Wien: „Schwanda der Dudelsackpfeiffer“, Jaromir Weinberger (zweite Besprechung)

Für diese Volksoper in zwei Akten und fünf Bildern schrieb Miloš Kareš (1891-1944) das tschechische Libretto, das eine alte Volkssage in der Fassung des Dramas von Josef Kajetán Tyl (1808-56) Der Dudelsackspieler von Strakonitz (1847) zur Grundlage hat. Der Oper war jedoch bei der Uraufführung am 27. April 1927 am Prager Nationaltheater noch kein Erfolg beschieden. Das änderte sich aber rasch als Max Brod (1884-1968) das Libretto in die deutsche Sprache übertrug. In dieser 2. Fassung fügte er eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Dudelsackpfeifer Schwanda, seiner Frau Dorota und dem Räuber Babinsky hinzu, wohl wissend, dass eine pikante menage à trois damals wie heute geeignet ist, unser allgemeines Interesse zu wecken.

(c) Matthias Baus

Die erfolgreiche deutsche Erstaufführung fand dann am 16. Dezember 1928 in Breslau statt. Verortet wurde die vorliegende Aufführung im Wien der Gegenwart und während der langen Orchesterzwischenspiele sieht man Schwanda und seinen Spezi Babinsky mit dem Taxi vom Würstelstand zum Prater und schließlich durch Wiens Demimonde ziehen, wobei reichlicher Bierkonsum das seine zu einer immer lasziveren Stimmung beiträgt, die darin gipfelt, dass die beiden Männer einander umarmen und mehr als nur „brüderlich“ küssen… Ja: Wien war schon immer anders… Wie Faust oder Peer Gynt, so gelangt auch Schwanda von der kleinen Welt in die mondäne, große Welt der Königin, deren Herz von einem Magier zu Eis verzaubert wurde. Mit seinem Spiel gelingt es ihm, sie wieder zu erwärmen, wofür sie sich mit einem blow job bedanken will, bei dem der Magier voyeuristisch zusieht und masturbiert. Unerwartet taucht die eifersüchtige Dorota auf und bewirkt dadurch einen interruptus aller gerade im Gange befindlichen sexuellen Praktiken. Die gedemütigte Königin lässt Schwanda gefangen nehmen und zur Hinrichtung abführen. Mit Hilfe seines Dudelsacks aber kann sich Schwanda freispielen. Sein Meineid, Dorota bei allem „treu“ geblieben zu sein, rächt sich unmittelbar, und Schwanda versinkt in die Hölle einer schäbigen Vorstadtbar. Der Teufel kauft ihm nun die Seele ab, doch als Retter in höchster Not erscheint Babinsky, besiegt den Teufel im Kartenspiel und kann so Schwanda wieder aus dessen Klauen befreien. Heimgekehrt findet er Dorota dann wieder im Bett mit seinem Spezi Babinsky… Weinbergers spätromantischer Musikstil bedient sich neben böhmischer Volksmusik mit ihren Polkas, Furiants (schneller böhmischer Volkstanz mit Taktwechsel), Dumkas (Gattung von Volksliedern) und Odzemeks (slowakischer Solotanz für Männer), auch Themen aus Smetanas Verkaufter Braut, Aubers Fra Diavolo oder Marschners Hans Heiling.

(c) Matthias Baus

Darüber hinaus finden sich aber auch Anklänge an Zemlinsky, Schreker, Korngold, Braunfels, ja sogar Richard Strauss. Die Ausbreitung des Nationalsozialismus verhinderte nach 1933 weitere Aufführungen. Weinberger musste wegen seiner jüdischen Abstammung in die USA emigrieren, wo er sich schließlich das Leben nahm. Erst seit etwa 15 Jahren gelangte das Werk wieder auf die Spielpläne namhafter Opernhäuser. So zuletzt in Berlin 2022 an der Komischen Oper in einer Inszenierung von Andreas Homoki, wo Daniel Schmutzhart den Schwanda mit großem Erfolg interpretierte. Regisseur Tobias Kratzer war bei seinem schlüssigen Regiekonzept von Schnitzlers Traumnovelle, aber auch von Stanley Kubricks Mystery-Thriller Eyes Wide shut aus dem Jahr 1999 inspiriert. Was die orgiastischen filmischen Szenen während eines der orchestralen Zwischenspiele betrifft, könnte ich mir jene bombastische Inszenierung einer Orgie aus dem Film Das Parfüm – Die Geschichte eines Mörders durch die spanische Tanzsteatergruppe La Fura dels Baus aus dem Jahr 2006 als anregende Quelle bei der Realisierung dieser Szenen vorstellen. Die Ausstattung von Rainer Sellmaier setzt das Regiekonzept von Tobias Kratzer nachvollziehbar um. Eine schlichte Wohnung von Schwanda und Dorota, statt der Hölle eine Bar, Magier und Königin führen einen luxuriösen Salon. Die spannende Lichtregie lag in den Händen von Michael Bauer. Der Selbsterfahrungstrip, den Schwanda und Babinsky in der Halbwelt von Wien erleben, wurde von den Videokünstlern Jonas Dahl und Manuel Braun in aberwitzigen bis beklemmenden Bildern festgehalten. Auf die im Programmheft genannte „Intimitätskoordinatorin“ Bernadette Maria Leitner hätte man sicherlich verzichten können, denn die Protagonisten auf der Bühne hätten auch ohne Anleitung gewusst, wie man sich und wo man sich andeutungsweise anfassen kann. Petr Popelka führte die Wiener Symphoniker in musikalisch höchste klangliche Sphären.

(c) Matthias Baus

Der tschechische Dudelsack ist auf Es gestimmt, erklingt aber an keiner Stelle der Oper. Er fungiert gleichsam als Ablenkungsmanöver, als „running herring“, oft zitiert, aber nie gespielt. Stattdessen ertönen eine Polka, ein tschechischer Tanz und sogar eine Fuge im Stile Max Regers, des Lehrers des Komponisten. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor sang gewohnt solide. Der Südtiroler Andrè Schuen gefiel in der Titelrolle schon rein optisch mit seinen langen Haaren. Dazu gesellte sich noch sein kräftiger erdiger Bariton. Movens des Geschehens ist Pavol Breslik als Babinsky mit höhensicherem Tenor, der sowohl Dorota als auch Schwanda, Letzteren zumindest zu einem Kuss, verführt. Vera-Lotte Boecker ist keinesfalls die stets hingebungsvolle Gattin Schwandas, sondern einem „Quicky“ mit Babinsky zu Beginn und am Ende der Oper nicht abgeneigt. Ihr Sopran weist leider manchmal eine scharfe, unsaubere Höhe auf. Der kroatische Bassbariton Krešimir Strazanac gab einen rumorenden Teufel im tristen Ambiente einer Wiener Vorstadtbar. Ester Pavlu als „Eis“Königin gefiel mit ihrem gut geführten ausdrucksstarken Mezzosopran. Ob der Magier von Sorin Coliban mit gewaltigem Bass vielleicht mehr als nur ein „Magier“ ist, vielleicht ein sadistischer Nobelzuhälter, bleibt von der Regie offen. In den kleineren Rollen wirkten höchst zufriedenstellend Tenor Miloš Bulajić, in Bonn geboren als Sohn einer serbischen Musikerfamilie, als 1. Landsknecht, Richter und Höllenhauptmann, der aus Großbritannien stammende Bariton Henry Neill als 2. Landsknecht und der moldawische Tenor Iurie Ciobanu als Scharfrichter sowie als Famulus des Teufels mit. Zu erwähnen wäre noch, dass es eine TV-Produktion aus Wiesbaden von 1969 gibt, in der die Hauptrollen von Harald Serafin als Schwanda, Miriana Irosch als Dorotká, Cesare Curzi als Babinski, Jean Madeira als Eiskönigin und Fritz Rémond als Dirigent-Luzifer gesungen wurden. Der Abend brachte für den Rezensenten eine höchst interessante Begegnung mit einem völlig zu Unrecht vernachlässigten Juwel der Zwischenkriegszeit. Die Ausklammerung des Märchenhaften hat der Oper in der Sichtweise durch Regisseur Tobias Kratzer keineswegs geschadet. Das bewies nicht zuletzt der große Schlussapplaus am Ende der knapp dreistündigen Aufführung.

Harald Lacina, 22. November 2023


Schwanda der Dudelsackpfeiffer
Jaromir Weinberger
MusikTheater an der Wien im MuseumsQuartier

Premiere am 18. November 2023
Besuchte Vorstellung am 20. November 2023

Regie: Tobias Kratzer
Dirigat: Petr Popelka
Wiener Symphoniker

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