Klagenfurt: „Der Rosenkavalier“

Premiere: 19. September 2013

Sehr respektable Saisoneröffnung

Florian Scholz hatte – von der Bayrischen Staatsoper kommend – die Intendanz des Dreispartenhauses in Klagenfurt ab 2012/13 übernommen und seine erste Saison unter das Motto „Naturgewalten“ gestellt. Auch für die Saison 2013/14 gibt es ein Motto – dazu ein Zitat aus den Presseunterlagen des Hauses:

„Die zweite Spielzeit der Intendanz von Florian Scholz steht unter dem Thema reich & glücklich – jede Produktion befasst sich in der einen oder anderen Form mit der Frage nach dem Glück und seinen Bedingungen.“ Scholz hatte bei der Präsentation des Jahresprogramms 2013/14 eingeräumt, dass die erste Saison nicht einfach gewesen sei. (Das ist auch in den Berichten des „Opernfreundes“ nachzuvollziehen!) Die Auslastung des Hauses war von 88% auf 76% zurückgegangen, man hatte über 100 Abonnenten verloren – also wolle man in der neuen Spielzeit „Schritte in Richtung Publikum setzen.“

Und dies ist der Intendanz mit der Eröffnungspremiere zweifellos gelungen. Das Wagnis, im kleinen Klagenfurter Stadttheater erstmals den Rosenkavalier auf die Bühne zu bringen, hat sich gelohnt – das ausverkaufte Haus hat die Produktion mit reichem und uneingeschränktem Beifall aufgenommen.

Das Team dieser Klagenfurter Erstaufführung war geschickt zusammen gestellt. Dirigent, Regisseur und die drei Protagonistinnen: alle um die Dreißig, alle Rosenkavalier-Neulinge – und dazu zwei erfahrene Routiniers als Ochs und Faninal.

Der Regisseur Marco Štorman stützt sich in seiner Interpretation auf ein Hofmannsthal-Wort, wonach der Rosenkavalier „ein halb imaginäres, halb reales Ganzes“ sei und schreibt im Programmheft:

„Ich wollte unbedingt ein Bild finden, das diese Reise in die Seelenwelten beschreibt. Was ist Traum, was ist Wirklichkeit? Der Wald ist zwar auf der einen Seite ein konkreter Ort, auf der anderen Seite steht er aber konträr zu in sich geschlossenen Innenräumen, er ist Realität und Fiktion zugleich…..Alle Menschen irren doch durch den Wald ihrer Emotionen, durch Tag und Nacht, Sommer und Winter, Wollen und Handeln, Wünsche und Träume.“

Der erste Aufzug beginnt optisch konventionell im (durchaus engen) Schlafzimmer der Feldmarschallin. Aber zum Lever hebt sich die Tapetenwand mit exotischen Pflanzen und gibt plötzlich den Blick auf eine irreale Waldszenerie frei – alle auftretenden Gestalten passen in ihren Kostümen nicht mehr zu Marschallin, Octavian/Mariandel und Ochs: der Tierhändler in Tropenkleidung mit Schmetterlingsnetz, der Sänger im gold-glitzernden Elvis-Presley-Look, die Stimmung wandelt sich vom Sommer über Herbst bis zum winterlichen Schneefall – der Zuschauer erfasst: aha – eine Traumwelt. Und so geht es auch im zweiten Aufzug weiter: der Wintergarten Faninals ist von Wald umgeben, in den die Männergesellschaft Ochs und Faninal zum Jagen geht und aus dem am Schluss Annina gleichsam als schwarzer Engel mit einem überdimensionalen Mariandel-Brief aus der Höhe herunterschwebt. Der dritte Aufzug spielt überhaupt in einer kleinen Hütte mitten im düsteren Wald, bis sich das Ganze für Schlussterzett und –duett wieder in das Schlafzimmer des 1.Aufzugs wandelt. Sophie und Octavian sind dort angelangt, wo Marschallin und Octavian begonnen haben. Der Regisseur im Programmheft: „Das Happy End ist nur eines im Traum, hinter den Zwängen einer Effizienz- und Egoistenwelt.“ Von Beginn an begleitet eine Panfigur das Geschehen durch alle drei Aufzüge – gleichsam als Drahtzieher der erotischen Ver- und Entwicklungen.

Für dieses in sich konsequente Regiekonzept haben Philipp Nikolai (Bühne) und Sonja Albartus (Kostüme) die passende optische Umsetzung beigesteuert – allerdings mit dem Nachteil, dass dadurch die Spielfläche der ohnehin schon kleinen Klagenfurter Bühne noch mehr eingeengt wurde, was speziell in der engen Waldhütte des dritten Aufzugs dazu führt, dass keine schlüssige Personenführung mehr möglich ist. Wer den Rosenkavalier nicht kennt, der wird den ersten Teil des dritten Aufzugs nicht erfassen können.

Um aber zur Einleitung dieses Beitrags zurückzukommen:

Die Intention des Intendanten, man wolle „Schritte in Richtung Publikum setzen“, hat das Regiekonzept durchaus erfolgreich umgesetzt:

Die Hauptfiguren sehen so aus und agieren so, wie dies hundertjährige Aufführungstradition ist, werden aber mit einer irrealen Traumwelt konfrontiert. Das hat das Publikum mit ehrlichem Beifall offensichtlich gewürdigt. Das Konzept hat auch den großen Vorteil, dass die großen musikalischen Monologe, Duette und Terzette zu Ruhepunkten werden können, bei denen die Musik im Vordergrund steht. Und noch etwas sei befriedigt festgehalten: endlich einmal eine Inszenierung, die ohne Videos und Filmsequenzen auskommt und sich auf genuine Mittel des Theaters beschränkt!

Musikalisch ist das Stadttheater Klagenfurt über sich hinausgewachsen! Ich gebe zu, ich hatte Bedenken, wie es dem Kärntner Sinfonieorchester gelingen werde, die Strauss-Partitur zu bewältigen – ich wurde überaus positiv überrascht! Nach einem recht verwackelten Beginn gelang eine ausgezeichnete Wiedergabe mit vielen schönen Instrumentalsoli, großen Bögen, aber auch mit der so wichtigen Parlandokultur. Der neue aus England stammende Klagenfurter Chefdirigent Alexander Soddy holte zu Recht für den Schlussapplaus das gesamte Orchester auf die Bühne – das war eine exemplarische Leistung für ein Haus dieser Größenordnung!

Die drei Damenrollen waren exzellent besetzt. Die drei jungen Damen – alle Debutantinnen in ihren Partien – stehen alle am Anfang ihrer Karriere und werden zweifellos ihren Weg auf internationalen Bühnen machen. Betsy Horne als Marschallin hat eine warme, aus der Mezzolage überzeugend in das lyrische Sopranfach gewachsene farbenreiche Stimme. Angela Brower ist ein viril drängender Octavian ohne Höhenprobleme – einige Schärfen in der Attacke werden sich mit zunehmender Partienerfahrung noch abrunden lassen.

Zu diesen beiden Amerikanerinnen kam – als neues Klagenfurter Ensemblemitglied die Südafrikanerin Golda Schultz, die für mich die schönste Gesamtleistung bot – sie bezauberte mit ihrer eigentlich untypisch-dunklen Sophie-Stimme nicht nur mit warmen makellosen Höhen, sondern war auch darstellerisch eine authentische Gesamtpersönlichkeit mit großer Bühnenpräsenz – zweifellos ein Glücksgriff für Klagenfurt und man kann sich auf ihr Cleopatra in „Giulio Cesare“ und die Prinzessin in „Die Liebe zu den drei Orangen“ freuen.

Die beiden amerikanischen Damen werden noch daran zu arbeiten haben, in ihren Rollen die ausgezeichneten stimmlichen Leistungen und ihre sympathische menschliche Ausstrahlung mit altösterreichischer Adelsattitude darstellerisch zu ergänzen – erstaunlich und erfreulich bei allen drei Damen die große Textdeutlichkeit.

Der in Dresden engagierte Wiener Michael Eder ist ein erfahrener und überzeugender Ochs, der glaubhaft Adel mit Derbheit verbindet. Zu Beginn wirkte die Stimme noch etwas rau – dann aber steigerte er sich zu einer großartigen Leistung mit der notwendigen saftigen Tiefe und sicheren Höhen. Eine kleine Anmerkung zur an sich exzellenten Textprägnanz: Hofmannsthal schreibt immer „Mädel“ – die derbere Variante „Madel“ passt nicht ganz zum Baron aus altem Adel – und derartige Stellen gab es einige Male…..

Auch alle weiteren Rollen waren mit Gästen und dem Hausensemble sehr solid besetzt. Rolf Haunstein (Dresden/Zürich) war ein souveräner, allerdings absolut unwienerischer Faninal, Daniela Köhler in der stimmlich anspruchsvollen, doch undankbaren Rolle der Leitmetzerin sehr gut. Christa Ratzenböck und Patrick Vogel agierten als überzeugendes Intrigantenpaar – und nur der Sänger von Ilker Arcayürek blieb mit seiner engen Höhe ein wenig unter dem allgemein hohen Niveau. In den kleineren Rollen fielen der markante und textdeutliche Bass von David Steffens (Notar und Kommissar) und der prägnante Tierhändler von Markus Murke positiv auf, aber auch die überwiegend aus dem Chor besetzten übrigen kleinen Rollen bestätigten das gute Ensembleniveau des Hauses.

Chor und Extrachor des Hauses (Einstudierung: Günter Wallner) sangen und agierten mit dem schon gewohnten erfreulichen Einsatz.

Fazit: Klagenfurt ist ein überaus respektabler Saisoneinstand gelungen, zu dem allen zu gratulieren ist. Und allen Opernfreunden ist unbedingt zu empfehlen, die weitere Entwicklung der drei Rollendebütantinnen zu verfolgen.

Hermann Becke

Alle Fotos: Stadttheater Klagenfurt

(Leider wurden keine Fotos für die Publizierung zur Verfügung gestellt, die die Traumbilder der Inszenierung wiedergeben – einen kleinen Eindruck vermittelt die Fotogalerie unter:

http://www.stadttheater-klagenfurt.at/de/produktionen/der-rosenkavalier/ )

Links:

Interview mit den drei jungen Rollendebütantinnen:

Golda Schultz: http://goldaschultz.com/Welcome.html

Betsy Horne: http://www.betsyhorne.com/biography.htm

Angela Brower: http://www.angelabrower.com/biography.htm