Nach der Premiere an der Volksoper Wien (2006) und der Wiederaufnahme an der Grazer Oper im Jahre 2007 brachte Intendant Josef E.Köpplinger seine Inszenierung nun ins eigene Haus und feiert auch hier einen deutlichen Publikumserfolg. Wilhelm Kienzls Oper, uraufgeführt 1895 in Berlin, war um die Jahrhundertwende ein Welterfolg: übersetzt in 16 Sprachen wurde das Werk damals über 5300 mal weltweit aufgeführt. Sie ist auch heute publikumswirksam, sofern das Brüderpaar überzeugende Sängerpersönlichkeiten sind. Dies war in der Klagenfurter Repertoireaufführung der Fall!
Johannes Chum, der aus der Alten Musik und den Mozart-Partien in das jugendlich-dramatische Fach wächst, ist mit seinem klartimbrierten unverwechselbaren Tenor ein glaubwürdiger und nie larmoyanter, ja idealer Interpret der Titelpartie.
Das Copyright aller Bilder liegt beim Stadttheater Klagenfurth
Hans Gröning überzeugt vor allem im 2.Akt mit seinem kräftigen, sehr gut sitzenden Bariton und ausgezeichneter Artikulation. Dazu kommt Anna Agathonos
mit pastosem Alt und ruhiger Bühnenpräsenz. Die nicht sehr dankbare (weil auf den ersten Akt beschränkte) Sopranpartie singt wie in der Wiener Premiere Alexandra Reinprecht. An diesem Abend wirkte sie etwas distanziert. Ihre Stimme (diesmal mit deutlichem Tremolo) passte auch nicht recht zu Chums „geradem“ Tenor.
Sonst gab es stimmlich Unterschiedliches:
Man freute sich an der Wiederbegnung mit Ks. Peter Wimberger, der an der Wiener Staatsoper alle großen Partien des heldischen Bassbaritonfachs gesungen hatte und nun mit über siebzig Jahren eine prägnante Episodenfigur als Bürger Aibler auf die Bühne stellte. Der kernige Bassbariton des Schnappauf von Derrick Ballard fiel positiv auf.
Sehr gut der Chor und vor allem der Kinderchor. Die musikalische Leitung hatte Michael Brandstätter – der erste Akt zerfiel etwas, was auch am Stück liegen mag. Im zweiten Akt hingegen gelang es ihm, mit dem solide spielenden Orchester dichte Spannung zu vermitteln.
Die Inszenierung verlegt das Stück aus den im Libretto vorgesehenen Jahren 1820 bzw.1850 in die Zeit um 1900 und 1930. Hier kann ich mich nur uneingeschränkt dem anschließen, was Dominik Troger im „Neuen Merker“ schon bei der Wiener Premiere geschrieben hat:
“Anliegen der Regie war es offensichtlich, einen zeitgeschichtlichen Rahmen zu finden. Dazu hat das Regieteam um Josef Ernst Köpplinger nicht die Hauptpersonen genutzt, sondern die Genreszenen. Der schon erwähnte Schneider Zitterbart wird zum Juden und muss für eine brutale antisemitisch-motivierte „Ab-Reaktion“ der St. Othmarer Bevölkerung herhalten. Ihm wird ziemlich eingeschenkt und die an sich harmlose Dorfneckerei wird zum anklagenden Auftakt eines christlich-sozial verbrämten Antisemitismus umgebaut. Davon gabs bekanntlich „um 1900“ genug – aber es ist natürlich festzuhalten, wo die Interpretation anfängt und wo Kienzls Textvorlage aufhört. Weil die Volksempörung musikalisch kaum einen solchen Hassausbruch motiviert, hat man offenbar noch Zwischenrufe eingebaut, um die Szene dramatischer auszuschmücken. Sie gewann dadurch zwar stark an Konturen – entfernte sich aber entsprechend weit vom ursprünglichen Handlungsfaden. Im zweiten Aufzug wird regiegemäß der Austrofaschismus bemüht, Heimwehrmänner versuchen – während Magdalena und Mathias einander ihre Herzen ausschütten – einen Juden „abzuholen“
Insgesamt überzeugt die Regie durch genaue Personenführung – die „Aktualisierung“ war absolut unnötig und es stimmt das, was in der zitierten Kritik steht: „Für die Besprechung dieser Inszenierung ist wichtig anzumerken, dass Kienzl dieses „Selig sind, die Verfolgung leiden“ nur am individuellen Schicksal der Hauptfiguren festmacht. Es gibt keine daraus abgeleiteten politischen Botschaften. Die Verhöhnung des Schneiders im Kegelbild hat Genrecharakter – und spielt mit den typischen Schneider-Klischees, die man auch aus den Grimm’schen Märchen kennt.“
Die Bühnenbilder von Johannes Leiacker und die Kostüme von Marie-Luise Walek sorgen im zweiten Akt für dichte Atmosphäre. Unverständlich hingegen das bayrische Bauernbarock im ersten Akt mit felsigen Bergspitzen und Oktoberfest-„Charme“, wo dieser Akt doch in Niederösterreich an der Donau spielt ……
Aber trotz dieser Einwände insgesamt eine sehr erfreuliche Aufführung, wie die atemlose Aufmerksamkeit des Publikums im zweiten Akt und der lebhafte Beifall bestätigten.
Hermann Becke, 12.02.2012
Die Biographien der Ausführenden sind nachzulesen in:
Weitwere Fotos der Klagenfurter Aufführung:
Es gibt auch eine DVD der Produktion ( allerdings mit der Wiener Besetzung):
http://www.capriccio.at/der-evangelimann