Aufführung am 28.1.22 (Premiere)
Nachdem die letzte Opernsaison in der sardischen Hauptstadt Covid zum Opfer gefallen war, begann nun die Spielzeit 2022 – wie in diesem Haus üblich – mit einer Rarität. Der Komponist Licinio Refice (1883-1954) war Priester und trug mit seinen Werken viel zur von Papst Pius X. angestoßenen Erneuerung der Sakralmusik bei. Allerdings fühlte sich sein Temperament auch stark zur Bühne hingezogen, doch verbot ihm sein Stand, Opern zu schreiben.
Einen Ausweg fand Refice, indem er seinen oratorienhaften Kompositionen die Bezeichnung azione sacra gab. Außer „Cecilia“ gibt es von ihm auch eine „Margherita da Cortona“, die 1938 immerhin erfolgreich die Scalasaison eröffnete. 1925 entstanden, kam „Cecilia“ wegen kirchlicher Bedenken erst 1934 in Rom zur Uraufführung (wobei ihr ursprünglich vor dem Namen stehendes „Santa“ geopfert werden musste). Der Erfolg war riesig und verdankte sich zum Teil auch der Interpretin der Titelrolle, jene Claudia Muzio, die als Singschauspielerin lange vor Maria Callas als Divina bezeichnet wurde. Die leider bereits mit 47 Jahren verstorbene Künstlerin trug dank ihrer darstellerischen Fähigkeiten auch den Beinamen „Duse der Oper“. Refice hatte ihr die Rolle der Cecilia auf den Leib geschrieben und erhielt auch eine Sondergenehmigung, um sein Opus persönlich zu dirigieren. Bald gab es auch andere bedeutende Sängerinnen, die in dem Werk (das vier Jahre nach der Uraufführung bereits weltweit auf über hundert Aufführungen zurückblicken konnte) auftraten. Als Beispiel sei Renata Tebaldi genannt, die die Rolle 1953 in Neapel sang und 1954 in Rio de Janeiro, wo der Komponist während der Proben verstarb.
Erzählt wird die Geschichte der römischen Edeldame und heimlichen Christin Cecilia, die sich ihrem frisch angetrauten Gatten Valeriano/Valerianus verweigert, um als „Braut Christi“ unbefleckt zu bleiben. Die Erscheinung eines Engels verhindert, dass sie mit Gewalt genommen wird. In der zweiten Episode (so nennt Librettist Emidio Mucci die Akte) führt Cecilia Valeriano in die Katakomben, wo Bischof Urbano die Bekehrung von Saulus zu Paulus erzählt, wonach eine Blinde sehend wird und die versammelten Christen eine Erscheinung des Paulus haben. Der erschütterte Valeriano bittet darum, auch getauft zu werden. Die dritte Episode ist in zwei Bilder geteilt; zunächst droht der römische Präfekt Amachio/Amachius Cecilia mit dem Tod in einem überhitzten calidarium (eine Art Heißwasserspeicher für die Bodenheizung). Inzwischen wurden Valeriano und sein Bruder Tiburzio/Tiburtius als Christen hingerichtet (letzterer tritt im 1. Akt nur als strammer Römer auf, dann verliert sich seine Spur). Cecilia nimmt ihr Martyrium mit Freuden an, und da sie dieses überlebt, wird sie vom Präfekten erstochen. Das letzte Bild zeigt ihren Tod und ihre Heiligwerdung.
Die recht statische Handlung leidet unter dem in gestelzter Sprache abgefassten Libretto, während die Musik überaus dramatisch ist. Ich würde sie als dem Verismo verpflichtet bezeichnen, und demgemäß wird von den Stimmen viel verlangt, vor allem von Tenor und Bariton. Der Orchesterpart prangt in raffinierter Besetzung in vielen Farben; er lässt wiederholt an Mascagni denken. Ich kann mir vorstellen, dass das Werk mit einem anderen Sujet nicht so radikal in der Versenkung verschwunden wäre.
Die geglückte Regie von Leo Muscato vereinfachte die zahlreichen Angaben des Librettos, in welchem zwischen Sklaven, Freigelassenen und Honoratioren unterschieden wird, und beschränkte sich darauf, den Chor in römischer Tunika bzw. einfacher weißer Kleidung für die Christen agieren zu lassen (Kostüme: Margherita Baldoni). Das einfache Bühnenbild (eine von zwei bogenförmigen Mauern umgebene Steintreppe) von Andrea Belli wurde von Alessandro Verazzi vielfach schattierend sehr gut ausgeleuchtet. Dazu kamen die ausgezeichneten, nie aufdringlichen Videos von Luca Attilii, die neben Wolkenformationen Bilder von Barockkünstlern zeigten (etwa den Hl. Paulus und im Schlussbild vier verschiedene Darstellungen der Hl. Cäcilie, unter anderem eine von Guido Reni).
Die musikalische Umsetzung fand mit Giuseppe Grazioli am Pult des sich in optimaler Form befindenden Orchesters des Hauses einen hörbar überzeugten Anwalt der Komposition, der sie in all ihrer Kraft und Dramatik erstrahlen ließ. Hervorragend schlug sich auch der von Giovanni Andreoli einstudierte (maskierte) Chor, dem Refice einen umfangreichen Part geschrieben hat.
Die Männerrollen sind, wie erwähnt, stimmlich sehr herausfordernd. Vom Material her wäre Antonello Palombi ein Valeriano mit dem rechten heldischen Tenor, aber seine Einheitslautstärke nervt und verurteilt ihn zu einer bedenklich langweiligen Interpretation. Mit kraftvollem, aber nie überstrapaziertem Bariton schlug sich da Roberto Frontali als Tiburzio in der ersten und als Amachio in der dritten Episode besser. In der Titelrolle klang Martina Serafin in den ruhigen Passagen recht gut, aber wenn es für sie, vor allem in den beiden letzten Szenen, dramatisch wurde, war der schrille, schneidende Klang ihres Soprans schwer erträglich. Ob sie in dieser Verfassung tatsächlich in Wien die Isolde singen wird? Den mehrfach auf einer Schaukel in den Wolken erscheinenden Engel sang sehr sauber Elena Schirru. Eindrucksvoll gelang Giuseppina Piunti die Studie der geheilten Blinden, und der Bass Alessandro Spina gab einen überzeugenden Urbano. In Kleinstrollen komplettierten verlässlich Christian Collia und Patrizio La Placa.
Der Beifall eines Publikums, das sich vermutlich schon auf den als nächstes kommenden „Liebestrank“ freut, war mehr als freundlich.
P.S.: Die Hl. Cäcilie ist bekanntlich die Schirmherrin der Musik. Lustig, dass diese Zuschreibung auf einen Übersetzungsfehler (aus candentibus organis, den erhitzten Folterinstrumenten, wurden cantantibus organis, die Musikinstrumente) zurückgeht.
Eva Pleus 1.2.22
Bilder: Priamo Tolu