Besuchte Aufführung am 31.05.19 (Premiere am 03.03.19)
Der wahre Offenbach
Es gibt so selten die Vorstellungen, die einen Kritiker rundherum glücklich machen, in Hildesheim gibt es zum Offenbach-Jubiläum mit "Die Prinzessin von Trapezunt" eine Rarität zu erleben, die in ihrer quirligen Art dem nahekommt, was man sich unter einer Offenbachiade vorstellen könnte. 1869 in Baden-Baden uraufgeführt und im gleichen Jahre in Paris, wahrscheinlich viel aufwendiger umgearbeitet, war sie zu Zeiten ein großer Erfolg, der um die ganze Welt herum aufgeführt wurde. Selbst ein Offenbach-Kenner und Liebhaber wie Karl Kraus hielt sie für eines der besten Werke des Komponisten. Das Stück führt uns zunächst in das Schaustellermilieu eines Jahrmarktes, wo ein Wachsfigurenkabinett unter seinen Attraktionen unter anderem eine "Prinzessin von Trapezunt" ausstellt. Beim Abstauben der Figuren säbelt die Tochter des Hauses ihr die Nase ab und muss aus Strafe, sich selbst an ihre Stelle begeben. Ein vorbeikommender Prinz verliebt sich in die Figur und zahlt aus Geldmangel mit einem Lotterielos. Der Hauptgewinn: ein echtes Schloss, wird der Schaustellerfamilie zugesprochen.
Im zweiten Akt mopst sich die Gesellschaft in ihrer Pseudoaristokratie, bis jener Prinz mit seinem dünkelhaften Fürstenvater vorbeikommt, im dritten Akt findet sich alles ins Lot, weil man dem Fürsten nachweisen kann selbst als Prinz so gehandelt zu haben (siehe "Csardasfürstin"). Das klingt vielleicht gar nicht so aufregend, ist aber durch das Libretto und Offenbachs geniale Musik wirklich sehr lustig und unterhaltsam. Zwei Nummern haben es mir besonders angetan: der melancholisch verschattete Abschied der Truppe vom Jahrmarkt und das saukomische Zahnschmerz-Ensemble.
Wie wir durch viele Offenbach-Aufführungen erfahren mussten, gehört eine gelungene dieser Art zu den schwierigen Unternehmungen des Musiktheaters. Mit Adam Benzwi und Max Hopp hatte man sich in Hildesheim zwei Könner geangelt. Das Team nahm sich das Original, welches jetzt in der quellenkritischen Edition Keck erhältlich ist, gründlich vor und erarbeitete sich mit dem Ensemble diese effektvolle Version. Der Dirigent Adam Benzwi dünnte die Orchestrierung fein aus, ganz im Sinne Offenbachs, dem die Textverständlichkeit immer ein Nonplusultra war, trotzdem klingt die Orchestrierung sehr farbig. Der Dirigent hat in diesem Fall auch den Klavierpart zu übernehmen, eine Erfahrung, die Benzwi an der Komischen Oper Berlin mit den Zwanziger-Jahre-Operetten von Abraham und Oscar Straus erlebt hatte. Am Aufführungsabend hatte Sergei Kiselev die Leitung übernommen und führte die TfN-Philharmonie grandios durch den fast improvisiert scheinenden Abend.
Max Hopp hat mit der "Trapezunt", so glaube ich, seine erste Musiktheaterregie hingelegt, und dann gleich das Schwierigste: Respekt ! Denn er hat sich nicht verhoben. Als Regisseur hat er spürbar mitgenommen, was er als Darsteller an der Komischen Oper gelernt hat. Es gibt drei wesentliche Dinge, für die er sich in dieser Aufführung entschieden hat: Erstens in seiner Überarbeitung die deutsche Übersetzung von Julius Hopp und Harald Kunz zu spielen, was hervorragend klingt, musikalisch sanglich und nie einer geschmacklichen Linie abweicht. Zweitens eine chorlose Fassung zu spielen, denn ich nehme an, die große Pariser Version, wird mit Chor gewesen sein. Die wichtigen Chorstellen werden dann ins Ensemble übersetzt, was in Hildesheim ganz hervorragend geklappt hat. Dann die damals sehr weitschweifigen Dialoge zu straffen und durch Einführung eines Conferenciers handlungsspezifisch zusammenzufassen, auch hier walten Geschmack und Anmut.
Jetzt zum Ensemble: ich möchte eigentlich gar niemanden einzeln herausstellen, denn hier ist wirklich das Ensemble Trumpf. Da ist jeder an seiner Stelle, jede Rolle mit Herzblut erarbeitet, jeder Darsteller `d accord mit seiner Partie. Es wird gesungen, gespielt, getanzt, gegröhlt, gefistelt, alle Lautäußerungen werden herangezogen, wenn es dienlich ist. Meike Hartmann, Neele Kramer, Antonia Radneva, Uwe Tobias-Hieronimi, Julian Rohde, Dieter Wahlbuhl, Levente György und Jan-Philipp Rekeszus, ihr macht das alles ganz grandios, ihr alle zusammen. Die gar nicht so auffällige Ausstattung von Caroline Rössle Harper ist dabei einfach nur aufführungsrelevant und lässt das Augenmerk auf dem Wesentlichen: den Darstellern. Bei denen habe ich jetzt doch einen noch ausgelassen, nicht weil er besser oder schlechter wäre, sondern weil er doch so speziell ist: Paul Hentze als Conferencier, denn er spricht, singt und spielt nicht nur mit den anderen, sondern auch mit seinen Puppen, ein skurriler Höhepunkt die Drei-in-Eins-Puppe der Hofschranzen/ Diener. Wenn dann in einer Umbaupause auch noch Jaques Offenbach auftritt (Extralob für die Puppe von Erik Raskopf) und über "Das" philosophiert, was uns Theater sein kann und manchmal auch ist, das hat mich berührt.
Ein Abend, der besonderen Klasse; nicht nur ich habe viel gelacht und mich großartig amüsiert, was sich im langen, herzlichen und stehenden Applaus des Auditoriums zeigte. Schade, das Hildesheim für mich so weit ist, denn ich hätte diese wunderbare Aufführung gerne mindestens noch einmal angesehen. Für alle, die es noch nicht geschafft haben, sich das herrliche Spektakel anzusehen, es gibt nächste Spielzeit noch einige (wenige) Vorstellungen.
Martin Freitag 11.6.2019
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