Besuchte Vorstellung: 4. Februar 2022
Dass eine zeitgenössische US-amerikanische Oper regelmäßig auf deutschen Bühnen gespielt wird, ist schon eine Besonderheit. Jake Heggies „Dead Man Walking“ ist dieses Kunststück gelungen, wohl auch weil der gleichnamige Spielfilm aus dem Jahr 1995 allgemein bekannt ist. Andere Opern Heggies wie der „Moby Dick“ aus dem Jahr 2010 harren aber noch ihrer deutschen Erstaufführung. Neben Brauschweig ist Koblenz das zweite deutsche Theater, das „Dead Man Walking“ in dieser Saison zeigt.
Diese Oper ist auf der einen Seite ein Diskurs über die Todesstrafe, weil über die Sichtweisen der Eltern der Opfer und des Täters verschiedene Perspektiven gezeigt werden. Gleichzeitig handelt es sich auch um eine christliche Erlösungsgeschichte, da die Nonne Schwester Helen den Mörder Joseph de Rocher durch ein Bekenntnis zu seinem Verbrechen zur Wahrheit und zu einem Schuldeingeständnis führen möchte.
Die atmosphärisch dichte Musik Jake Heggies ist ein Erfolgsgarant dieser Oper. Dafür, dass es hier um Vergewaltigung, Doppelmord und Todesstrafe geht, bewegt sich das Klangspektrum in hellen Farbskalen. Benjamin Britten hat da wesentlich schärfere Klänge komponiert. Insgesamt ist das Stück auf ein Libretto von Terence McNally mit einer Aufführungsdauer von über drei Stunden aber zu lang. Natürlich will das Autorenduo die Figuren vielschichtig charakterisieren, aber benötigt man dafür die lange Autofahrt der Schwester Helen zum Staatsgefängnis, ihre Begegnung mit dem dortigen Pfarrer und dem Gefängnisdirektor?
Für den Regisseur bietet diese Oper kaum Möglichkeiten für eine eigene Interpretation und so beschränkt sich auch der Koblenzer Intendant Markus Dietze auf eine realistische Nacherzählung des Stückes. Originell ist die Idee, den Mord an den beiden Jugendlichen am Beginn der Oper als Film zu zeigen. In Dietzes Inszenierung werden die Figuren zu nachvollziehbaren und glaubhaften Charakteren, welche die Zuschauer zum Nachdenken und Mitfühlen anregen sollen. Ausstatter Christian Binz hat eine wuchtige Betonarchitektur entworfen und die Bühne nach vorne an das Publikum herangeholt, so dass einem die Figuren ganz nahekommen.
Eigentlich müsste das eine akustische Chance für die Darsteller sein, weil das auf der Hinterbühne positionierte und unter dem Dirigat von Karsten Huschke spielende Staatsorchester Rheinische Philharmonie aber über Lautsprecher in den Saal eingespielt wird, werden auch die Sängerinnen und Sänger verstärkt. Selbst wenn ein Sänger vorne an der Rampe steht, hört man die Stimme nicht aus der Gesangsrichtung, sondern aus den Lautsprechern am Bühnenportal.
Das Koblenzer Theater bietet eine überzeugende Besetzung bis in die vielen Klein- und Nebenrollen: Mezzosopranistin Danielle Rohr ist eine jugendliche Sister Helen, die ihre Partie mit heller und klarer Stimme singt. Die Zweifel und Zerrissenheit ihrer Figur spielt sie sehr glaubhaft. Das blinde Gottvertrauen der Figur wirkt naiv, was aber im Stück begründet ist. Andrew Finden als Mörder Joseph de Rocher sieht zwar mit Schnurrbart und zurückgegelten Harren sehr böse aus, singt die Rolle aber mit einem schönen Kavaliersbariton, der auch vielen Mozart-Partien alle Ehre machen würde. Darstellerisch fühlt er sich großartig in die Rolle des Mörders, der seine Schuld von sich weist, ein.
Als seine Mutter glänzt Monica Mascus in ihrer großen Szene, in der sie für die Begnadigung ihres Sohnes plädiert. Ganz schlicht beginnt sie hier und steigert sich dann in eine expressive Verzweiflung. Mit schneidend-markantem Bariton drückt James Bobby als Owen Hart die Trauer und Wut des Vaters eines der Mordopfer aus. Starke Rollenporträts bieten auch Hana Lee als Schwester Rose, die hier eine Dialogpartnerin der Schwester Helen ist und Nico Wouterse als stimmlich imposanter Gefängnisdirektor George Benton.
Insgesamt beweist die Koblenzer Produktion erneut die Bühnenwirksam dieser Oper. Jedoch sollten Theater, die Neuproduktionen planen, über größere Striche nachdenken.
Rudolf Hermes, 6.2.22