Wie in den letzten Jahren zur Tradition geworden, besetzte die Scala die Eröffnung ihrer Herbstsaison mit Studierenden ihrer Accademia. Es gab zwei verschiedene Besetzungen, wobei in der ersten die Namen ehemaliger Studierender aufschienen, in der zweiten aber solche, die dem Ende ihres Studiums entgegen gehen. Diese interessierten mich mehr, und so entschied ich mich für sie.
Die Produktion war 2021 die erste, für die die Scala in der Nach-Covid-Zeit wieder alle Karten verkaufen durfte. Die Regie von Leo Muscato mit ihrer leichten Ironisierung der Theaterwelt (Bartolo als Leiter einer Schauspieltruppe, Rosina als Primaballerina, Figaro – seiner Auftrittsarie entsprechend – als Faktotum usw.) hatte seinerzeit viel und berechtigten Erfolg (siehe „Merker“ Nr. 379 vom November jenes Jahres). Für die jungen, noch nicht bühnenerfahrenen Sänger erwies sie sich aber als nicht leicht zu realisieren, in dem Sinn, dass sie alles brav und exakt durchführten, aber im timing zu wünschen übrig ließen, was auf Kosten so mancher Pointe ging.
Dies gilt nicht für Marco Filippo Romano, der – wie bei diesen Produktionen üblich – der „gestandene“ Kollege war, von dem die jungen Leute lernen konnten. Sein Bartolo war so überheblich wie zänkisch, so selbstverliebt wie gravitätisch und doch eine rechte „Standsperson“, mit der man auch Mitleid haben konnte. Dazu kommt ein Qualitätsbariton wie man ihn selten im Buffobereich finden kann und die geradezu übermenschlich perfekte Beherrschung des temporeichen sillabato.
Ein stimmlich mehr als korrekter Figaro stand mit dem Koreaner Sung-Hwan Damien Park auf der Bühne, der sich mit einer gewissen Überdrehtheit bewegte, aber dem Text, vor allem bei den vielen Rezitativen, keine ausreichenden Nuancen abzugewinnen vermochte. Als Italienerin war Mara Gaudenzi in dieser Hinsicht im Vorteil. Ihr hell timbrierter Mezzo sprudelte flüssig und schaffte auch die schwierigen Kadenzen, die vom musikalischen Leiter des Abends, Evelino Pidò, geschrieben worden waren. Pidò war für das junge Ensemble ein aufmerksamer Begleiter und leitete das Orchester der Accademia mit Schwung und Hingabe. Matías Moncada verlieh dem Basilio einen angenehm dunklen Bass, verschenkte aber die komischen Aspekte der Figur. Pierluigi d’Aloia wirkte zu Beginn reichlich nervös, fing sich aber im Laufe des Abends. Allerdings blieb er ein Schmalspur-Almaviva. Als Berta fiel Nicole Wacker nicht weiter auf, Giuseppe De Luca war ein tüchtiger Fiorello (aber ich frage mich neuerlich, ob er wirklich nicht weiß, dass sein gleichnamiger Vorgänger [1876-1950] einer der absolut bedeutendsten Baritone weltweit war und er am Beginn der Karriere vielleicht seinen Namen abwandeln sollte – aber vielleicht spielt die Vergangenheit heute wirklich keine Rolle mehr).
Viel Zustimmung für alle seitens des praktisch ausverkauften Hauses.
Eva Pleus, 26. September 2023
Il barbiere di Siviglia
Gioachino Rossini
Teatro alla Scala
Wiederaufnahme am 4. September 2023
besuchte Vorstellung am 6. September
Inszenierung: Leo Muscato
Musikalische Leitung: Evelino Pidò
Orchestra dell’Accademia Teatro alla Scala