Graz: „The Fairy Queen“

21.Juni 2014, Helmut-List-Halle Graz

Bejubelte Eröffnungspremiere der Styriarte mit Nikolaus Harnoncourt

Die Styriarte mit ihren über 40 Veranstaltungen in und um Graz steht im Jahre 2014 unter dem Motto „Im Zauber der Natur“. Auf der völlig neugestalteten Homepage der Styriarte liest man bei der Ankündigung der intensiv beworbenen Eröffnungsproduktion:

„Im Reich der Feenkönigin sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. „Let us leave the town“ („Lass’ uns die Stadt verlassen“) singt zu Beginn ein junges Liebespaar. Geister schwirren durch die Luft, Vogelstimmen und Echos tönen durch den styriarte-Wald, wenn Nikolaus Harnoncourt Purcells größte „Semi-Opera“ dirigiert. Für Regie und Bühne zeichnet wieder Philipp Harnoncourt verantwortlich. „Semi-Opera“ nannte man im London des Barock diese opulenten Revues aus Schauspiel und musikalischen Masques. „The Fairy Queen“ war die teuerste von allen, uraufgeführt 1692 im Drury Lane Theatre.“ Allerdings wurde das Schauspiel in Graz weggelassen – Nikolaus Harnoncourt und sein Sohn Philipp (Inszenierung, Bühne, Licht) haben für Graz ein rein musikalisches Opernspektakel ohne gesprochenen Shakespeare entwickelt. Das war aus vielerlei Gründen eine kluge Entscheidung: abgesehen davon, dass inklusive der gesprochenen Texte der Abend in der ungekürzten Fassung fünf bis sechs Stunden gedauerte hätte, konnte man so die prachtvolle Musik von Henry Purcell in den Mittelpunkt stellen. Die räumlichen Gegebenheiten der Helmut-List-Halle, die ja kein Theater ist, wurden geschickt genutzt: Zentrum der Produktion sind (auch optisch) der ungemein plastisch und farbenreich musizierende Concentus Musicus und Maestro Nikolaus Harnoncourt. Um dieses Zentrum herum entwickelt sich ein mitreißendes Pandämonium guter und böser Geister als Initiationspfad für ein junges Paar, das von Rita Sereinig und Max Niemeyer wunderbar tänzerisch gestaltet wird – das sind keine kunstvollen Ballett-Figuren, sondern blutvolle junge Menschen.

Neben Nikolaus Harnoncourt und seinem Concentus (diesmal nicht wie gewohnt mit Erich Höbarth, sondern mit Andrea Bischof am Konzertmeisterpult) ist für mich an diesem Abend der Arnold Schoenberg Chor (Leitung Erwin Ortner und Michal Kucharko) der zweite „Star“ dieser Produktion. Der Chor singt – fast möchte man sagen: wie gewohnt! – nicht nur außerordentlich klangschön und transparent, diesmal ist er auch sehr aktiv in die choreographische Gestaltung von Anna Schrefl einbezogen. Natürlich weiß ich, dass der Arnold Schoenberg Chor eine sehr reiche szenische Erfahrung hat, aber es ist doch außergewöhnlich, wie es den Choristen gelingt, eine tänzerische Gestaltungskraft und Intensität zu entwickeln, die nie peinlich oder gar hölzern wirkt, sondern die in idealem Zusammenspiel zwischen Regie und Chorographie zu einem entscheidenden Garanten für den Gesamterfolg dieser Produktion wird. Ich wage gar nicht daran zu denken, wieviel Probenarbeit da hineingesteckt wurde – das gelingt zweifellos nur mit der Begeisterungsfähigkeit jedes einzelnen Chormitglieds und das überträgt sich dann auf das begeisterte Publikum. Dazu kommen sechs Gesangssolisten, die allesamt markante Figuren aus der barocken Theaterwelt auf die Bühne stellen – das reicht von derber Deftigkeit über skurrile Überspanntheit bis zu berührender Schlichtheit.

Das beginnt mit dem stimmlich und darstellerisch kraftvollen Florian Boesch, der als betrunkener Poet, aber auch als Elvis-Presley Imitat überzeugt, bei jedem seiner Auftritte die Bühne beherrscht und verdiente Publikumszustimmung einheimst. Dorothea Röschmann singt mit dunkel-warm gefärbtem Sopran berührend – speziell in ihrer Klage. Die munter-quicke Martina Janková bezirzt mit ihrer hellen Stimme und großer Spielfreudigkeit die Männerwelt und wagt sich dabei sogar an den (sie nur mit Mühe abwehrenden) Maestro Harnoncourt heran.

Bei den anderen drei Solisten steht die szenische Präsenz gegenüber der stimmlichen Gestaltung im Vordergrund: Elisabeth von Magnus, Joshua Ellicott und der Counter-Tenor Terry Wey.

Am Schluss gibt es großen und verdienten Jubel für alle – Im Mittelpunkt ist natürlich und völlig zu Recht der im 85. Lebensjahr stehende Nikolaus Harnoncourt, der spiritus rector nicht nur dieser wunderbaren Purcell-Belebung, sondern auch der Styriarte – es war ein großer Abend, es war sein Abend!

Hermann Becke, 22.Juni 2014

Aufführungsfotos: © styriarte/Werner Kmetitsch

Weitere Aufführungstermine: 23., 25.. 27. und 28.Juni 2014

Ein wichtiger Hinweis für alle, die nicht zum Liveereignis nach Graz kommen können: Die Produktion wurde als Livestream auf www.sonostream.tv aufgezeichnet und ist dort ab 23.6.2014 für 14 Tage online zu hören und zu sehen.

Interessante Video- Impressionen zur Entstehung der Bühnenlösung finden sich in Episode1 , Episode2 und Episode3