Aufführung am 6.2.22 (Premiere am 4.2.)
Wenn man aus einer als wunderbar empfunden Vorstellung hinausgeht, will man in der Rezension wirklich keine Abstriche machen, weshalb ich meine kleinen Einwände – oder besser Bemerkungen – für den Schluss aufhebe.
Francesco Cileas Oper wurde als bisher letzte Station in der international bekannten Koproduktion der Opernhäuser von London, Barcelona, Wien, Paris und San Francisco gezeigt, in der Regisseur David McVicar einmal mehr bewiesen hat, dass eine textgetreue, nicht in andere, meist moderne, Epochen verschobene Regie ein Werk in seinem ganzen Zauber wiedergibt, ohne altmodisch oder gar staubig zu wirken. Das geniale Bühnenbild von Charles Edwards, dessen Herz die Bühne der Comédie Française ist, hat seinen starken Anteil an der Intensität des Geschehens ebenso wie die Kostüme von Brigitte Reifenstuel. Originalbeleuchtung und -choreographie von Adam Silverman bzw. Andrew George wurden von Marco Filibeck bzw. Adam Putney getreulich umgesetzt. Darüber wachte Justin Way als jahrelanger Mitarbeiter McVicars. Ich hatte den Eindruck, dass bis ins kleinste Detail gearbeitet worden war und die immerhin aus 2010 stammende Inszenierung frisch wie am Tag ihrer Premiere erschien.
Da ich annehmen darf, dass an diesem Werk interessierte Opernfans innerhalb der vergangenen 12 Jahre die Produktion in einem der genannten Häuser oder zumindest in einem der zahlreichen Streamings gesehen haben, möchte ich gleich auf die Aufführung in der Scala eingehen. Stimmlich berückend in der Titelrolle war Maria Agresta, die das Wagnis eingegangen war, die Partie in einem Stadium ihrer Karriere zu übernehmen, das oft, wie etwa auch „Fedora“, als Höhepunkt der Leistungen einer reiferen Diva gesehen wird. (Allerdings war Renata Tebaldi 31 Jahre alt, als sie an der Scala die Adriana war). Jedenfalls war es ein reiner Genuss, Agrestas blühenden Kantilenen zu lauschen, der so ausdrucksvollen Interpretation einer über die Maßen verliebten jungen Frau, ohne je gesangliche Einschränkungen in ihrer stimmlichen Leistung vermerken zu müssen. Maurizio di Sassonia hatte in Yusif Eyvazov einen absolut glaubwürdigen Vertreter. Es ist wirklich bemerkenswert, wie sehr er an seiner Technik gearbeitet hat und nun mit seinem dramatischen Tenor auch jede Pianophrase zur Geltung zu bringen vermag.
Bei dieser Leistung fällt es dem Hörer leicht, sich an sein Timbre zu gewöhnen, und das ist mir schon im Laufe des 1. Akts mühelos gelungen. Bei dieser zweiten Vorstellung war J ulia Kutasi als Principessa di Bouillon zu hören, nach dem Anita Rachvelishvili die Premiere nicht zufriedenstellend bewältigt hatte (und auch andere spätere Verpflichtungen danach abgesagt hat). Kutasi hat alles, was man sich von einem dramatischen Mezzo erwartet und war in dieser Hinsicht eine perfekte Interpretin mit nie forcierten orgelnden Tiefen und bestens angebunden Spitzentönen. Als Michonnet war Alessandro Corbelli schon bei der Premiere in London dabei gewesen und bestätigte seine unanfechtbare Position als rührend und hoffnungslos in Adriana verliebter quasi Schutzengel über ihr Leben. Als Fürst von Bouillon unterstrich Alessandro Spina gemeinsam mit Carlo Bosi als Abbé die humoristische Seite seiner Rolle. Die vier Kollegen Adrianas wurden mit szenischer Verve und guten Stimmen von Caterina Sala, Svetlina Stoyanova, Francesco Pittari und Costantino Finucci gegeben.
Verlässlich der Chor des Hauses unter Alberto Malazzi, aber die Palme gebührt dem Orchester unter der Leitung von Giampaolo Bisanti. Ich hatte das Werk bisher immer mehr oder weniger durchaus anständig dirigiert gehört, aber unter Bisanti erklang es in einer luxuriösen Pracht, die ihm den Rang zuwies, der ihm als im Sinne eines dekadent gewordenen Verismo oft geschmähte Oper oft verwehrt wurde.
Und nun die die klitzekleinen Einwände als „Merker“: Eyvazov stellt auf der Bühne seinen Mann, könnte aber szenisch beweglicher sein. Agresta ist nicht ganz die Diva, mehr die leidenschaftlich Verliebte. Kutasi mangelt es an Wortdeutlichkeit. Ich habe also meine Pflicht getan, aber die Vorstellung war als Ganzes einfach hinreißend und wurde entsprechend lautstark bejubelt.
P.S.: In den ersten drei Vorstellungen hätte Freddie De Tommaso sein Scaladebüt feiern sollen, wurde aber leider ein Opfer von Covid. Dessen ungeachtet bin ich der Meinung, dass sich der 29-Jährige mit dem Maurizio für sein Debüt etwas viel vorgenommen hatte. (Und ob der Verweis, Enrico Caruso habe die Uraufführung der „Adriana“ auch mit 29 Jahren gesungen, ein besonders glücklicher war?).
Und zum Einspringen von Judit Kutasi, die erst am Morgen dieser um 14.30 Uhr beginnenden Nachmittagsvorstellung in Mailand eingetroffen war: Verständlich, dass keine Zeit mehr für gedruckte Hinweise war, aber eine mündliche Ankündigung vor dem Vorhang wäre angebracht gewesen.
Eva Pleus 9.2.22
Bilder: Brescia & Amisano / Teatro alla Scala