Lieber Opernfreund-Freund,
ein knallbunter Liebestrank wird seit gestern am Theater Aachen ausgeschenkt. Der andorranische Regisseur Joan Anton Rechi entführt uns mit seiner quirligen Produktion in die USA der 1950er Jahre und auch das komplett aus jungen Nachwuchssängern bestehende Solistenensemble begeistert dabei mit ansteckender Spielfreude.

Die USA gilt als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem sich alle Träume erfüllen lassen. Wohl deshalb siedelt Regisseur Joan Anton Rechi seine Version von L’elisir d’amore dort an: schließlich geht es in Donizettis Dauerbrenner um Träume und Sehnsüchte, die sich auf wundersame Weise erfüllen sollen. Wenn sich der Vorhang hebt, befinden wir uns auf einem US-amerikanischen Rummelplatz der 50er Jahre mit Wurfbuden, Zuckerwatte und Popcorn. Dank der bonbonfarbenen Kostüme von Sandra Münchow gelingt die Zeitreise perfekt und so ist der Boden bereitet für einen entzückenden Opernabend. Rechispielt mit den Klischees und punktet mit lebendiger Personenführung: immer wieder finden am Rand der Handlung urkomische Zeitlupenszenen statt, man hat ständig etwas zu entdecken und dass Dulcamara, der allen alles verspricht, wie eine Mischung aus Uncle Sam und Donald Trump daherkommt, ist gewiss auch kein Zufall. Nach der Pause verlegt Rechi die Handlung in ein typisch amerikanisches Diner, das Gabriel Insignares farbenfroh gestaltet hat, lässt den vielbeschäftigte Chor (hervorragend vorbereitet von Alexander Einarsson) in herrlichen Uniformen auftreten. Es wird also optisch viel geboten gestern Abend.

Doch auch die Sängerriege weiß zu überzeugen. Drei der fünf Solisten kennen sich schon länger, waren bis 2023 Mitglieder im Internationalen Opernstudio der Staatsoper Stuttgart und sind zusammen mit Intendantin Elena Tzavara in der Spielzeit 2023/24 nach Aachen gekommen. Und das merkt man Adina, Nemorino und Belcore an: die drei funktionieren auf der Bühne einfach glänzend zusammen, spielen sich darstellerisch die Bälle zu und singen vorzüglich: Laia Vallés ist eine wunderbar klar singende Adina, zeigt strahlende Höhe und herrliche Koloraturen. Der Nemorino von Ángel Marcías lässt in der Höhe ein wenig Glanz und Volumen vermissen, überzeugt mich vor allem in der Mittellage mit seiner gefühlvollen Stimmführung, die er nicht nur in Una furtiva lagrima zeigt. Dazu verfügt der junge mexikanische Tenor über eine unvergleichliche Bühnenwirkung. Sein Landsmann Jorge Ruvalcaba ist ein Belcore wie aus dem Bilderbuch: testosterongesteuert im Auftreten, männlich-kraftvoll im stimmlichen Ausdruck und mit einem betörenden Timbre ausgestattet.

Überraschung des Abends ist für mich der als Chorsänger geführte Bassbariton Sungwoo Hwang, der den Dulcamara in bester Buffomanier auf die Bühne bringt, voluminös den Theaterraum bis in den letzten Winkel füllt und die Figur als Mischung aus Quacksalber und Präsidentenwitzfigur anlegt. Die junge Stipendiatin Evelyn Grünwald komplettiert die fantastisch aufspielende Sängerriege als quirlige Gianetta mit ihrem beweglichen Sopran.

Bei so viel Esprit auf der Bühne wirkt mir das an sich exakte Dirigat des aus Südkorea stammenden Chanmin Chang nicht immer leicht genug, übertüncht es mitunter doch die jungen Stimmen. Da hätte ich mir noch ein wenig mehr musikalischen Schwung gewünscht Doch das ist Jammern auf hohem Niveau: diesen Liebestrank kann ich Ihnen, lieber Opernfreund-Freund, guten Gewissens ans Herz legen. Ich bin sicher, auch bei wiederholtem Besuch werden Sie sich nicht satt sehen können und werden blendend unterhalten.
Ihr
Jochen Rüth
7. Dezember 2025
L’elisir d‘amore
Oper von Gaetano Donizetti
Theater Aachen
Premiere: 6. Dezember 2025
Regie: Joan Anton Rechi
Musikalische Leitung: Chanmin Chang
Sinfonieorchester Aachen
weitere Vorstellungen: 12., 20., 27. und 31. Dezember 2025, 10. und 22. Januar, 15. Februar, 8. und 24. März sowie 24. Mai 2026