Mailand: „Der Florentiner Hut“ (Il cappello di paglia di Firenze), Nino Rota

Opern-Kleinod des Filmmusik-Komponisten

Die Entstehung dieses “Florentiner Strohhuts” hat ihre eigene Geschichte: Als Nino Rota (1911-1979) und seine Mutter Ernesta die letzten Monate des 2. Weltkriegs, aus Mailand kommend, in der Nähe von Bari in Apulien verbrachten, machten sie sich zum Zeitvertreib an die Übersetzung des Vaudeville „Un chapeau de paille d’Italie“ von Eugène Labiche (1815-1888), mit einer Generation Abstand Vorlȁufer von Georges Feydeau. Zum seinem eigenen Vergnügen schrieb Rota dann die Musik zu der Geschichte, in welcher der Bräutigam Fadinard in bester Slapstikmanier an seinem Hochzeitstag nach einem Strohhut jagen muss, der von seinem Pferd gefressen wurde, wodurch eine verheiratete Dame auf Abwegen in eine höchst peinliche Lage geraten würde, sollte sie sich ihrem Gatten ohne das kostbare Stück zeigen. Bis zum Happyend, als sich herausstellt, dass ein Onkel Fadinards genau einen solchen Hut als Hochzeitsgeschenk mitgebracht hatte, durchjagt der junge Mann, gefolgt von der Hochzeitsgesellschaft und dem cholerischen Schwiegervater, auf der Suche nach dem Hut Paris. Rota ahmte aufs Köstlichste den Stil verschiedener Komponisten nach, von Rossini über Chopin bis Mahler, und bei genauem Hinhören erkennt man Stile von Künstlern noch und noch. Es handelt sich aber nicht um Zitate, sondern um überaus unterhaltsame Paraphrasen. Die Mitarbeit seiner Mutter, einer hervorragenden Pianistin, am Libretto gewann schließlich solches Gewicht, dass ihr Name gemeinsam mit dem des Sohnes auf der Partitur und somit auf dem Programmzettel aufscheint.

© Brescia&Armisano / Teatro alla Scala

Ursprűnglich gar nicht für eine Aufführung gedacht, brachte aber Simone Cuccia, der einige Stücke aus der Komposition auf dem Klavier gehört hatte, das Werk nach einer Perfektionierung durch Rota 1955 im Teatro Massimo in Palermo heraus, dessen Intendant er geworden war. Der Publikumserfolg war unmittelbar und riesig, während sich die Kritik einmal mehr genötigt sah, über den „Filmkomponisten“, dem die Motive nur so zuflogen, die Nase zu rümpfen. Die Oper ist auch Rotas beliebtestes Werk geblieben.

In Mailand an der Piccola Scala erstmals 1958 in der Regie von Giorgio Strehler aufgefűhrt, gab es im großen Haus 1998 eine Produktion von Pier Luigi Pizzi, die dieser bereits 1987 für Reggio Emilia erarbeitet hatte, aber an der Scala unter der Leitung von Bruno Campanella und mit Juan Diego Flórez als Fadinard zu einem triumphalen Erfolg wurde, an den ich mich mit großem Vergnügen erinnere.

Wie üblich war die erste Vorstellungsreihe nach den Sommerferien den Schülern der Accademia della Scala vorbehalten, und die Wahl fűr diese Produktion war auf Nino Rotas Werk gefallen. Die zahlreichen Szenenwechsel, die sich auf der Jagd nach dem Hut ergeben, wurden von Riccardo Sgaramella mit Hilfe der Drehbühne ausgezeichnet gelöst. Dazu kamen die charakteristischen Kostüme von Chiara Amaltea Ciarelli, die zusammen mit der Bewegungsregie von Anna Olkhovaya den Regisseur Mario Acampa bestens in seiner quirligen Interpretation der die Lachnerven strapazierenden Handlung unterstützten. (Zur Ehrung von Rotas Mutter stand űber dem Tor der Huterzeugung „Chapellerie E. Rota et fils“, ein netter Einfall).

© Brescia&Armisano / Teatro alla Scala

Am Pult des Orchestra dell’Accademia del Teatro alla Scala stand der erfahrene Donato Renzetti, dem es gelang, den Hörer mit dem jungen Klangkőrper alle raffinierten Feinheiten der Komposition genießen zu lassen. Sehr gut schlug sich auch der Chor dell’Accademia Teatro alla Scala in der Einstudierung von Salvo Sgrò. Fadinard fand in Pierluigi D’Aloia mit seinem ansprechenden Tenor eine urkomische Verkőrperung, und man hatte richtig Mitleid mit dem geplagten Bräutigam. Zwerchfellerschűtternd und mit imposantem Bass der Chinese Huanhong Livio Li als tőlpelhaftes Landei und Schwiegervater Nonancourt. Als Emilio, Liebhaber der verheirateten Anaȉde (Greta Doveri mit vielversprechendem Sopran und sicherem Auftreten), gefiel William Allone mit kräftigem Bariton. Die Braut Elena gab die Litauerin Laura Lolita Perešivana mit feiner lyrischer Sopranstimme.

Tadellos in Kleinrollen der Chinese Haiyang Guo und der Koreaner Wonjun Jo. Soweit die derzeitigen Studierenden der Accademia, die an dieser Produktion teilgenommen haben. In zwei weiteren Rollen gab es ex-Studierende zu hören: Den schwerhőrigen Onkel Vézinet, der den Hut aus Hochzeitsgeschenk mitgebracht, aber durch sein Ohrenleiden nicht mitbekomme hatte, worum es geht, sang, vokal und darstellerisch űberzeugend, Paolo Antonio Nevi, die Modistin, Herrin der Hűte, aber leider ohne Florentinerhut, die Chinesin Fan Zhou. Wie immer gab es auch einen erfahrenen, erfolgreichen Kűnstler zur Unterstűtzung der jungen Leute – diesmal war es Vito Priante, der in der Rolle des betrogenen Ehemannes Beaupertuis mit seinem schönen Bariton die Klage űber seine Lage mit hoher Űberzeugung gestaltete (und an Mister Ford aus Verdis „Falstaff“ denken ließ). Die Brasilianerin Marcela Rahal war mit sonorem Alt die auf Promis gierende Baronesse di Champigny (und den von ihr so sehnlich erwarteten Geigenvirtuosen Minardi gab das Orchestermitglied Daniel Bossi). Als Geck Achille di Rosalba und von seinem Dienst wenig erfreuter Polizist fiel der Chinese Tianxuefei Sun mit schönem Tenor auf. Da auch in der zweiten Besetzung nur zwei italienische Namen auftauchen, muss man sich ernstlich fragen, wieso das Studium von klassischem Gesang kaum junge Menschen aus dem Land, das die Oper erfunden hat, anzieht.

© Brescia&Armisano / Teatro alla Scala

Es war jedenfalls ein gelungener Abend mit mehreren vielversprechenden jungen Leuten, der ein entsprechendes Echo mit sehr viel Beifall fand.

Eva Pleus, 11. September 2024


Il cappello di paglia di Firenze
Nino Rota

Teatro alla Scala

Premiere am 4. September 2024

Inszenierung: Mario Acampa
Musikalische Leitung: Donato Renzetti
Orchestra dell’Accademia Teatro alla Scala