Bergamo: „Rosmonda D’Inghilterra“

Premieren: 28.10. und 25.11.2016
besuchte Aufführungen: 26. und 27.11.2016

Lieber Opernfreund-Freund,

die Fondazione Donizetti in Bergamo gräbt alljährlich nahezu nie aufgeführte Werke des Belcantomeisters aus, der immerhin 71 Opern komponierte, ehe er 1848 im Alter von 50 Jahren starb. Und so waren am vergangenen Wochenende an zwei aufeinander folgenden Tagen sein Frühwerk „Olivo e Pasquale“, das er 1827 zur Uraufführung brachte, sowie die sieben Jahre und 25 Opern später entstandene „Rosmonda d’Inghilterra“ an den beiden Bergamasker Theatern zu erleben.

Das Teatro Sociale in der Città Alta von Bergamo ist ein von außen nicht einmal recht als Theater zu erkennender Bau, wurde 1809 eröffnet und in den Jahren 2006 bis 2009 aufwändig restauriert. Es verfügt über 86 Logen in drei Rängen und bietet rund 550 Besuchern Platz. Außergewöhnlich ist sein offenes Gebälk im Dachstuhl, das während der Aufführungen dezent illuminiert wird und so eine einzigartige Atmosphäre schafft.
Bis zum letzten Platz besetzt war dieses Kleinod am vergangenen Samstag, als dort „Olivo e Pasquale“ gezeigt wurde, eine komische, recht früh entstandene Oper von Gaetano Donizetti, noch nicht durchkomponiert, sondern aus einzelnen Musiknummern bestehend, die durch gesprochene Dialoge unterbrochen sind. Das Libretto von Jacopo Ferretti, aus dessen Feder auch der Text zu Rossinis „Cenerentola“ stammt, erzählt die Geschichte zweier ungleicher Brüder, der eine laut und aufbrausend, der andere eher ruhig und besonnen. Beide sind Kaufleute in Lissabon und die Tochter des heißblütigen Olivo soll den wohlhabenden Le Bross aus Cadíz heiraten, liebt aber den Buchhalter ihres Vaters, Camillo. Le Bross und der sanftmütige Onkel Pasquale schlagen sich auf Isabellas Seite und der cholerische Olivo lenkt erst ein, als er glaubt, seine Tochter habe sich aus Verzweiflung umgebracht. Überglücklich darüber, dass sie doch am Leben ist, stimmt er ihrer Verbindung mit Camillo zu.

Zu diesem Schwank hat Donizetti wunderbar eingängige, gute Laune verbreitende Musik ersonnen, die stark an Rossini erinnert. Die Koloraturen der beiden Sopranarien sind selbst für Gaetano Donizetti außergewöhnlich waghalsig ausgeschmückt, die Partitur gefällt mit ihren stimmigen Duetten, lediglich Chor- und vor allem die Ensembleszenen überzeugen musikalisch noch nicht ganz. Bruno Taddia und Filippo Morace in den beiden Titelpartien leisten ganze Arbeit, bestechen durch Bühnenpräsenz und ein außergewöhnliches Gespür für komödiantisches Timing. Bruno Taddia gibt den Choleriker Olivo mit vollem, aussagekräftigem Bariton und überzeugt sogar noch mehr in den wenigen ruhigen Momenten, die die Regie seiner Rolle zugesteht und ihn einmal nicht als HB-Männchen wild gestikulierend über die Bühne hetzen lässt. Sein Bruder Pasquale findet in Filippo Morace einen stimmlich ebenso eher ruhigeren Gegenpol, gefällt mit lyischem Bassbariton. Pietro Adaini und Matteo Macchioni buhlen überzeugend um die Gunst von Isabella. Pietro Adainis Camillo glänzt mit beweglicher und sicherer Höhe, während Matteo Macchioni seinen Nebenbuhler Le Bross eher mit kräftiger Mittellage ausstattet und so mehr auf der Gefühlsebene überzeugt, denn mit ausgesprochenen Belcantoqualitäten. Die angebetete Isabella findet in Laura Giordano eine ideale Interpretin, die in ihren Arien stimmlich überwältigt, so geläufig, mit solch sicherer Höhe und mit solch großem Spaß trägt sie sie vor. Aber in den übrigen Szenen wird ihr außer ein wenig Haareraufen und der einen oder anderen opernhaften Geste von der Regie keinerlei Aktion zugebilligt, so dass sie ihre darstellerischen Qualitäten nicht wirklich zeigen darf.

Ganz anders verhält es sich mit dem allzu komischen Columella, gespielt und gesungen von Edoardo Milletti. Der geht darstellerisch mit dermaßen großem Eifer ans Werk, dass er mitunter seine Stimme ganz zu vergessen scheint, die gerade noch voll und kraftvoll und wenige Momente später schwach und kaum noch hörbar daher kommt. Giovanni Romeo dagegen ergänzt mehr als solide in der kleinen Rolle des Diego und Silvia Beltrami spielt als Matilde ihren klangvollen, warmen Mezzo voll aus. Der von Fabio Tartari einstudierte Männerchor ist dem übrigen Ensemble ein verlässlicher musikalischer Partner, Federico Maria Sardelli hält von der glühend-beschwingten Ouvertüre an das Orchestra dell’Accademia Teatro alla Scala unter Kontrolle und facht es zu wahren Klangergüssen an. An der musikalischen Umsetzung liegt es also nicht, dass der Abend nicht ganz gelingt. Auch die von Sara Sarzi Sartori, Daniela Bertuzzi und Arianna Delgado entworfene Bühne, die in ihrem Aufbau an die dreidimensionalen Kunstwerke von James Rizzi erinnern und durch geschicktes Licht Tiefe erzeugen, sowie die schreiend bunten Kostüme und Requisiten, die die drei Damen entworfen haben, gefallen und unterstreichen den komischen Charakter des Werkes. Lediglich das Regieteam operAlchemica, bestehend aus Ugo Giacomazzi und Luigi Di Gangi verklamaukt das Werk in hohem Maße, so dass feiner Witz keine Chance hat. Olivos Charakter wird bis an die Schmerzgrenze als Choleriker überzeichnet, der handlungsarmen zweiten Hälfte des ersten Aktes haben die Regisseure nichts entgegen zu setzen und die willkürliche Personenregie vor allem in den Ensembleszenen trägt zum Verständnis der durchaus wirren Handlung auch nicht bei. Viel hilft hier leider nicht viel…

Da hat das Kreativteam, das für die Umsetzung von „Rosmanda d’Inghilterra“ verantwortlich zeichnet, ein besseres Händchen und zeigt im Gegenteil, mit wie wenigen Mitteln welch große Wirkung erzeugt werden kann. Paola Rotas Personenführung ist bis hin zum letzten Chorsänger stringent, erzählt die Geschichte von Rosmonda, die in einem Turm lebt und den verheirateten König Enrico liebt, ohne zu wissen, wer er ist. Ihr Vater Clifford entdeckt ihr das Geheimnis ihres Galans und drängt sie zusammen mit der Königin Leonora dazu, Arturo zu heiraten und England zu verlassen, obwohl der König Leonora bereits des Landes verwiesen hat. Die Königin fühlt sich, da Enrico noch einmal zu Rosmonda geht, getäuscht und erdolcht die Rivalin.
Vor dunkler Kulisse und mit zwei beweglichen Wänden wird mit dem ausgefeilten Licht von Nicolas Bovey die Enge von Rosmondas Turm gleichsam den engen moralischen Zwängen, denen sie sich ausgesetzt fühlt, offensichtlich. Diese Regie tut etwas fürs Werk, Paola Rota stützt und unterstützt nur durch spärliche Requisiten und schafft den Sängern so ein wunderbares Tableau, um die Musik Donizettis zum Leben zu erwecken. Die ist an diesem Sonntag schon wesentlich reifer als am Abend zuvor, die Dramatik des Stoffes wird vom Komponisten meisterhaft in musikalisches Drama umgesetzt, so dass im Teatro Donizetti, dem größeren und prunkvolleren der beiden Spielstätten, große Oper entstehen kann.

Zwar lässt sich Eva Mei im ersten Akt darstellerisch von Angela Nisi doubeln und singt nur stehend von der Seite, übernimmt aber in der zweiten Hälfte wieder die szenische Darstellung der Rolle (wobei sich der eine oder andere Zuschauer schon fragte, warum sie in den beiden Szenen des ersten Aktes zwar stehen, aber nicht ein wenig umher gehen konnte). Stimmlich war die Sopranistin durchweg voll obenauf, überzeugt mit sicherer Höhe und großem Pathos. Dario Schmunck fällt die unsympatische Rolle des Enrico zu, der die Gattin verstößt, um seine Geliebte zur Königin zu machen (ganz so weit ging das historische Vorbild Heinrich II. mit seiner Geliebten Rosamund Clifford nicht). Bis auf wenige unsaubere Höhen gelingt ihm ein überzeugendes Rollenportrait, seine darstellerische Präsenz wird nur von Nicola Ulivieri getoppt, der Rosmondas Vater mit profundem Bass Seele einhaucht. In der Titelrolle glänzt Jessica Pratt.

Die junge Amerikanerin macht die innere Zerrissenheit ihrer Figur glaubhaft, überzeugt darüber hinaus mit unglaublicher Höhe und Geläufigkeit. Raffaella Lupinacci verleiht mit ausdrucksstarkem Mezzo der Hosenrolle des Arturo Kontur und überzeugt nicht nur in ihrer großen Szene im zweiten Akt. Fabio Tartari zeichnet, wie schon am Vorabend, für den Chor verantwortlich und hat die umfangreiche Partitur genau einstudiert. Die Sängerinnen und Sänger meistern aber auch ihren darstellerischen Part mit Bravour. Aus dem Graben tönt unter der Leitung von Sebastiano Rolli purer Donizetti, so farbenreich, so virtuos, so gefühlvoll lässt er das Orchestra Donizetti Opera aufspielen. Das Publikum im ausverkauften Haus ist zu Recht begeistert, und das sind vielleicht auch Sie, wenn Sie sich den RAI3-Mitschnitt einer Aufführung aus dem Teatro della Pergola in Florenz aus dem Oktober dieses Jahres anhören, in dem bis auf Herrn Schmunck und das Orchester die gleichen Künstler zu hören sind.

Ihr Jochen Rüth / 29.11.2016

Bilder (c) Fondatione Donizetti

P.S.
Liebe Fondazione Donizetti,
vielleicht ist es im kommenden Jahr möglich, Donizettis Geburtshaus zu den an dessen Eingang und den im Internet verzeichneten Zeiten auch zu öffnen, damit nicht Dutzende Besucher sonntags vor verschlossener Türe stehen – und das just an dem Wochenende, an dem Sie die Raritäten des Meisters aufführen. Vielen Dank!