Aufführung im Stadttheater Fürth am 04.06.2019, Premiere 28.08.18
Tolle Stimmen und eine sehr gewöhnungsbedürftige Inzenierung
Um es vorweg zu nehmen, ich liebe die „Carmen“ und ich weiß nicht, wie oft ich sie schon gesehen habe. Und auch heute war wieder eine tolle „Carmen“ aus Meiningen auf dem Spielplan. Wobei ich mich dabei ertappt habe, dass ich ab und zu die Augen zugemacht und nur der herrlichen Musik und den Stimmen gelauscht habe. Ich gebe unumwunden zu, dass mich die Regieeinfälle von Jasmina Hadžiahmetović in keinster Weise berührt noch überzeugt haben. Ich gebe gerne zu, dass ich eine konventionelle Inszenierung mit der Zigarettenfabrik, dem Schmugglerlager, dem Platz vor der Arena, in der der Stier getötet wird bevorzuge. In ihrer Vita schreibt die in Sarajevo geborene und seit 1992 sich in Deutschland befindende Künstlerin, dass für sie die Umsetzung von Konzepten mit politischen Themen der Gegenwart entscheidend sind. Die Regisseurin bringt eine nach vorne geneigte Spielfläche, die von Glühbirnen umrahmt ist, auf die eigentliche Bühne. Diese Gestaltung hat sie gemeinsam mit Christian Rinke entworfen. Alles wird auf dieser Spielfläche nur angedeutet. Eine Unmenge von oben herabkommenden Tüchern soll die Zigarettenfabrik andeuten. Ein großer Stierkopf auf dieser Bühne, mit dem ausgiebig gespielt wird, eine Tür, die einem Salon aus dem Western entsprungen sein könnte, das war es. Mit einfachsten und geringsten Mitteln wird hier gearbeitet. Gut, diese Art der Inszenierung hat den Vorteil, dass man sich mehr auf die Musik und vor allem auf die Sänger konzentrieren muss. Dies ist ein großer Vorteil, vor allem, wenn so ausgezeichnet gesungen wird.
Carolina Krogius und Chor
Es gibt keine Rezitative, zwischendurch lässt sie als Sprecherin Anja Lenßen lyrische Gedanken der beiden expressionistischen Dichterinnen Else Laske-Schüler und Edith Södergran zu Gehör bringen. Kann man machen, für mich nichts, was ich besonders herausstellen kann. Die Chöre beziehungsweise die Choristen, einstudiert von Martin Wettges und André Weiss, wackeln bei ihren Auftritten hemmungslos mit den Köpfen hin und her, dass einem Angst und bange wird und sie einem schon richtig leidtun. Die Kostüme sind von Christian Robert Müller sehr unterschiedlich entworfen. Carmen tritt zum Beispiel bei ihrem ersten großen Auftritt in einem knallroten rauschenden sehr schönen Kleid auf, während sie später in einem Hosenanzug mehr wie die Chefin eines Großkonzerns wirkt. Den Zuschauern hat es scheinbar gefallen, ich habe zu dieser Art der Inszenierung leider keinen Zugang gefunden.
„Carmen“ ist nunmehr auch schon 144 Jahre alt und hat von seinem Charme und seiner Durchschlagskraft nichts verloren. Um es vorwegzunehmen, viel Zwischenbeifall und fast nicht endend wollender Schlussapplaus zeugten davon, dass das Publikum zufrieden war, zufrieden vor allem mit der musikalischen Seite des Werks. Die Meininger Hofkapelle wird von GMD Philippe Bach geleitet. Er, der aus Saanen in der Schweiz stammt und seit nunmehr acht Jahren das Zepter des Chefdirigenten in Meiningen in der Hand hat, weiß, wie er seinen Bizet gestalten muss. Souverän hate er seine Musiker im Griff, er lässt teilweise aufbrausend musizieren, schnörkellos gestaltet er die Partitur, wohl sich bewusst, die Orchesterwogen dann etwas zurückzunehmen, wenn es die sängerischen Anstrengungen erfordern. Eine rundum ausgezeichnete Leistung mit einem ausgezeichneten Orchester. Das Ganze kann aber nur seinen vollkommenen Zauber entfalten, wenn auch die Sänger entsprechend auftreten können. Und auch hier kann man in Fürth vom Meininger Staatstheater, wie fast immer, nur Gutes sagen. Die Mezzosopranistin Carolina Krogius ist eine beeindruckende Carmen. Die aus Finnland stammende Sängerin ist seit acht Jahren in Meiningen und sie singt die Carmen nicht nur, nein, sie gestaltet sie leidenschaftlich in beeindruckender Manier. Mit kraftvollem, leuchtendem, hellem Mezzosopran kostet sie jeden Moment der Rolle aus. Sie kann aber auch darstellerisch voll überzeugen und macht das leidenschaftliche Vollweib, die auf niemanden Rücksicht nimmt, am wenigsten auf sich selbst, glaubhaft. Sie, die sich nicht unterordnen will, die selbst bei drohender Gefahr einen grausamen Tod zu sterben, sich nicht verbiegen kann. Mit flirrender Leuchtkraft, stimmlich überaus flexibel, mit warmer aber auch kraftvoller Stimme bringt sie eine exzellente Carmen auf die Bühne, bei der man weiß, warum sich die Männer reihenweise in sie vergucken. Den tosenden Beifall des begeisterten Publikums hat sie sich redlich verdient.
Ondrej Saling – Carolina Krogius
An ihrer Seite der in Zlaté Moavce in der Mittelslowakei geborene Tenor Ondrej Saling. Er, der seit drei Jahren in Meiningen engagiert ist, nennt einen hellen, klaren, strahlenden und durchaus zu Aufbrüchen fähigen Tenor sein eigen. Darstellerisch ein bisschen zu zurückhaltend, sich zu sehr zurücknehmend, könnte er mit etwas mehr Leidenschaft noch weiter punkten, aber auch so ist es eine über dem Durchschnitt liegende Leistung, die er an diesem Abend in Fürth abliefert.
Als draufgängerischer Stierkämpfer Escamillo steht der in Tottori in Japan geborene Shin Tanigujchi auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Sein gepflegter Bariton besitzt die notwendige Strahlkraft; ist wuchtig, kraftvoll, sehr flexibel, strahlt stimmliche Wärme aus und ist auch ein sehr guter Sängerdarsteller. An diesem Abend ist aber auch er für mich im Spiel etwas zu sehr zurückhaltend, was aber dem überaus positiven Gesamteindruck keinen Anbruch tut. Als Micaela ist die aus der Türkei stammende und über sieben Jahre in Meiningen auftretende Elif Aytekin zu erleben. Und sie ist ein wahres Juwel und Meiningen kann sich glücklich schätzen sie schon so lange erleben zu dürfen. Mit klarer, schlanker Stimme, mit glockenhellen Tönen, völlig unangestrengten Höhen und zartestem Piano, wunderbar warm und weich gestaltet sie die Rolle. Dazu kommt ihr glaubhaftes Spiel, anrührend, überzeugend. Ich gebe gerne zu, dass ich mich immer freue, wenn ich diese Ausnahmekünstlerin erleben darf. Riesiger Beifall ist für eine tolle Leistung durch das Publikum der wohlverdiente Lohn.
Monika Reinhard, die aus Köln stammende Sopranistin, gibt mit weicher, zarter, aber dennoch durchschlagender Stimme die Mercedes und Kylee Slee steht ihr in nichts nach. Die US-amerikanische Altistin, die in Las Vegas geboren wurde, ist seit diesem Jahr Chormitglied in Meiningen und gestaltet ihre kleine Soloparte sehr gut. Der finnische Bass Mikko Järviuoto gibt den Leutnant Zuniga ohne Fehl und Tadel, so wie auch Robert Bartneck, der in Hannover geborene und sich in der ersten Saison in Meiningen befindliche Tenor seine Partie als Remendado tadellos abliefert. Ebenfalls sei noch Giulio Caselli, aus dem norditalienischen Ferrara kommend erwähnt, der sich rollendeckend einfügt, ebenso wie Youngkyu Suh als Dancairo. Er der in Seoul in Südkorea geboren wurde ist seit zwei Jahren Chormitglied und gestaltet problemlos auch kleinere Rollen. Es gibt also musikalisch keinerlei Ausfall zu verzeichnen und ein begeistertes Publikum belohnt dies mit tosendem Applaus.
Youngkyu Suh – Monika Reinhard – Carolina Krogius – Marianne Schechtel – Robert Bartneck
Wenn man nun einmal von der Inszenierung absieht, und ich gebe gerne zu, dass dies natürlich eine reine Geschmackssache ist, war es ein musikalisch erfüllter Abend. Mich hat die Inszenierung halt nicht vom Hocker gerissen und ich konnte auch vieles der Deutungen der Regisseurin nicht so ganz verstehen, aber dem Publikum hat es gefallen. Und das ist ja die Hauptsache, dass das Publikum zufrieden ist, sich ein paar Stunden von den Alltagssorgen hat ablenken lassen und sicherlich wieder einmal in die Oper oder auch in die Operette gehen wird. Für mich war es auf jeden Fall eine stimmlich beeindruckende Carmen, die man gerne gehört hat.
Manfred Drescher, 10.06.2019
Fotos: Marie Liebig, Meiningen