Bonn: „Die Frau ohne Schatten“, Richard Strauss

Da sitzt er nun: Peter Konwitschny, Regie-Altstar, Berserker, Publikumsschreck. In einem vorab von der Oper Bonn veröffentlichen Interview erzählt er altväterlich, dass dies nun seine 209. Inszenierung sei. Und ja, er hat eine Menge gemacht – Dinge, die das Publikum oft auf die Barrikaden getrieben haben, die aber in gewisser Weise auch epochal waren. Der Lohengrin im Klassenzimmer löste Entrüstung aus, die Daphne in Essen zeigte plakativ in der himmlischen Schlussmusik eine Nähe von Richard Strauss zu den Nazis. Man möchte sagen, Skandale pflastern den Weg des unbequemen Theatermachers, der nun zu einer Neuinszenierung von Richard Strauss‘ Frau ohne Schatten nach Bonn gekommen ist (eine Produktion, die bereits in Tokio Premiere hatte). Doch was tut Konwitschny nun kund in diesem Video, das bereits im Vorfeld erboste Reaktionen auslöste? Manch einer mag sich gewundert und es für einen Fehler gehalten haben, dass die Spieldauer des Abends anstatt der üblichen vier Stunden nun mit zwei Stunden und 40 Minuten angegeben ist – doch es stimmt. Regisseur und Dramaturgin haben das Werk zerfleischt und nach eigenem Gusto neu zusammengesetzt. Dafür lobt sich der Regisseur in besagtem Video auch noch selbst. Nun wird diese Oper zwar fast nie ohne Striche gespielt, denn gerade das Melodram der Kaiserin im dritten Akt, das der sonst nicht für Selbstkritik bekannte Richard Strauss als das Schlechteste, was er jemals geschrieben habe, bezeichnete, ist selten komplett zu hören. Die Regie geht aber jetzt hin, verkündet selbstgefällig, dass man sich schämen müsse, wie das Werk bisher erzählt worden sei, und er, der Altmeister, nun erkannt habe, dass tiefste Frauenfeindlichkeit dieser Oper zu eigen sei, und man daher endlich eine Fassung erstellt habe, die ihm gefalle. Das ist eine Aussage, die man sich durchaus mal auf der Zunge zergehen lassen sollte: Regisseur zufrieden, Werk kaputt, Publikum verärgert. Dafür macht man Theater. Und da schnappt der Opernliebhaber nach Luft und fragt sich: „ja darf der das denn?“, und ein „nein“ liegt bereits auf der Zunge. Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Gut, und aktuelle Blicke auf ein Werk sind eine feine Sache, so sie denn verständlich sind. Und da muss man mit der großen Kritik ansetzen, die diesen Abend katapultartig in die „Flop 10“ des Verfassers dieser Zeilen katapultiert: Wenn ich in einem Werk erst große Teile streichen muss, damit mein Konzept funktioniert, dann ist es das falsche Konzept. Besonders bedenklich ist allerdings, dass dieses Konzept gar nicht mal so gut ist, ja, altbacken daherkommt, langweilig ist und ein Klischeefeuerwerk sondergleichen abfackelt. Die Arroganz gegenüber dem Publikum, das eigentlich eine ganz bestimmte Oper sehen wollte, wird mit dem dramaturgischen Feigenblatt des Untertitels „Versuch einer Annäherung“ vermeintlich abgemildert, doch bleibt zu konstatieren: angenähert, zielsicher vorbeigegangen, Versuch gescheitert. Ein Werk derart zuzurichten, zu kürzen und zu zerlegen, ist absolut inakzeptabel, und man fragt sich, warum das künstlerische Personal das überhaupt mit sich machen lässt (neben dem Finale des dritten Aktes fehlen u.a. das Duett Kaiserin/Amme samt Erdenflug und zahlreiche weitere Passagen). Da mag der Regisseur, sollte er diese Zeilen lesen, sich vielleicht ins Fäustchen lachen und sagen: „Oh, da haben wir einen dieser reaktionären Opernliebhaber aber verärgert!“. Nein, man wäre gewillt ,sich auf eine neue Lesart einzulassen, aber nicht so. Wenn im Restaurant ein Drittel des bestellten Schnitzels fehlt, dann lässt man es auch zurückgehen. Nun ist Oper kein Schnitzel, und so machen wir uns dennoch die Mühe, zu schauen, was dieser Abend so mit sich bringt.

© Matthias Jung

Die Grundüberlegung der Regie, es sei frauenverachtend, dass die weiblichen Charaktere von den Männern in diesem Werk zu Gebährmaschinen degradiert werden, dass suggeriert wird, dass sie ihr Heil nur im Kinderkriegen finden, nicht ganz falsch, aber auch etwas kurz gegriffen, denn die Menschlichkeit der Kaiserin offenbart sich im Ende ja in ihrem Verstehen, in ihrem Mitgefühl. Eine Frau werde – so überspitzt es die Regie – erst zum Menschen durch die Gabe Kinder empfangen zu können. Konwitschny verdreht das Stück nun aber so, dass dieser Geschlechterkonflikt zum Dreh- und Angelpunkt einer absurden Story wird, die zwischen Genlabor, Restaurant und Mafia angesiedelt ist. Keikobad und der Kaiser sind rivalisierende Mafia-Bosse, Barak und sein Weib betreiben ein Genlabor, und die Amme ist ganz vieles zugleich: Putzfrau, Therapeutin, Babysitterin. Ja, das klingt schon krude, aber ganz wild wird es, wenn sich die Damen immer wieder Kissen unters Kleid stecken und so eine Schwangerschaft andeuten, wenn Barak im Krankenhausbett minutenlang von links nach rechts über die Bühne gefahren wird und am Ende alle Frauen tot sind. Als Publikum fühlt man sich immer wieder mit einer Bilderflut konfrontiert, die man über weite Strecken nicht so recht zusammenbringen kann, weil sie wenig plausibel sind. Immer wieder greift die Regie tief in die Klischeekiste: Selten staksten Prostituierte dermaßen prostituiert über die Bühne, es gibt ein Mafiamillieu wie im „Paten“, Rumgeballer, schlechten Bühnensex – all das ist dabei so wahnsinnig bieder und altbacken erzählt, dass es einen schüttelt. Gewürzt wird dies noch mit humoristischen Einlagen, welche die Figuren teilweise unfassbar klein machen, wie z.B. ein eingefügter, kurzer Dialog am Ende des ersten Aktes, in dem Barak und sein Weib sich um ein Radio streiten.

Bigott wird es, wenn man im Programmheft liest, wie schrecklich manche Textpassagen des Originals sind, und es dann aber wiederum keine Rolle zu spielen scheint, dass Text und Szene oftmals so gar nicht zusammenpassen. Dafür wird dem Zuschauer jegliche Fähigkeit sich kritisch mit den schwierigen Textpassagen des Librettos auseinanderzusetzen genommen, denn die sind ja gestrichen.

So wird ein Werk zugunsten einer vorgefertigten Idee lieblos zerstört und dies – das sei ausdrücklich erwähnt – quittierte das Publikum mit einem selten derart erlebten Buh-Orkan. Bereits zur Pause gibt es Buhs, zum zweiten Teil haben sich die Reihen im Saal deutlich gelichtet.

© Matthias Jung

Dabei ist die musikalische Seite solide. Dirk Kaftan manövriert das Bonner Beethoven Orchester sicher durch die verbliebenden Seiten der Partitur, entfaltet üppigen Strauss-Klang, lässt es gleißend fließen, nuanciert die kammermusikalischen Momente fein heraus und lässt es kraftvoll im Finale des zweiten Aktes (hier des dritten Aktes) dröhnen.

Die höllisch komplexe Partie der Amme singt Ruxandra Donose mit schöner Tiefe, ohne zu sehr in das der Figur oft anhaftende Keifen zu kommen. Textverständlichkeit zeichnet ihre Interpretation aus. Anne-Fleur Werner als Kaiserin überzeugt mit kraftvollen Höhen, glockenklarem Sopran und feinperlenden Koloraturen. Gerade sie wirft sich mit viel Verve in ihre Rolle. Aile Asszonvi als Färberin bringt viel Kraft in ihre Figur und lotet die Facetten ihrer Figur mal giftig, mal voller Wärme aus. Ihr zur Seite steht Giorgos Kanaris als Barak, der mit weichem Ton ein wenig dezent bleibt, aber mit viel Klangschönheit in der Stimme die Partie vortrefflich meistert. Aaron Cawley als Kaiser geht mit viel Energie an die Partie, was eine enorme Strahlkraft in der Höhe mit sich bringt, manchmal aber auch so viel, dass er über das Ziel hinausschießt. Das ist schade, denn da, wo weniger Druck im Spiel ist, klingt die Stimme ganz hervorragend. Die kleinen Partien sind absolut solide besetzt.

© Matthias Jung

Am Ende kann man nur von einem Desaster sprechen. Dieser Abend ist nicht provokant, er ist nicht interessant, er ist nicht verständlich. Dafür fehlt eine Menge der Strauss’schen Musik (geschätzt etwa 30 Prozent!), aber zum Glück wissen wir jetzt, dass Peter Konwitschny der Abend so gefällt. Er meint im eingangs erwähnten Interview sogar, dass andere, die das Werk „vom Blatt spielten, sich dafür schämen sollten“. Nein, schämen sollten sich die, die diesen Abend derart verkorkst auf die Bühne gebracht haben. Die Bonner Oper muss sich die Frage gefallen lassen, für wen sie eigentlich Oper macht: für Regisseur und Dramaturgin oder für ihr Publikum?

Sebastian Jacobs, 17. November 2025


Die Frau ohne Schatten – Versuch einer Annäherung
Richard Strauss

Oper Bonn

Premiere am 16. November 2025

Inszenierung: Peter Konwitschny
Musikalische Leitung: Dirk Kaftan
Beethoven-Orchester Bonn

Interview mit Peter Konwitschny