Besuchte Vorstellung: 10. September 2021
Eigentlich sollte Jochen Biganzoli im Frühjahr 2021 in Hagen Peter Eötvös Erfolgsoper „Die drei Schwestern“ inszenieren. Coronabedingt kam die Produktion nicht heraus und stattdessen inszenierte Biganzoli Benjamin Brittens kleinbesetzte „The Turn of the Screw“. Leider erlebte diese Produktion nach der Premiere am 20. Juni nur wenige Vorstellungen und auch in dieser Saison wurde die Wiederaufnahme nur zweimal gespielt, sodass am 10. September bereits die letzte Aufführung über die Bühne ging.
Regisseur Biganzoli gelingt das Kunststück, eine Inszenierung auf die Bühne zu bringen, die sowohl ganz eng am Stück inszeniert verläuft, gleichzeitig aber auch so vieldeutig und anspielungsreich ist, dass sich jeder Zuschauer seine eigene Deutung zurechtlegen kann, was da eigentlich passiert. Die von Wolfgang Gutjahr gestaltete Bühne ist ebenso einfach wie effektvoll: Auf der leeren, ganz in schwarz gehaltenen Bühne stehen die schwarz kostümierten Darsteller (Kostüme: Katharina Weisenborn) oft nur in getrennten Scheinwerferkegeln.
In den Szenen der Kinder wird manchmal die ganze Bühne beleuchtet und man sieht die von oben gefilmte Bühne noch einmal aus der Vogelperspektive auf der Rückwand projiziert.
Sehr effektvoll setzt Gutjahr neun Neonröhren ein, welche mal einen Lichtvorhang bilden, mal über der Bühne hängen, eine schräge Rückwand formen, klaustrophobische Räume formen oder zu einem sich wellenden See werden. Das ist sparsam, aber trotzdem optisch wirkungsvoll. Gleichzeitig rücken in diesen atmosphärisch-abstrakten Räumen die starken Darsteller in den Mittelpunkt. Der für das Licht verantwortliche Hans-Joachim Köster trägt einen großen Anteil daran, dass hier eine spannende und atmosphärische perfekte Inszenierung über die Bühne geht.
In dieser Regie wird die bekannte Geister-Geschichte nicht platt nacherzählt, sondern bietet viele Deutungsmöglichkeiten. Biganzoli lässt es offen, ob die Geister wirklich existieren, oder ob sich die Gouvernante diese nur einbildet. Auch greift Biganzoli die Symmetrie der Figuren auf: Manchmal erscheint die Haushälterin Mrs. Grose wie die positiv-optimistische Seite der Gouvernante, als sei diese eine multiple Persönlichkeit.
Die Geister Peter Quint und Miss Jessel sind wie die erwachsene Version der Kinder Miles und Flora kostümiert. Sind die Kinder die Wiedergeburten der Geister oder sind die Geister die bösen Charaktereigenschaften der Kinder? Trotz Corona-Abständen gelingt es Jochen Biganzoli, eine große Spannung zwischen den Figuren aufzubauen, sodass die Vorstellung wie im Flug vergeht.
Auch musikalisch hat Hagen eine starke Aufführung zu bieten: GMD Joseph Trafton dirigiert eine dichte und farbenreiche Aufführung. Streicher und Holzbläser verschmelzen sehr fein miteinander, Piano, Schlagwerk und Blechbläser könnten noch etwas genauer aufeinander abgestimmt sein.
Sopranistin Angela Davis, die in Hagen regelmäßig positiv auffällt, singt mit warmen und vollen Sopran ein perfekt ausgefeiltes Psychogram. Man darf auf ihre Kundry im nächsten Frühjahr gespannt sein, denn das Hagener Theater wagt sich in der laufenden Saison auch an Wagners „Parsifal“. Dramatische Töne lässt auch Maria Markina als Haushälterin Mrs Grose hören. Als Peter Quint gelingt es Anton Kuzenok seinen lyrischen Tenor schön zur Geltung zu bringen und gleichzeitig eine unterschwellige Bedrohung auszudrücken. Eher von der zarten Seite legt Penny Sofroniadou die Miss Jessel an. Großartig sind Benjamin Overbeck und Melissa Droste von der Chorakademie Dortmund als Miles und Flora. In anderen Produktionen erlebt man oft jugendliche Darsteller, die nur gehauchte Töne singen. In Hagen stehen jedoch zwei junge Interpreten auf der Bühne, die vorzügliche Stimmen besitzen und die Rollen auch glaubhaft verkörpern.
Rudolf Hermes 15.9.2021
Bilder (c) Theater Hagen