Premiere und deutsche Erstaufführung am 2. Oktober 2021
Mega-Rarität
Dem Hildesheimer GMD Florian Ziemen ist es erneut gelungen, eine vergessene oder hierzulande unbekannte Oper erfolgreich zu präsentieren. Nach Mercadantes „I briganti“ (Die Räuber) in der vorigen Saison gab es wieder das besondere Unternehmen einer Trilogie über den Medea-Stoff: Der Oper „Medea“ von Giovanni Pacini folgten die Tragödie von Pierre Corneille und ein Tanztheaterstück des Donlon Dance Collective.
Pacini, der insgesamt 98 Opern schrieb, gilt unter den vielen italienischen Opernkomponisten, die zur Zeit Rossinis, Donizettis, Bellinis und des jungen Verdi tätig waren, als einer der bedeutendsten. Sein ganz großes Vorbild war Rossini, dessen Koloraturfertigkeit und die beliebten Crescendi er noch zu übertreffen suchte. In seiner späteren Schaffenszeit, in die auch die Belcanto-Oper Medea fällt (Uraufführung 1843 in Palermo), hat er sich bemüht, mit vielfältigen Modulationen und verstärkter Chromatik auch die Klangfülle Bellinis zu erreichen. Benedetto Castiglia verfasste das Libretto nach den Dramen von Euripides und Pierre Corneille, nach dem Medea, Tochter des Königs Aietes von Kolchis, sich in den Argonauten-Anführer Giasone verliebt, für diesen ihre Heimat aufgibt und ihren Bruder tötet. Sie zieht mit ihm nach Korinth, wo beide eine Familie gründen und zwei Kinder bekommen. Doch das Glück währt nicht lange, da Giasone die Tochter König Creontes, Creusa, heiraten möchte und die Scheidung fordert. Medeas unerträglicher Schmerz dürstet nach Rache, so dass sie sich schließlich nicht anders zu helfen weiß, ihre beiden Kinder und im Affekt auch Creusa tötet, bevor sie Selbstmord begeht.
Robyn Allegra Parton/Yohan Kim
Die Inszenierung dieser grausamen Geschichte aus der griechischen Mythologie war Beka Savić anvertraut, der es gelang, Bewegung in diese statischen Nummern zu bringen. Allerdings wurde nicht klar, warum bei den Priesterszenen doppelköpfige Masken getragen wurden und warum Oberpriester Calcante etwas ins Taufwasser der Kinder kippte, so dass sie nach ihrem gewaltsamen Tod in dem Becken nur noch als Gerippe auftauchten. Ein für die gesamte Trilogie übergreifendes Bühnenbild und Kostüme steuerte Anna Siegrot bei; ein wie ein Behelfsübergang wirkender hölzerner Bau bot die Gelegenheit, die Akteure immer wieder neu zu positionieren, was auf Dauer aber doch etwas eintönig war. Dagegen wurden zwei verschiedene durchsichtige Vorhänge zu häufig hin und her geschoben, um das Geschehen aufzulockern. Da hätte man sich eine Art Thing-Platz besser vorstellen können. Die Kostüme blieben dunkel, der Thematik des Stückes verhaftet; lediglich Creusa war klischeehaft in Weiß, Medea in etwas wärmere Brauntöne gekleidet.
Zachary Wilson/Robyn Allegra Parton/Yohan Kim
Florian Ziemen animierte das Orchester des TfN mit deutlicher Zeichengebung und frischem Schwung zu bestem Musizieren. Kleine Unsicherheiten der Bühnenmusik trübten den guten Gesamteindruck keineswegs. Beim ersten Auftritt Creontes hätte ich mir noch ein wenig mehr Zurückhaltung des Orchesters zugunsten der Tiefen des Baritons gewünscht. Von den Sängern ist zunächst die Engländerin Robyn Allegra Parton in der Titelrolle zu nennen, die rundum überzeugte: Sie bewies mit gut durchgebildetem, blitzsauberem Sopran, dass sie flüssige Koloraturen ebenso beherrscht wie glitzernde Staccati, zarte piano-Einsätze in der Höhe und wie herausgeschleuderte Rachetöne. Dazu spielte sie äußerst ausdrucksstark, machte alle Schattierungen der Eifersucht, Zweifel, Liebe und Wut deutlich. Yohan Kim war ein robuster Giasone, dessen rau timbrierter Tenor aber auch zu weicheren Tönen fähig war, sobald er immer wieder unter Schuldgefühlen gegenüber Medea litt. Als Creonte erfreute Zachary Wilson mit wohlklingendem Bariton, dem es auch nicht an stimmlicher Attacke mangelte; lediglich im Terzett mit Giasone und Medea hatte er leider keine Chance mehr gegen die durchschlagenden hohen Stimmen. Uwe Tobias Hieronimi als Calcante, Neele Kramer in der Doppelrolle Cassandra/Creusa und Steffi Fischer als Dienerin Licisca sowie Julian Rohde als Lisimaco (neue Rolle?) ergänzten das Ensemble rollengerecht.
Vier Damen und sechs Herren des Opernchores des TfN entwickelten in der Einstudierung von Achim Falkenhausen erstaunlich homogenen Klang, bravo!
Das Publikum dankte allen Akteuren mit begeistertem, langanhaltendem Applaus.
Bilder: © Tim Müller
Marion Eckels 10. Oktober 2021
Weitere Vorstellungen:23.,31.10.,14.11.,8.,22.12.2021 u.a.