Premiere am 8.4.17
Wuchtig klingende Rarität in Erfurt
Lieber Opernfreund-Freund,
manchmal sind die Wege der Spielplanplaner doch unergründlich. Da sind Werke Jahre und Jahrzehnte auf keinem Spielplan zu finden und dann können Sie sie innerhalb weniger Wochen gleich an mehreren Häusern erleben. So geschah es im schönen Köln bei der Dann-doch-nicht-Wiedereröffnung des Opernhauses am Offenbachplatz 2015 mit Berlioz`“Benvenuto Cellini“, der dann just auch zwei Wochen vorher im benachbarten Bonn Premiere hatte. Und seit gestern ist in Erfurt Riccardo Zandonais Adaption auf Shakespeares „Romeo und Julia“ zu erleben, in Braunschwein wird sie ab 21.4. auf dem Spielplan stehen.
Der hierzulande recht unbekannte, aus Südtirol stammende Zandonai, zu dessen größten Erfolgen noch die wunderbare „Francesca da Rimini“ aus dem Jahr 1914 zählt, war vier Jahre mit dem Gedanken schwanger gegangen, Shakespeares „Romeo und Julia“ auf die Opernbühne zu bringen, ehe das rund zweistündige Werk 1922 in Rom uraufgeführt wurde. Inhaltlich handelt es sich um eine gestraffte Version der Vorlage. Weder Julias Amme, noch Bruder Lorenzo, der das Paar heimlich traut und mit Julia den Plan ausheckt, den eignen Tod vorzutäuschen, stehen im Libretto, auch Julias Eltern treten nicht auf, so dass es neben dem Liebespaar nur Tebaldo als Hauptfigur gibt. Zu Beginn der Oper sind Romeo und Julia bereits ein Paar und kämpfen aller familiären Zwistigkeiten zum Trotz für ihre Liebe. Als Tybald Julia dazu bewegen will, Romeo zu entsagen und sie als „Dirne“ beschimpft, tötet Romeo ihn im Affekt und muss fliehen.
Als er dann in Mantua von Julias vermeintlichem Tod erfährt, reitet er im Sturm nach Verona zu ihrem Grab, nimmt Gift und stirbt in den Armen der erwachenden Geliebten. Librettist Arturo Rossato hält das Ende zwar nicht unbedingt offen, versagt dem Zuschauer aber den Tod Julias auf der Bühne. Der Mascagni-Schüler Zandonai gießt die Geschichte in spätromantischste Orchesterklänge von – ich möchte fast sagen – seit Wagner nicht gekannter Wucht. Da erklingen allenthalben Pauken und Trompeten und entfachen im Orchestergraben ein intensives Klangfeuer, dass Zandonai nur selten, abgesehen von der zweiten Hälfte des Schlussaktes, auf kleiner Flamme köcheln lässt. Seine Julia ist in meiner Wahrnehmung auch nicht das unschuldige, schüchterne, engelsgleiche Ding, als das sie vor allem in den cineastischen Adaptionen immer dargestellt wird, sondern durch den geänderten Beginn der Handlung von Anfang an eine streitbare Frau, die für ihre Liebe ohne Wenn und Aber einsteht. Wer auch Zandonais „Francesca“ kennt, würde vermuten, dass die nach „Giulietta e Romeo“ entstanden sein muss, da er dort noch gewagtere Melodienbögen findet, ausgeprägter mit Tempi und Volumen spielt und das Wechselbad der Gefühle noch deutlicher im Orchesterpart hörbar macht. Doch ist der gleiche Urheber beider Werke anhand der reichen Orchestrierung und der eingesetzten klanglichen Effekte unverkennbar.
Hausherr und Regisseur Guy Montavon greift in die Zandonai-Oper gleich an mehreren Stellen ein: Er verlegt die Handlung in ein Internat zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in dem die Sprösse der verfeindeten Familien aufeinander treffen. Da Romeo und Julia sich allenfalls im Teenageralter befinden, ist das durchaus nachvollziehbar, doch verhalten sich die Protagonisten recht archaisch: Da kommt es zu Übergriffen, die pubertierendes Gefummel bei weitem übersteigen und Romeo und Julia treffen sich jede Nacht in der Bibliothek zu sexuellen Eskapaden, ihr Liebesschwur endet im Schluss eine Blutsgeschwisterschaft.
Alle Schüler führen Messer mit sich, mit denen sie bei jeder Gelegenheit drohen, Tebaldo stürzt eher in das von Romeo, als das der ihn ersticht. Im Schlafsaal der Mädchen hingegen herrscht eine in diesem Umfeld fast nicht nachvollziehbare Unschuld. Den letzten Akt verlegt der Generalintendant in die Kriegszeiten der 1940er Jahre. Aber warum? Nur um während der besonders furios orchestrierten Sturmszene so abgedroschene wie überflüssige Bilder von Luftangriffen aus dem 2. Weltkrieg einblenden zu lassen? Vielleicht doch eher, um die dann gealterte Julia, bei ihrem Schlussgesang, den er als himmelwärtigen Gang auf den zum Skelett gewordenen Stufen der Internatstreppe im ansonsten bildsprachlich verkitschten Ende inszeniert, wieder zum Mädchen werden zu lassen. Sei’s drum! Seine Personenführung fesselt da mehr und vor allem die darstellerische Qualität aller Sängerinnen und Sänger sorgt dafür, dass die Geschichte mit der stetig nach vorn treibenden Musik zu einem spannenden Krimi wird.
Da es aus dem Graben so eindrucksvoll tönt, möchte ich bei der musikalischen Seite heute auch mit den eigentlichen Stars des Abends beginnen, den Damen und Herren des Philharmonischen Orchesters Erfurt. Wie furios und gekonnt da aufgespielt wird, ist schon ein Erlebnis. Klangwellen von ungeahnter Dimension wechseln innerhalb eines Wimpernschlages mit kaum wahrnehmen feinen Piani, da sitzt selbst in den fulminantesten Läufen jede Note mit höchster Präzision und jeder verbringt wahrlich Höchstleistungen. Gastdirigent Myron Michailidis badet in diesem stellenweise fast schroffen Klang, lotet mit feinem Gespür alle Farben der Partitur aus und versucht den Sängerinnen und Sängern in den allzu seltenen zarteren Passagen klanglich entgegen zu kommen. Die haben nämlich bei Zandonais Fulminanz keinen leichten Stand. Im Dauerforte müssen sie ihre Parts bewältigen – da haben gefühlvoll-zarte Töne selten Platz. Einzig Siyabulela Ntlale versucht sich an einer klanglich differenzierten Interpretation des Tebaldo – so gelungen wie an sich lobenswert, zahlt dafür den Preis, dass man seinen facettenreichen Bariton über einzelne Strecken nicht versteht. Titelheld Eduard Martynyuk stemmt den Romeo mit nicht enden wollender Power, sicherer Höhe und überhaupt tadelloser Stimmführung. Hinzu kommt mit seinem charaktervollen Spiel die beste darstellerische Leistung des Abends. Seine Julia wird von der Litauerin Jomantė Šležaitė verkörpert. Die Sopranistin bringt dazu einen kräftigen Sopran voller Farben mit, überzeugt mit kraftvollem Einsatz und viel Gefühl, zeigt aber mitunter eine unsaubere Intonation. Won Whi Choi verkörpert den Sänger im dritten Akt mit zuerst herzerfrischender Komik und dann ergreifendem Schmelz. Aus der schier endlosen Liste der kleineren Rollen, die oft nur wenige Sätze zu singen haben, ragt Margarethe Fredheim als eindrucksvolle Isabella heraus und auch der Ausrufer von V azgen Ghazaryan hallt nach und macht neugierig darauf, mehr von dem Armenier zu hören.
Die Damen und Herren des Opernchors wurden von Andreas Ketelhut genau auf ihre umfangreiche Partie vorbereitet, meistern ihren sängerischen Part mit Bravour und sind darüber hinaus auch als Darsteller so gefordert wie überzeugend.
Als der letzte Ton verklungen ist, entfaltet sich ein Jubelsturm. Das Publikum ist begeistert von Zandonais Musik und der orchestralen und gesanglichen Umsetzung. Der Applaus wird weit weniger euphorisch, als sich Regisseur Guy Montavon, die für die detailreichen zeitgenössischen Kostüme verantwortliche Frauke Langer und der italienische Bühnenbildner Francesco Calcagnini zeigen, der vor allem in der ersten Hälfte des Abends und in der Schlussszene sein ganzes Können hat präsentieren dürfen. Ganz unüberzeugend war das nicht, aber an die künstlerische Qualität der Musiker reicht die Szene in dieser Produktion nicht heran. Noch sehen können Sie diese Rarität nur noch zwei Mal im April und zwei Mal im Juni, bevor sie nach nur fünf Vorstellungen schon wieder abgesetzt wird. Also schnell auf nach Erfurt!
Ihr Jochen Rüth / 9.4.17
Die Fotos stammen von Lutz Edelhoff