariton hoch virtuosen, geschwinden Unsinn. Unter stotterndem Lachen aller drei und spitzen Schreien der Soprane nahm das Gesamtkunstwerk auf der Grenze zwischen Musik, angedeuteter Pantomime und Text Fahrt auf. Ligeti sprach bei seinen phonetischen Klangäußerungen, zusammenhanglos gereihten, stotternden Silben ohne Reime und vor allem ohne Sinn von „abstrakt-konkreten‹ Sprach-, Gesangs-, Geräusch- und Musikstücken“. Das erinnert an den Otto von Ernst Jandl, dessen mops auch trotzt, kotzt und koks holt, aber nicht singt. Hier sangen die Solisten und verfremdeten ihre Stimme, in dem sie sich durch lange Papprohre ihres Klangs entäußerten. Beim Wurf des schönen bunten Kaffeegeschirrs in die Tiefe und seinem Zerscheppern dort wurde der Unsinn quasi galoppierend. Da ließ sich das Publikum nicht lumpen und startete unvermutet dazu eine Mobiltelefonklingel. Solche Texte und musikalischen Einfälle leben vom Vortrag und Musik. Alle drei Solisten faszinierten mit brillanter Stimm- und Sprechtechnik das begeisterte Publikum, welches sich zum ersten Mal mit großem Applaus bedankte.
Es folgte als 2. Programmpunkt die „Kleine Nichtmusik“ von P.D.Q. Bach, der ausschließlich lexikalisch 1742 als Sohn des großen Johann Sebastian geboren wurde. Hinter diesem Bach steckt der amerikanische Komponist und Arrangeur Peter Schickele (geb 1935), dessen erfundener Bach neben der „kleinen Nichtmusik“ auch Pervertimentos, Erotica-Variationen und vieles andere mehr komponiert hat. In seiner „Kleinen Nichtmusik“ persifliert er Wolfgang Amadeus Mozart, läßt dessen Serenade Nr. 13 KV Nr. 535 original spielen und mischt dazu Beethoven, Dvorak, Offenbach, Rachmaninoff, mehrfach auch Mozart selbst, vieles anderes oft auch zusammen und gleichzeitig, schreckt auch vor „Tristan und Isolde“ nicht zurück (Premiere am 22.10.23 im Barmer Opernhaus!) Die Zitate wurden zeitgerecht hinter das Orchester auf eine Leinwand projiziert, so daß das außerordentlich amüsierte und begeisterte Publikum die Ohrwürmer leicht identifizieren konnte. Das Wolfgangerl hätte vermutlich seinen Spaß an dieser Persiflage gehabt. Was wird denn zu Karneval gespielt?
Mozart jedenfalls wird wohl auch den Komponistenkollegen Ligeti und dessen Gesamtkunstwerk nahe gestanden haben, hatte er doch selbst Unsinnsgedichte und freche Briefe an sein Bäsle geschrieben und z.B. in KV 231 einen wunderbaren durchaus derb fäkalerotischen Kanon komponiert. Auch in „Bona nox kombiniert er sprachlichem Nonsens mit musikalischem Witz. Und schon Johann Sebastian Bach hatte sich mit seinem „Quodlibet“ BWV 524 dieses Genres angenommen. Musik und Witz haben eine lange gemeinsame Tradition.
Mit „Le Grand Macabre“ wurde heute die Musikgeschichte weiter durch den Wolf gedreht. Da ging es nicht um den makabren, wirklich desolaten Zustand der Welt von heute mit Kriegen, Umweltkatastrophen, Migration von Millionen Menschen und vielen Toten in Lastwagen, im Mittelmeer, in der Ukraine sondern um eine Oper (Uraufführung 1978) von Michael Meschke und György Ligeti nach dem gleichnamigen Schauspiel von Michel de Ghelderode (1898-1962). Es geht um wunderbar absurdes Theater: Breughel, Hieronymus Bosch oder James Ensor haben diese Welten in ihren Bildern schon vorweggenommen. Da geht es um Tod, Suff, Laster, Sex, Gepopo (die geheime politische Polizei), Kabale, Ironie, Tragik, und seit dieser Oper wissen wir, daß es im Himmel nach dem Tod genauso weitergeht wie zuvor auf der Erde. In drei Arien für Koloratursopran wurde diese umfassende Weltsicht sozusagen kondensiert und konzentriert. Die jahrhundertealte Musikgeschichte erscheint hier musikalisch zum reinen Nonsens gebrochen, ironisch verfremdet mit Zitaten, Pseudozitaten, Pop Musik, Türklingeln, Bürsten der Flügelsaiten und sehr, sehr tiefen Posaunenlauten. Die trefflich agile, stimmlich auch in höchsten Höhen souveräne Juliana Zara bezauberte mit dieser Musik das Publikum, vertrieb gelegentlich sogar den Generalmusikdirektor von seinem Pult. Der drehte sich zum Publikum um und beklagte sich bitter. Der Text war jedenfalls ernst wie verrückt, hier ein Ausschnitt: „Morbid! Perfid! Bedrohlich! Gefährlich! Tödlich. Maßnahmen! Maßnahmen! Maßnahmen? Maßnahmen? Kukuridu! Kikeriki! Er kommt. Er kommt… „. Frenetischer Applaus war die Folge, sodaß es vor der Pause noch eine Zugabe gab. Mit der Arie „Glitter and be gay“ (Candide, Leonard Bernstein) und ihren strahlenden Koloraturen riß sie das Publikum endgültig hin, welches sich mit langem Applaus erneut bedankte. Blumen gab es für alle Solisten.
Josef Haydn (1732-1809) hatte sich bereits seit seinen mittleren Streichquartetten mit „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ intensiv befaßt. Sein musikalischer Humor, seine Regelbrüche, Ausbrüche aus Gewohntem, die unerwarteten Kontraste und eingestreute Generalpausen waren bereits seinerzeit legendär. Die Sinfonie mit dem Paukenschlag ist das bekannteste Werk dieser Art. Nach der Pause wurde seine Sinfonie Nr. 104 in D-Dur von 1795 gegeben. Die Uraufführung hatte das das Londoner Publikum aus dem Häuschen gebracht, auch den Komponisten. „machte er doch an diesem Abend viertausend Gulden“. Tatsächlich krönte diese letzte, wenn man so will, Haydns sinfonisches Werk. Mit ernsten großen Quint- und Quart-Fanfaren im Adagio und fast zu mächtigen Paukenschlägen wird im Allegro dann zunächst piano ein eher lyrisches Thema entwickelt. Das Orchester musizierte höchst kultiviert und durchsichtig mit differenziertester Agogik unter der jetzt unangefochtenen Stabführung von Patrick Hahn. Trotz schlanker Besetzung und Naturhörnern /Naturtrompeten ließ die Lautstärke gelegentlich schon die Symphonik des 19. Jahrhunderts erahnen. Auch das flotte Menuett (3. Satz) mit virtuos solistischen Passagen verschiedener Holzbläser hatte mit höfischer Etikette nichts mehr zu tun. Folklore und Musikgenuß pur gab es im schnellen Finale. Nicht nur seinerzeit in London, auch in Wuppertal war man ob dieser glänzenden Eröffnung der 161. Konzertsaison enthusiastisch verzückt.
Johannes Vesper 11. September 2023
Besonderer Dank an unsere Freunde von den Musenblättern (Wuppertal)
Wuppertal
Konzert in der Stadthalle
10. September 2023
Dirigent : Patrick Hahn
Sinfonieorchester Wuppertal