Cagliari: „Gloria“, Francesco Cilea (erste Besprechung)

Lieber Opernfreund-Freund,

das Teatro Lirico di Cagliari tut sich seit ein paar Jahren mit der Ausgrabung von Opern hervor, die teilweise jahrzehntelang nicht gespielt wurden; dabei legt man einen Focus auf Werke von Zeitgenossen von Puccini, Mascagni und Leoncavallo, die aber wegen der Übermacht der Kassenschlager der drei genannten keinen dauerhaften Platz auf den Opernbühnen dieser Welt ergattern konnten. Nach Aufführungen von Lo Schiavo von Gomez, Marinuccis Palla de‘ mozzi und Licinio Refices Heiligenoper Cecilia in den vergangenen Jahren, zeigt man auf Sardinien seit gestern Gloria, ein Werk des kalabresischen Komponisten Francesco Cilea, das letztmals 1997 in der historischen Kulisse von San Gimignano mit Fiorenza Cedolins in der Titelrolle gespielt wurde.

(c) Priamo Tolu

Francesco Cileas bis heute gezeigte Adriana Lecouvreur hat sich hierzulande in den vergangenen Jahren ihren Platz auf den Bühnen zurück erobert, von seiner Gloria allerdings dürften nur eingefleischte Opernkenner jemals gehört haben. Das 1907 entstandene und 1932 umgearbeitete Werk erzählt von einer mittelalterlichen Stammesfehde, an der die Liebe zweier Menschen scheitert. Lionetto hat Gloria aus der Familie der feindlichen Bardi entführt und will sie, wohl auch aus Liebe, aber vor allem, um zwischen den Familien Frieden herzustellen, heiraten. Nachdem Gloria vom brüderlichen Auftrag, Lionetto zu vergiften, zurückschreckt, sticht der den verhassten Beinahe-Schwager auf der Hochzeit der beiden nieder und bricht erneut einen Krieg vom Zaun. Gloria nimmt sich mit Lionettos Dolch das Leben und sinkt, wie etwa 200 Jahre später und rund 300 km weiter nördlich Romeos Julia, sterbend an die Brust des toten Geliebten.

(c) Priamo Tolu

Francesco Cileas Werke haben alle einen eigenen musikalischen Charakter: nach seinem frisch-fröhlichen Erstling Gina, der süßen Arlesiana und der mondänen Adriana Lecouvreur ist Gloria sicher sein heroischstes Bühnenwerk voller ausladender Chorszenen. Zusammen mit der archaischen Handlung böte das die Gelegenheit für allerhand Action auf der Bühne – doch diese Chance lässt Regisseur Antonio Albanese ungenutzt, postiert den Chor völlig unbewegt als Teil der Kulisse und zeigt auch ansonsten eine Personenführung wie aus einem anderen Jahrtausend. Die Protagonisten stehen zumeist mehr oder weniger unbeteiligt nebeneinander, singen selbst bei größten Liebesschwüren das Publikum an und müssen ihr Spiel auf allzu opernhafte Gesten beschränken. Die räumliche Enge, die das an ein Amphitheater erinnernde Kulisse von Leila Fteita schafft, bricht Albanese zu keiner Zeit auf und auch die Beziehung von Gloria und Lionetto wird nicht ergründet. Da erinnert vieles an eine halbszenische Aufführung, wären da nicht die exquisiten Kostüme von Carola Fenocchio und Marco Nateri, die eine Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schlagen. Die Herren stecken die beiden in schwarze und sandfarbene, an Rüstungen erinnernde Anzüge, die sie in ihrer Freiheit einschränken; dadurch wirken aber die gestelzten Bewegungen, die Albanese die Protagonisten ausführen lässt, teils unfreiwillig komisch. Bei den Damen wurde reichlich Plissee verwendet und um Glorias knallrote Robe im letzten Akt – einziger Farbklecks aus der Schneiderei – samt futuristischem Kopfputz dürfte sie jede Hollywood-Diva beneiden.

(c) Priamo Tolu

Neid kommt bei so manchem Opernhaus sicher auch auf, wenn man sich die exquisite Besetzung des gestrigen Abends anschaut: In der Titelrolle glänzt Anastasia Bartoli, Tochter von – nein, nicht, was Sie jetzt denken – Cecilia Gasdia, die es in den 80er und 90er Jahren zu einer Weltkarriere brachte. Bartolis kraftvoller Sopran ist farbenreich, ihr messa di voce und ihre Höhenpiani sind anbetungswürdig. Hinzu kommt eine profunde Mittellage, die mich bis ins Mark trifft. Das tun auch die Fortesalven, die Franco Vassallo dem Publikum entgegen schmettert. Der ist ein Bösewicht wie aus dem Bilderbuch, gibt Glorias Bruder Bardo mit dunklen Farben, voller Energie und nicht nachlassender Kraft. Der Lionetto von Carlo Ventre gefällt mit seinem strahlenden Höhen voller Virilität, gepaart mit tenoralem Schmelz erster Güte. Aufhorchen lassen auch Ramaz Chikvalidze als Glorias Vater sowie vor allem der junge Alessandro Abis aus Cagliari als Bischof, der im vokalen Wettstreit den Vergleich mit Vasallo und Ventre nicht scheuen muss. 

(c) Priamo Tolu

Die Damen und Herren des Chores sind, wie erwähnt, zur körperlichen Passivität verdammt, trumpfen allerdings vokal auf. Dabei gefallen mir vor allem die von Giovanni Andreoli fein austarierten Damenstimmen. Im Graben lässt es Francesco Cilluffo düster rumoren, genießt die hymnischen Passagen und fährt dabei alles auf, was die Musikerinnen und Musiker des Orchestra del Teatro Lirico zu bieten haben; nur wenige Takte später erfreut er mit beinahe kammermusikalischer Intimität und lotet so die große Bandbreite von Cileas nur gut eineinhalbstündiger Partitur vollends aus. Das Publikum ist am Ende dieser Premiere zu recht begeistert und auch ich hoffe, dass es nicht erneut ein Vierteljahrhundert dauert, ehe sich ein Theater der Gloria annimmt.

Ihr Jochen Rüth, 11. Februar 2023


Francesco Cilea: Gloria

Premiere: 10. Februar 2023

Inszenierung: Antonio Albanese

Bühne: Leila Fteita

Kostüme: Carola Fenocchio / Marco Nateri

Choreinstudierung: Giovanni Andreoli

Musikalische Leitung: Francesco Cilluffo

Orchestra del Teatro Lirico

Weitere Vorstellungen: 11., 12., 15., 16., 17., 18. und 19. Februar 2023