Bremerhaven: „My Fair Lady“, Frederick Loewe

Schon die Premiere war ein riesiger Erfolg. Und auch die von mir besuchte zweite Aufführung von Frederick Loewes Musical My Fair Lady war restlos ausverkauft. Das Publikum jubelte und feierte alle Mitwirkenden mit stehenden Ovationen. Diese Produktion dürfte für das Stadttheater Bremerhaven der Renner der aktuellen Spielzeit werden.

© Wolfgang kurima Rauschning

My Fair Lady nimmt in der Gattung Musical eine ähnliche Stellung ein wie die „Fledermaus“ bei den Operetten – ein zeitloser Klassiker ohne auch nur eine einzige Schwachstelle mit einem Buch voller Witz und einem Füllhorn an Musik.

Regisseur Toni Burkhardt tat gut daran, das Stück auch als Klassiker zu inszenieren und auf Modernisierungen oder Eingriffe in den deutschen Text von Robert Gilbert zu verzichten. So bleiben die arroganten, respektlosen und teils frauenverächtlichen Sprüche des Phonetik-Professors Henry Higgins erhalten. Die gehören einfach zu der Figur. Higgins ist nämlich scheinbar völlig empathielos und nur auf sein Experiment mit der Blumenverkäuferin Eliza Doolittle fixiert, die er nach seinem Sprachunterricht in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen präsentieren will. Das gelingt, aber Eliza emanzipiert sich dabei von der treuherzigen Göre zu einer selbstbewussten Frau. Damit hatte der Professor nicht gerechnet…

Obwohl sich Burkhardt an das Original hält, ist seine Inszenierung aber keineswegs altbacken. Ganz im Gegenteil – sie hat Witz und Tempo, sie glänzt mit ausgefeilter Spielfreude und hervorragenden Tanzszenen. Choreographin Kati Heidebrecht hat da ganze Arbeit geleistet. Das Bühnenbild von Wolfgang Kurima Rauschning ist bonbonbunt und sehr poppig. In der Mitte der Drehbühne befindet sich ein Objekt, das an einen riesigen Grammophontrichter erinnert. Im Hintergrund sind Prospekte zu sehen, die mit Big Ben oder dem Ascot-Pferderennen den Schauplatz London markieren. Das ist eine ästhetisch sehr ansprechende Lösung. Die Kostüme (Hüte beim Pferderennen!) von Susana Mendoza sind fantasievoll und gelungen.

© Wolfgang kurima Rauschning

Mit Dirk Böhling ist der Professor Higgins absolut typgerecht besetzt. Er verkörpert das narzisstische Wesen und die selbstgefällige Art der Figur sehr überzeugend und stimmig. Mit seinen gesanglichen Aufgaben kommt er gut zurecht, nur seine Diktion könnte etwas deutlicher und pointierter sein. Victoria Kunze ist als Eliza zum Dahinschmelzen. Mit ihrer Kodderschnauze ist sie eine perfekte Besetzung: für das Blumenmädchen: frech und mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Wenn sie endlich ihr „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“ hinkriegt und bei „Ich hätt‘ getanzt heut Nacht“ ihren schönen und wandlungsfähigen Sopran entfalten kann, bleiben keine Wünsche offen. Elizas Vater, der Müllkutscher Alfred P. Doolittle, wird von Ulrich Burdack verkörpert. Er gibt ihn mit sympathischer Schlitzohrigkeit und wirbelt bei seinen beiden Nummern „Mit ‘nem kleenen Stückchen Glück“ und „Bringt mich pünktlich um Altar“ beweglich über die Bühne. Burdack überzeugt als Doolittle auf ganzer Linie.

Kay Krause ist als Oberst Pickering mehr als nur Stichwortgeber. Er agiert dezent aber stets mit Präsenz. Ihm zur Seite wirkt Iris Wemme-Baranowski als Mrs. Pearce. Andrew Irwin sieht als Freddy mit seiner blonden Mähne aus wie Dieter Thomas Kuhn (falls sich noch jemand erinnert). Für seine herrliche Arie „In der Straße lebst du“ hätte man sich ein bisschen mehr Schmelz gewünscht. Einen starken Auftritt als Mutter des Professors hat Isabel Zeumer mit süffisanter Ironie.

© Heiko Sandelmann

Für die musikalische Qualität ist Hartmut Brüsch am Pult des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven immer ein Garant. Seine Wiedergabe zeichnet sich durch Schwung und Präzision aus. Besonders den Walzer in der Ballszene kostet er mit Raffinesse aus. Fazit: Drei Stunden beste Unterhaltung.

Wolfgang Denker, 20. November 2024


My Fair Lady
Musical von Frederick Loewe

Stadttheater Bremerhaven

Premiere am 2. November 2024
besuchte Aufführung am 17. November 2024

Inszenierung: Toni Burkhardt
Musikalische Leitung: Hartmut Brüsch
Philharmonisches Orchester Bremerhaven

Weitere Vorstellungen: 23.November, 18., 21. 31. Dezember 2024,

5., 9., 17. Januar,7., 23 Februar,8., 23. März 2025