David T. Little
Ausweichquartier wg. Umbau: Staatstheater im Martinipark
Zu berichten ist von einem interessanten, vielschichtigen, man ist versucht zu sagen: fulminanten Premierenabend mit begeisterter Aufnahme beim Publikum in Augsburg, wiederum mit einem Werk, das wir bisher nicht kannten: JFK, Oper in 31 Momenten und einem Prolog von David T. Little (Musik) und Royce Vavrek (Libretto), ein Auftragswerk der Fort Worth Opera, der Opéra Montréal und dem American Lyric Theater, das am 23. April 2016 in der Fort Worth Opera in Texas uraufgeführt wurde.
Inhaltlich beschäftigt sich das Werk nicht mit dem Attentat auf John F. Kennedy, sondern führt uns am Abend vor demselben in ein Hotelzimmer, in dem der Präsident und seine Frau die letzte Nacht vor dem Attentat verbringen. Die Autoren versuchen, dem Mythos Kennedy näher zu kommen und bemühen dazu verschiedene Ebenen, die ineinander oder auch nebeneinander zum Tragen kommen. Das ist interessant – aber auch schwierig. Das Werk wurde nicht eindeutig als Erfolg verbucht und von der Kritik eher negativ besprochen; schon bei der Uraufführung hat eine offensichtlich sich verselbständigende Inszenierung den Abend gerettet.
Auch in Augsburg ist der Erfolg der Inszenierung, für die Roman Hovenbitzer verantwortlich zeichnet, unbestritten. Ihm und seinem Team (Natalia Orendain del Castillo & Paul Zoller verantwortlich für Bühne & Video, Bernhard Niechotz– Kostüme, Marco Vitale – Licht und Sophie Walz – Dramaturgie) ist ein Abend gelungen, der durch die Üppigkeit der Einfälle, die Opulenz der theatralischen Mittel und die nahezu bewundernswerte Balance zwischen Realität und Traum überwältigend, stellenweise überrumpelndfür sich sprechen. Ein Abend, der viele Fragen stellt, gewiss, aber eben auch ein Abend, der in Bann zieht, nie langweilig ist und gewissermaßen eine Variante des amerikanischen Traumes auf die Bühne bringt, der man sich nicht verschließen kann. Dazu kommt eine musikalische Breite – fast möchte man von Epik sprechen – die durch die Vielfalt der stilistischen Mittel überzeugt und der Lancelot Fuhryan der Spitze der wieder bestens disponierten und in großer Besetzung spielendenAugsburger Philharmoniker zu nachhaltigen Eindrücken verhilft; eine Musik, die von subtilen lyrischen Momenten bis zu absoluten Gewaltausbrüchen fähig ist, dabei immer anhörenswert, nie das Ohr beleidigend, ohne – und das ist fast ein Phänomen! – im eigentlichen Sinne einprägsam oder gar szenisch konkret zu sein. Diese grandiose Umsetzung des Werkes nimmt gefangen, lässt viele Fragen, die natürlich offen bleiben, vergessen. Man war Zeuge eines großen theatralischen Augen-blickes, der den „Machern“ zu danken ist.
Und mit „Machern“ sind hier nicht nur die bereits genannten Verantwortlichen gemeint, sondern das bezieht sich auf das gesamte Team, ein Solistenensemble des Hauses, das mit nur einem einzigen Gast auskommt, alle Partien konnten – wenn auch unterschiedlich in der Leistungsfähigkeit – mit eigenen Kräften besetzt werden. Alejandro Marco-Buhrmester bringt für die Titelpartie nicht nur seinen kräftigen, modulationsfähigen Bariton ein, sondern erreicht als Figur auch eine außerordentlich glaubwürdige Annäherung an das historische Original. Kate Allen hat als Jackie Kennedy sicher die umfangreichste, wohl auch schwierigste Partie zu meistern, für die sie schon beachtliche stimmliche Möglichkeiten aufbietet, der es allerdings noch an Differenzierungsmöglichkeiten – sowohl stimmlich als auch darstellerisch mangelt. Sally du Randt ist als Clara geradezu eine Luxusbesetzung. Welches Haus kann es sich schon leisten, die vielfach bewährte und immer großartige Sängerin mit einer so vergleichsweise bescheidenen Partie zu besetzen. Darstellerisch wie immer zuverlässig und präzise, gelingen ihr stimmliche Momente, dieim ersten Teil u.a. durch Schlichtheit und Lyrik zu Herzen gehen, im zweiten Teil lässt sie das Terzett dreier Frauenstimmen im oberen Register mit Silberglanz erblühen (der „Rosenkavalier“ lässt, wenn auch leicht verfremdet, grüßen). Als einziger Gast stellt sich Wolfgang Schwaninger der komplizierten, eher undankbaren Partie des Rathbone mit vollem Einsatz. Ein kleines Kabinettstück gelingt der Sopranistin Olena Sloia mit der komplizierten Rolle der Rosemary Kennedy, Jacks Schwester, die anfangs als kecker Teenager brilliert und später als tragische Figur nach der vom Vater verordneten Gehirnoperation zum tragischen Vehikel verfällt, eine sehr gute Studie. Roman Poboinyidarf als Nikita Chruschschow bis hart an die Grenze der Karikatur gehen, während IrakliGorgoshidzeals Lyndon B. Johnson leider etwas blass bleibt, ebenso Natalya Boevaals die spätere Jackie Onassis, allerdings auch eine Szene, die meines Erachtens nicht ins Stück gehört (siehe unten). Großartig wie so oft der von Carl Philipp Fromherzglänzend studierte Opernchor und Extrachor des Staatstheaters Augsburg, klangschön und mit vollem Einsatz sowohl in den „realen“ Szenen als auch in den kommentierenden Beiträgen. Aus ihm rekrutieren sich auch die Texanischen Politiker mit Kraft und vollem körperlichen Einsatz (Gabor Molnar, Gerhard Werlitz, László Papp, André Wölkner und John Dalke). Aus dem großen Aufgebot der Statisterie sei stellvertretend Jan Plausteinerals The Cutter hervorgehoben. Die Augsburger Domsingknaben (in der Einstudierung von Stefan Steinemann) haben ebenso wesentlichen Anteil am Erfolg des Abends wie die vielen fleißigen Hände hinter der Bühne, die den effektvollen Abend auf der Behelfsbühne des Martiniparks überhaupt erst möglich machen. Allen ein großes Lob!
Natürlich hat das Werk Tücken und Unschärfen: eigentlich ein Zweipersonenstück, eine Auseinandersetzung eines nicht eben recht glücklichen Ehepaares mit familiären und vor allem gesundheitlichen Problemen, ein „einsamer“ Abend, der durch Träume und Alpträume die private Sphäre recht schnell sprengt. Augsburg hat sich nicht sklavisch an die Vorlage gehalten, hat – vielleicht zu vorschnell? – die Vorgaben des Werkes frei überlesen. Das beginnt schon beim Personenzettel: das Werk geht von drei Gruppen an Charakteren aus: es unterscheidet „die Sterblichen“ (Jack und Jackie Kennedy und einen Reporter); „die Schicksale“ (Clara Harris [Cloto, die Spinnerin], als Hotelmädchen anwesend; Henry Rathbone [Lachesis, der Allotter], anwesend als Geheimdienst; und „der mit drei Namen benannte Schauspieler [Atropos, der Cutter]; schließlich drittens „die Erscheinungen“ (Rosemarie Kennedy, Nikita Chruschtschow, Jackie Onassis, Lyndon B. Johnson u.a.). „Die Schicksale“, die letztendlich das Leben bestimmen, sind in der ursprünglichen Anlage sicher am schwierigsten darstellbar, ihre Reduzierung auf mythische Gestalten scheint logisch, ist aber natürlich in der theatralischen Umsetzung kompliziert. Es hatte schon einen Reiz, dass in der ursprünglichen Werkgestalt zwei historische Personen bemüht wurden, Henry Rathbone und seine damalige Verlobte Clara Harris, die beide beim Mord an Abraham Lincoln zugegen gewesen sind.
Natürlich hat das nichts unmittelbar mit Kennedy zu tun,Licoln wurde 1865 ermordet. Die Tatsache, dass diese beiden nun als Geheimdienstmitarbeiter bzw. Hotelmädchen „agierend“ zur Stelle sind ist nur zu erklären aus der „mythischen“ Komponente, die die Autoren ihnen zuteilen: „Cloto, die Spinnerin“, die den Lebensfaden „spinnt“ und „Lachesis, der Alloter“, der ihn bemisst, sind zwei der drei Schicksale, die das Leben bestimmen; „Atropos“ schließlich schneidet den Lebensfaden durch. Man hat das vereinfacht durch Eliminierung der historischen Komponente (den Bezug zu Lincolns Ermordung) und die beiden als eine Art „Spielordner“ an ein Regiepult mitten in die beiden ersten Zuschauerreihen gesetzt, woher sie das Spiel leiten und führen, es auch „aufzeichnen“ und letztendlich „cuttern“; gelegentlich verlassen sie ihr Pult und greifen auf der Szene in das Spiel ein. Am Ende haben sie ihre Filmrollen fertig. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob das für unvoreingenommene Zuschauer nachvollziehbar ist, wüsste allerdings auch keine plausiblere Möglichkeit der Darstellung. Die im Werk vorhandene Rolle des „Reporters“ wurde eliminiert und der entsprechende Text an Rathbone delegiert, was mir unverständlich war. Die beiden Autoren äußerten in einem früheren Interview in Amerika, dass sie bewusst auf Kennedys Vater und Bruder Robert als Figuren verzichtet hätten, ebenso auf die Episode mit Marilyn Monroe – in Augsburg erscheint die gesamte Kennedy-Familie auf der Bühne, ebenso am Schluss die Monroe.
Sei es drum: Hovenbitzer hat die Geschichte bereichert, hat auch das Fernsehen, das ja von Kennedy als erstem Präsidenten optimal genutzt wurde und seinen „Mythos“ wesentlich begründete, einbezogen und so eine Show geschaffen, die allein schon dadurch fasziniert, weil sie hervorragend funktioniert. Es gibt schwache Momente im Stück, wie z. B. die völlig unverständliche und eigentlich überflüssige Begegnung zwischen Jackie Kennedy und Jackie Onassis (ein Vorgriff auf die Biographie der First Lady der nicht nur unverständlich sondern geradezu spekulativ ist!), es gibt Szenen, wo man sich auf Messers Kante bewegt, was den guten Geschmack betrifft (die Begegnung mit Chruschtschow hatte ja sicher nicht nur etwas mit „unter den Tisch saufen“ zu tun, schließlich wurde damals – und eindeutig durch die konsequente Haltung Kennedys! – ein 3. Weltkrieg verhindert). Ebenso wäre die Art und Weise, wie Vizepräsident Johnson mit seinem Präsidenten umgeht geeignet, Gerüchte über die Drahtzieher des Attentates erneut anzufeuern…
„Hätte die Nation gewusst, wie krank John F. Kennedy wirklich ist, wäre er nie Präsident geworden“ urteilte einst einer der Biographen des Präsidenten. Und diese gesundheitlichen Probleme spielen eine zentrale Rolle im Werk. Sie können natürlich auch seine Träume wesentlich geprägt haben, in Träumen ist vieles möglich, auch Übertreibungen und Verzerrungen. Ob das Werk, das man durchaus als große Oper bezeichnen darf, alle Erwartungen erfüllt, bleibe dahingestellt. Ich fand den Abend interessant und fesselnd, das Publikum offensichtlich auch, davon zeugte der starke und ausnahmslos alle einbeziehende, lange Applaus. Leider sind wir immer schnell dabei, wenn es darum geht, eine Sache abzuqualifizieren. Wie viele moderne Werke gibt es denn, die das Publikum erreichen? Wie viele Werke sind erst durch Interpretationen zu Leben erweckt worden? Ist es nicht gut, wenn man in Zeiten der allgemeinen Regie-Schelte auch mal einen Abend erleben kann, der seine Qualität der Regie verdankt? Ich altmodischer Mensch habe mich wie immer mit Hilfe des Klavierauszuges und anderer Hintergrundinformationen auf den Abend vorbereitet – vielleicht hätte ich es lassen sollen. Jedenfalls bin ich dankbar dafür, dass mir durch diese Aufführung ein Werk erschlossen wurde, das mich sogar ohne Vorbereitung erreicht hätte. Und es stört mich überhaupt nicht, wenn Andere es anders sehen.
Werner P. Seiferth 27.3.2019
Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
Fotos (c) Jan-Pieter Fuhr