Als Regisseur Leo Muscato bei der Pressekonferenz von einer Theatertruppe sprach, die Rossinis Oper einstudiert, hegte ich die Befürchtung, neuerlich eine Form von Metatheater zu sehen zu bekommen, wie sie in letzter Zeit allzu häufig (und damit zu billig) eingesetztes Regiemittel ist. Zum Glück war dem nicht so, denn Muscato hatte den Figuren nur verschiedene Aufgaben zugeschrieben, die auf einer Bühne erfüllt werden müssen. Damit wurde Bartolo zum Chef der Truppe, Rosina die Primaballerina, Berta die gestrenge Ballettmeisterin, Basilio Korrepetitor, Fiorello der Konzertmeister und Figaro für alles andere zuständig, wie etwa Schminke, Perücken, Kostüme und Bühnenumbau.
Diese Auslegung gab dem Regisseur die Möglichkeit, das Geschehen mit trainierenden Tänzern in der Choreographie von Nicole Kehrberger (wieder einmal Männer in Tutus – warum?) oder hin- und herflitzenden Bühnenarbeitern zu füllen. Er handhabte aber diese seine Entscheidung so geschickt, dass das Getümmel überschaubar blieb und vor allem die wie gewohnt ablaufende Handlung nicht störte. Unterstützt wurde er dabei vom in erster Linie aus Kisten bestehenden Bühnenbild (Federica Parolini), zu dem auch ein grüner Samtvorhang gehörte, der von Figaro bei den Umbauarbeiten betätigt wurde. Hübsch die typisierenden Kostüme von Silvia Aymonino (etwa Figaro mit umgehängtem Werkzeugkasten), elegant der weiße Anzug des Grafen, der als einziger nicht zur Truppe gehört.
Auch die Lichtregie von Alessandro Verazzi trug stark zu dem vergnüglichen Spiel bei.
Am Pult stand Riccardo Chailly, Musikdirektor des Hauses und ausgewiesener Rossinikenner und -liebhaber. Mit dem Orchester des Hauses bot er eine glanzvolle Interpretation der kritischen Ausgabe von Alberto Zedda aus 2009, in der jedes Crescendo funkelte wie herausgeputzt. Hier kommt auch ein winziger Einwand zum Tragen, nämlich dass man als Hörer das Gefühl hatte, die allerletzte Leichtigkeit würde fehlen, was aber auch ein persönlicher Eindruck sein kann. Das von Simone Fermani auf Chaillys Wunsch nachgebaute Sistrum, eine Art Glockenspiel ohne verpflichtende Noten, fiel im Übrigen nicht weiter auf. De Chor des Hauses unter Alberto Malazzi entledigte sich gekonnt seiner Aufgabe.
Ideal Mattia Olivieri als vor Lebenslust strotzender Figaro, dessen unermüdliche Spiellaune absolut ansteckend war, ohne dass er chargiert hätte. Dazu ist sein geschmeidiger, volltönender Bariton in dieser Phase seiner Karriere perfekt für die Rolle (mit der er in Wen im Juni in der neuen, schwierigen Inszenierung debütieren wird). Ihm zur Seite der Bartolo des Marco Filippo Romano, der keinerlei Extramätzchen benötigte und mit vollem Bassbariton den gebeutelten Vormund doch noch eine „Standsperson“ bleiben ließ. Mit der „Calunnia“ ließ Nicola Ulivieri ein überzeugendes Donnerwetter los und charakterisierte Bartolos unzuverlässigen Freud bestens. Svetlina Stoyanova spielte nett und engagiert, aber ihrer Rosina fehlte Kraft in der unteren Mittellage, sodass ihr Mezzo mehrmals zu leicht für ein großes Haus wie die Scala klang.
Lavinia Bini wertete hingegen die Berta mit strahlendem, die Ensembles mühelos übersingendem Sopran auf. Anstelle von Maxim Mironov war in diesen letzten beiden Vorstellungen Antonino Siragusa ein spielfreudiger Almaviva mit nicht mehr ganz frischem Tenor, dem es aber die Schwierigkeiten seiner Schlussarie ohne zuviel Herzklopfen zu meistern gelang. Von Costantino Finucci als Fiorillo hätte man gern mehr gehört.
Großer Jubel im vollen Saal, der ab genau diesem Datum wieder alle Plätze zur Verfügung stellen durfte.
P.S.: Ein Druckfehler auf der Besetzungsliste (Siragusa wurde als Siragura angeführt) bewirkte, dass das Blatt aus den Programmen ersatzlos entfernt wurde. Die richtige Lösung?
Eva Pleus 18.10.21
Bilder: Brescia&Amisano / Teatro alla Scala