Besuchte Aufführung: 7. 1. 2014 (Premiere: 31. 12. 2013)
Fetzig, heiter und sentimental
Immer wieder ist sich das auf dem Opernsektor nicht zu verachtende kleine Theater Pforzheim auch für Operette nicht zu schade. Regelmäßig feiert am Silvesterabend ein Erzeugnis der leichten Muse – das auch ein Musical sein kann – seine Premiere, um mit Sekt und guter Laune auf den Jahreswechsel einzustimmen. Diesmal galt die Sylvesterpremiere Kalmans „Gräfin Mariza“. Besprochen wird hier eine spätere Aufführung.
Mariza, Chor
Dass die „Csardasfürstin“ das zurecht berühmteste Werk des Komponisten darstellt, ist nicht zu bestreiten. Aber auch die im Jahre 1924 im Theater an der Wien uraufgeführte „Gräfin Mariza“ erfreut sich beim Operettenpublikum großer Beliebtheit, was durchaus nachzuvollziehen ist. Das Werk enthält zahlreiche Ohrwürmer und weist insgesamt eine etwas melancholische Grundstimmung auf, die mit den ausgelassen und spritzig klingenden Csardas-Stellen vorzüglich korrespondiert. Dazu gesellen sich Anklänge an den ungarischen Nationalstil und ein gehöriger Schuss Zigeunermusik. Letztere lässt Regisseur Wolf Widder in seiner gelungenen Inszenierung von einer Bühnenkapelle zum Besten geben. Und im Orchestergraben gelang Martin Hannus zusammen mit der gut gelaunt aufspielenden Badischen Philharmonie Pforzheim eine gelungene Gratwanderung zwischen spritziger Ausgelassenheit und melancholischer Sentimentalität, wobei auch folkloristische Elemente nicht zu kurz kamen. Aus diesem beeindruckenden musikalischen Gemisch resultierte ein vielschichtiger, differenzierter Klangteppich, dem der Dirigent viele Facetten und Farben zu entlocken wusste und den er zusammen mit den Musikern in einem ständigen Wechsel von Fetzigkeit und Emotionalität vor den Ohren des Auditoriums ausbreitete. Beeindruckend war nicht zuletzt die prägnante Rhythmik, mit der der Dirigent aufwartete und in einen trefflichen Gegensatz zu getragenen, voll ausgekosteten musikalischen Bögen stellte. Das Orchester setzte seine Intentionen konzentriert und routiniert um und erspielten sich einen vollen Erfolg, was in noch verdienterem Maße für die hervorragenden Bühnenmusiker Deborah Spiegel, Sven Aberle, Klaus Dusek und Bruno de Souza Barbosa zutrifft, denen ein Extralob gebührt.
Mariza, Tassilo
Auch Wolf Widder hat wieder einmal gute Arbeit geleistet. Wie immer, wenn der Operndirektor des Pforzheimer Theaters am Regiepult Platz nimmt, wurde man auch dieses Mal mit einer logischen, flüssigen und recht ausgelassenen Personenregie sowie einer trefflichen Herausarbeitung der Charaktere beglückt. Das von Petra Mollérus stammende Bühnenbild – sie hat auch die gelungen, teilweise recht exotisch anmutenden Kostüme entworfen – atmet frisches Sommeridyll und wird auf der linken Seite von der hellen Fassade des Mariza’schen Landsitzes samt freundlicher Veranda eingenommen. Rechts ist ein Tennisplatz anzunehmen, der anscheinend sowohl der adligen Clique als auch den einfachen Leuten zugänglich ist. Der ihn begrenzende Zaun dient aber auch zur Abgrenzung des gräflichen Gutshofes von dem Volk, das gerne auch mal einen Blick in die heiligen Hallen riskiert. Diese müssen ihm aber, wie es Manja in ihrem Lied so schön sagt, aber nur ein „schöner Traum“ bleiben. Bei aller Betonung des komödiantisch-heiteren Aspekts lässt Widder damit auch einen überzeugenden Schuss Sozialkritik in seine Deutung mit einfließen. Insgesamt hat er die das Geschehen prägenden Konflikte und zwischenmenschlichen Beziehungen trefflich beleuchtet und kurzweilig und temporeich in Szene gesetzt, wozu auch die muntere Choreographie von James Sutherland einen gehörigen Teil mit beitrug. Es war schon eine ausgelassene Csardaslaune, die hier verbreitet wurde und zu der auch die Sänger beitrugen.
Tassilo
An erster Stelle ist hier Tonje Haugland zu nennen, die in Pforzheim längst keine Unbekannte mehr ist und sich als Mariza erneut die Herzen des Publikums sowohl sängerisch als auch schauspielerisch im Sturm eroberte. Ihre Darstellung der ausgesprochen selbstbewussten und oft ziemlich launischen Gräfin war einfach köstlich. Aber nicht nur das ausgelassene, fetzige Spiel der über eine treffliche schauspielerische Ader verfügenden und tanzfreudigen Sängerin überzeugte nachhaltig, auch gesanglich vermochte sie mit ihrem dunklen, tiefsinnig klingenden und solide gestützten Sopran gut zu gefallen. Neben ihr war Reto Rosin ein insgesamt ansprechender Graf Tassilo. Die Vorzüge dieses Sängers sind seine im Großen und Ganzen gut sitzende, kräftige Stimme sowie die Intensität des Vortrags. Leider verlor sein Tenor bei den hochgelegenen und im zarten Pianissimo zu singenden Stellen oft die ansonsten treffliche Focussierung, was den insgesamt positiven Gesamteindruck etwas minderte. Voll überzeugend war die Lisa von Franziska Tiedtke. Auch sie ging, frisch spielend und tanzend, voll in ihrer Rolle auf, der sie mit ihrem bestens gestützten, farbenreichen Sopran auch vokal voll entsprach. Aus dem Fürsten Moritz Dragomir Populescu machte Klaus Geber ein wahres Kabinettstückchen. Wie er diesen selbstverliebten und allzu selbstsicheren alten Gockel spielte, war umwerfend. Und gesanglich verfügte er ebenfalls noch über beträchtliche Reserven. Mit tadellosem, sauber geführtem und tiefgründig klingendem Mezzosopran wertete Katharina Sebastian die kleine Rolle der Manja auf. Als Baron Koloman Zsupán machte Edward Lee nur darstellerisch einen guten Eindruck. Stimmlich konnte er mit seinem allzu flachen Tenor nicht überzeugen. Er sollte um eine tiefer sitzende Gesangsstütze bemüht sein. In der Sprechrolle der Fürstin Bozena Cuddenstein war Lillian Huynen zu erleben. Als Ausbund an Komik präsentierte sich der Schauspieler Holger Teßmann in der Partie ihres Dieners Penizek, der ständig mit Klassikerzitaten um sich wirft, die er aber immer an derselben Fundstelle fest macht. Dario Krosely (Karl Stephan Liebenberg) und Johannes Kriener (Tschekko) rundeten das homogene Ensemble ab. Ansprechende Leistungen erbrachten der von Salome Tendies einstudierte Opernchor, der Extrachor und der Kinderchor des Theaters Pforzheim.
Fazit: Ein gelungener, vergnüglicher Abend, der die Fahrt nach Pforzheim durchaus lohnt.
Ludwig Steinbach, 13. 1. 2014
Die Bilder stammen von Sabine Haymann. (Die Fotos zeigen andere Darsteller der Parallelbesetzung)