Mailand: „Tosca“, Giacomo Puccini

© Brescia & Amisano

In diesem Jahr wurde die Produktion der Puccini Oper wieder aufgenommen, die 2019 die Saison eröffnet hatte (mit Anna Netrebko, Francesco Meli und Luca Salsi). Hinsichtlich Regie (Davide Livermore), Bühnenbild (Giò Forma) und Kostüme (Gianluca Falaschi) wir berichteten im Januar 2020 darüber, wo ich die verwirrenden, ständig verschobenen Aufbauten, vor allem des 1. Akts, vehement kritisiert habe, da sie überaus störend auf die Konzentration der Zuschauer wirkt. Livermore erklärte das damit, dass er ein Filmkenner und -liebhaber sei und die Realität von Sant’Andrea della Valle aus verschiedenen Blickwinkeln zeigen wolle. Da es sich aber um keinen Dokumentarfilm handelt, ist die Ablenkung des Publikums von den handelnden Personen, die sich ja an einer bestimmten Stelle der Kirche befinden, sinnlos. Dazu ist das Bildnis der Madonna, an welchem Cavaradossi angeblich arbeitet, schon fix und fertig (und entspricht dem Stil des Hochbarock, was mich annehmen läßt, dass unser Maler nur politisch ein Revolutionär war…). Der von Antonio Castro sehr gut ausgeleuchtete 2. Akt erspart uns dieses Karussell, doch konnte Livermore nicht umhin, durch Anheben der Bühne Cavaradossis Folterung im Keller zu zeigen. Viel und unnötig gedreht wird dann wieder im 3. Akt, wo sich Cavaradossis Zelle unter einem gigantischen Flügel der berühmten Skulptur befindet, die der Engelsburg ihren Namen gibt. Nicht zu verteidigen ist die Entscheidung, der so genial komponierten Musik nach Scarpias Ermordung nicht, den szenischen Vorschriften des Librettos gemäß, mit dem Aufstellen zweier Leuchter zu Seiten des Ermordeten zu entsprechen, sondern Tosca in einem Lichtkegel bis Aktschluss verharren zu lassen. (Ob das der Grund ist, warum Scarpia, bevor er sich endgültig auf Tosca stürzen will, sorgfältig die brennenden Kerzen löscht?). Betreut wurde diese der ursprünglichen Regie getreue Wiederaufnahme von Alessandra Premoli.

Als Musikdirektor der Scala hatte Riccardo Chailly 2019 wieder sein Interesse an Ausgrabungen gezeigt, welche ihm sogar bei diesem von Puccini praktisch gar nicht überarbeiteten Werk gelangen. Man muss dem Bühneninstinkt Puccinis einmal mehr recht geben, dass er den Einwurf Scarpias und Toscas Antwort, die „Vissi d’arte“ beenden sollten, gestrichen hat, und das gilt ebenso fuer weitere Ausrufe Toscas, nachdem sie den Tod ihres Geliebten entdeckt hat. (Im Übrigen ist nicht bekannt, ob der Komponist diese Striche nach der Generalprobe oder gleich nach der Uraufführung vorgenommen hat). Michele Gamba am Pult des Orchesters des Hauses hielt sich jedenfalls an diese Vorgaben, während er eine saft- und kraftvolle Auslegung dieses Meisterwerks dirigierte, auch wenn sie nicht an die ganz Großen herankam, die in vergangenen Jahrzehnten an der Scala zu hören waren.

An diesem Abend kam erstmals die Alternativbesetzung zum Einsatz: In der Titelrolle stellte sich Elena Stikhina vor, deren robuster Sopran keine stimmlichen Schwierigkeiten kannte, aber manchmal auch etwas hart klingen konnte. Als Persönlichkeit hatte sie nicht die fuer die Verkoerperung einer Diva nötige Ausstrahlung, auch weil ihr die Unterstuetzung durch entsprechende Kostueme fehlte, waren diese doch eher als Fähnchen zu bezeichnen. Fabio Sartori ist – ganz abgesehen von seiner Physis – kein ueberzeugender Cavaradossi, denn ihm fehlt die Gabe der Nuancierung von Puccinis stile di conversazione. Seinem Profil des Liebenden, Malers und Revolutionärs fehlten damit die entsprechenden Farben, die durch einige unangebrachte Schluchzer auch nicht ersetzt werden konnten.

© Brescia & Amisano

Der Scarpia von Amartuvshin Enkhbat hingegen war mit seinem an klassischen baritonalen Vorbildern des vorigen Jahrhunderts geschulten Gesang und der wahrlich als Jahrhundertmaterial zu bezeichnenden Stimme ein Genuss vom ersten bis zum letzten Augenblick, ein in vielen Facetten funkelnder Polizeichef, dem nur noch ein Allerletztes fehlt, sobald der Kuenstler entscheiden wird, ob dieser Scarpia dem Zynismus, der Eleganz, der Brutalität oder weiteren anderen Charakteristika den Vorzug geben wird. Eine Luxusbesetzung fuer den Sakristan fand sich in Marco Filippo Romano mit seinem interessant timbrierten Bariton und unverfänglich ironisierendem Spiel. Szenisch unbeholfen, aber mit erfreulich dunklem Bass interpretierte Li Huanhong den Angelotti, und Carlo Bosi war ein entsprechend abgefeimter Spoletta. Costantino Finucci (Sciarrone) und Kerkermeister Xhieldo Hyseni (letzterer von der Accademia der Scala) ergänzten ueberzeugend. Sehr sauber sang die kleine Cecilia Menegatti das Lied des Hirten.

Der während der Vorstellung eher flaue Beifall wurde am Ende des Abends mehr als herzlich.

Eva Pleus, 28. März 2025


Tosca
Giacomo Puccini

Teatro alla Scala, Mailand

Vorstellung am 25. März 2025

Inszenierung: Davide Livermore                                 
Musikalische Leitung: Michele Gamba
Orchestra del Teatro alla Scala