Besuchte Aufführung: 14. 2. 2014 (Premiere: 29. 6. 2013)
Die Psychose des Jokers
Sie stellt ein echtes Juwel im Spielplan des Landestheaters Niederbayern mit seinen Spielstätten Passau, Landshut und Straubing dar: Nilufar K. Münzings im Bühnenbild und den Kostümen von Charles Cusick Smith und Philip Ronald Daniels spielende Inszenierung von Verdis Erfolgsoper „Rigoletto“. Mitreißend, spannend, klug durchdacht und psychologisch einfühlsam präsentierte sie sich dem begeisterten Publikum, das dann am Ende auch mit Applaus nicht geizte. Langweilig wurde es an diesem Abend wirklich nie, was nicht zuletzt ein Verdienst der ausgefeilten Personenregie war. Die Regisseurin versteht mit Sängern umzugehen und sie kurzweilig und logisch zu führen.
Michael Mrosek (Rigoletto), Herrenchor
Frau Münzing hat das Stück behutsam modernisiert, ohne dabei dessen Kern anzutasten. Sämtliche Regieeinfälle lassen sich aus dem Libretto heraus begründen. Dabei entführt sie den Zuschauer in eine Art Traumwelt. Den äußeren Rahmen der Handlung bildet eine Art Jahrmarktbude vor der auf den Hintergrund projizierten Skyline einer Großstadt, die wohl New York sein soll. Man kann aber auch an Gotham City denken – eine Annahme, die angesichts der Ähnlichkeit Rigolettos mit dem Joker nicht ganz unberechtigt ist. Im Gegensatz zu dem Schurken aus „Batman“ ist der Hofnarr hier nicht von Anfang an böse, sondern wird durch die Umstände erst dazu gemacht. Die während der Ouvertüre gezeigte Ermordung seiner Frau durch die Höflinge, denen er seine an die Stelle des traditionellen Buckels tretende klaffende Gesichtswunde verdankt, hat bei ihm zu einem Trauma geführt, das er durch immer neue böse Taten zu bewältigen sucht. In der roten, verrucht anmutenden Lasterhöhle, die hier an die Stelle des Hofes von Mantua tritt, partizipiert er genussvoll an den Taten seines gleichsam ein großes Kind gebliebenen Herrn. Der Darstellung der Frauen als Raubkatzen entspricht es, dass der Duca als Raubtierdompteur vorgeführt wird.
Mit ausgeprägtem psychoanalytischem Feischliff dringt die Regisseurin bis in die tiefsten seelischen Abgründe des Protagonisten vor. Freud’schem Gedankengut trägt sie auch insoweit Rechnung, als sie Monterone und Sparafucile weniger als reale Personen, sondern vielmehr als die dunklen Seiten von Rigolettos Psyche begreift und sie demgemäß auch demselben Bassisten anvertraut. Der Auftragsmörder steht für das Böse an sich, der Graf symbolisiert das Prinzip Angst. Und letztere manifestiert sich insbesondere in der Beziehung des Titelantihelden zu seiner als Teenager vorgeführten Tochter, die zu Beginn in Gestalt eines kindlichen Alter Egos den gewaltsamen Tod ihrer Mutter ebenfalls mit ansehen muss, was auch bei ihr deutlich zu Tage tretende seelische Störungen auslöst.
Gilda, Albertus Engelbrecht (Duca), Kara Harris (Maddalena)
Aufgrund der ihr vom Vater, der sie wie ein Hund an der Kette hält, verordneten Weltflucht ist auch sie innerlich den Kinderschuhen noch nicht entwachsen. Sie liest und spielt noch mit einem Teddybären. Das alles tut sie auf einem riesigen Türschloss in Herzform – ein trefflich gewähltes Symbol ihrer Gefangenschaft und Abgeschiedenheit, aus der heraus sie sich nach Liebe sehnt und den angeblichen Namen des Geliebten Gualtier Maldé aus riesigen Spielzeugbuchstaben zusammensetzt. Die Schuhe, die ihr der Duca schenkt, sind als Sinnbild ihrer schließlichen Flucht aus den sie beengenden Verhältnissen zu begreifen. Dass Rigoletto ihr später die Schuhe wieder auszieht und die nach ihrer Nacht mit dem Duca im Unterkleid erscheinende Tochter wie eine Mumie in ein Laken hüllt, kann ihren in letzter Konsequenz zum Tode führenden Ausbruch aber auch nicht verhindern. Am Ende erscheint sie ihm als Engel, während der Körper einer Statistin tot am Boden liegt. Dieser Einfall ist nicht mehr neu. Das hat man andernorts schon ähnlich gesehen – nicht aber die grandiose Idee, die beiden Gestalten als zwei Aspekte derselben Figur wieder zu einer Person zu vereinen. Das tote Mädchen steht auf und nähert sich ihrem astralen anderen Ich, vereinigt sich mit diesem. Erst im Tod findet Gilda zu einer Einheit ihres Selbst, die ihr zu Lebzeiten verwehrt war. Insgesamt haben wir es hier mit einer Inszenierung zu tun, die dem neugierigen, modern eingestellten Intellekt einiges zu bieten hat und darüber hinaus technisch hervorragend umgesetzt ist. Bravo!
Kara Harris (Maddalena), Young Kwon (Sparafucile)
Eine gute Leistung erbrachte Christine Strubel am Pult. Sie hatte die mit großer Verve und klangschön aufspielende Niederbayerische Philharmonie bestens im Griff und wartete mit einem prägnanten, zupackenden Verdi-Klang auf, der sich zudem durch gute Italianita auszeichnete. Sie hatte auch den Chor trefflich einstudiert.
Michael Mrosek (Rigoletto), Gilda
Zum größten Teil zufrieden sein konnte man auch mit den Sängern. Wieder einmal wurde deutlich, dass man auch an kleinen Theatern in puncto Stimmen wahre Schätze heben kann. Als strahlender Edelstein erwies sich Michael Mrosek in der Titelpartie. Es war schon erstaunlich, welch enormen vokalen Glanz er trotz einer Indisposition, deretwegen er sich entschuldigen ließ, verströmte. Das zeugt von einer ausgezeichneten Technik. Der ausgemachte Schönklang seines kräftigen, hervorragend italienisch focussierten und höhensicheren Baritons sowie die enorme Intensität und Ausdrucksvielfalt des Vortrags ließen seinen Rigoletto zu einem Ereignis der besonderen Art werden, das der größten Häuser würdig ist. Dieser phänomenale Bariton hat das Zeug zu einer Weltkarriere, ebenso wie Young Kwon, der als Graf von Monterone und Sparafucile ebenfalls nachhaltig zu begeistern wusste. Auch er verfügt über einen herrlich voluminösen, sonor und ebenmäßig auf dem Atem dahinfließenden Bass italienischer Schulung, mit dem er diese beiden Nebenrollen gleichsam zu Hauptpartien erhob. Allein diese beiden grandiosen Künstler wären den Besuch der Aufführung wert gewesen. Sie ließen an diesem gelungenen Abend alle ihre Partner weit hinter sich zurück. Insgesamt gut zu gefallen vermochte auch der Duca von Albertus Engelbrecht. Schon darstellerisch wurde er dem adeligen Lebemann voll gerecht und vermochte auch gesanglich mit seinem fast durchweg gut fundierten und elegant geführten Tenor für sich einzunehmen. Lediglich bei den Spitzentönen stieß seine Stimme manchmal etwas an ihre Grenzen. Einen vollen, runden Mezzosopran brachte Kara Harris für die Giovanna, die Maddalena, die Gräfin Ceprano und den Pagen mit. Das hohe Niveau ihrer Kollegen vermochte Emily Fultz in der Rolle der Gilda nicht zu erreichen. Ein warmer italienisch fundierter Stimmklang ging ihr gänzlich ab. Ihre Tongebung wies in puncto Pianokultur und Linienführung zwar durchaus schöne Ansätze auf. Da ihr Sopran aber nicht im Körper verankert war und kein solides appoggiare la voce aufwies, blieb es leider bei gut gemeinten Intentionen. Sehr halsig klang Konrad Peschls Marullo und auch der Borsa von Gastsänger Christopher Busietta hatte stimmlich nicht viel zu bieten. Unauffällig blieb Michael Kohlhäufl als Graf von Ceprano. Als das Kind Gilda war die junge Ida Jarzombek zu erleben.
Ludwig Steinbach, 16. 2. 2014
Die Bilder stammen von Peter Litvai.