Besuchte Aufführung am 18.09.22 (Premiere am 04.09.22)
Einfaches Denken führt nicht zum Glück
Sehr lange mußte das Lübecker Publikum auf die Neuproduktion von Wagners „Lohengrin“ warten; angekündigt war sie vor zwei Jahren, was dann kam wissen wir alle. Doch was lange währt, wird endlich gut, auch bei so einer Choroper wie Wagners trauriges Märchen vom Schwanenritter. Und gerade die hervorragenden Chöre bilden eines der Rückgrate von Anthony Pilavacchis Inszenierung, denn hier werden die Sachsen gegen die Brabanter positioniert. Brabant als chaotisches, heruntergekommenes Land wie man es in dystopischen Filmen a la „Mad Max“ findet, Tatjana Ivschina setzt auf die Drehbühne moderne Glasarchitektur gegen alte Wand mit historischer Fensterrosette auf bröckeliger Betonrampe, eine zeitlose Verortung von Vergangenheit und Heute. Die Brabanter sind ein wilder Haufen aus folkoristischer Rückschrittlichkeit gegen die, die Sachsen als Beamte und Politiker in Trenchcoat jedoch auch nicht sympathischer wirken. König Heinrich als populistischer Politiker hat sich optisch den primitiven Barbaren mit einem Pelzmantel angeglichen, sein Pressesprecher/Heerrufer gehört ganz um zivilisierten Politapparat der Sachsen.. Bei den Brabantern stechen Elsa und Gottfried in hellen Farben heraus, letzterer wird schon während des Vorspiels von Ortrud ermordet und durchzieht als federnstreuender „Cantus firmus“ den ganzen Abend. Wie bereits geschrieben, bilden die Chöre und Extrachöre des Theater Lübeck einen der Hauptdarsteller der Inszenierung Pilavacchis und klanglich wie spielerisch (unter der Leitung von Jan-Michael Krüger) wird ein sehr hohes Niveau erreicht. Dem Regisseur gelingen immer wieder spannende Konstellationen zwischen Aktion und Tableau, aus denen sich (ebenfalls an diesem Abend keine Nebenrollen) die Gruppen der vier Edelknaben und der vier brabantischen Edlen gleichsam herausschälen, gesanglich alles ausgezeichnet, szenisch sind die ersten eher Frauen aus dem Volke, hier zwar modisch etwas punkig, die sich von jeder öffentlichen Meinungsmache mitreißen lassen, letztere rückschrittliche Traditionalisten. Valentina Rieks, Nataliya Bogdanova,Frederike Schulten, Iris Meyer, Gustavo Mordente Eda, Noah Schaul, Laurence Kalaidjian und Christoph Schweizer verdienen es durch Engagement und Qualität alle namentlich erwähnt zu werden. Ein aktuelles Abbild einer Gesellschaft, wie wir sie augenblicklich an mehreren Stellen der Welt in immer neuen Konstellationen finden. Das ist also die äußere Folie um die Schicksale der Protagonisten herum, über den König hatte ich schon geschrieben, bleiben noch das helle und das dunkle Paar. Ortrud und Telramund wollen eindeutig an die Macht und schrecken auch vor Mord nicht zurück, wobei Ortrud eindeutig die bestimmende Triebfeder ist; Bea Robein bringt ihren Mann mit attraktiver Sexualität immer wieder auf Kurs, stimmlich eher ein heller Mezzosopran ohne orgelnde Dämonie. Anton Keremidtchiev ist als Telramund einfach eine Traumbesetzung, äußerlich ein starker Mann, innerlich manipulativ ergiebig, stimmlich mit virilem Bariton mit leicht metallischem Klang perfekt, so gut hört man die Partie selten gesungen. Doch auch Elsa und Lohengrin, vor allem letzterer, können nicht von einem kompromisslosen Schwarz-Weiss-Denken abrücken, was letztendlich zu ihrem Unglück führt. Genau wie im richtigen Leben: Schwarz-Weiss-Denken ist schön einfach, führt aber zu nichts. Peter Wedd scheint relativ kurzfristig in die Produktion eingesprungen zu sein, oder liegt es daran, das die Rolle des Lohengrin eher zur Projektion taugt, szenisch wirkt er unbedeutender als die anderen. Gesanglich liegt der Tenor, für mich dramatisch etwas über der Titelpartie, denn im Lyrischen weicht er gern in die Kopfstimme aus, fulminant wirkt sein gleissender Tenor in den dramatischen Partien wie dem Finale des zweiten Aktes. Es ehrt den Sänger musikalisch auch das Zarte des Charakters zu betonen. Anna Gabler gelingt ein sehr differentiertes Porträt Elsas, gesanglich neigt sie ebenfalls dem Dramatischen zu, was sich in einer angespannten, leicht flackerigen Höhe zeigt. Runi Brattaberg singt einen soliden König Heinrich mit vibratoreichem Bass und Höhenschwierigkeiten im dritten Akt. Jacob Scharfman ist mit ausgeglichenem Bariton ein in jeder Hinsicht guter Heerrufer, den ich gerne im bald projektierten Mozart-Figaro hören möchte. Pilavacchis Inszenierung ist durchweg gekonnt und setzt gezielt Theatereffekte ein, nimmt jedoch im dritten Akt richtig an Fahrt auf: das fehlgeschlagene Hochzeitsfest, das Kammerspiel des Brautgemachs und der Schrecken des Finales setzt noch richtig „einen drauf“ und ist einfach sauspannendes Theater. Zudem merkt man, wie ordentlich mit den Sängern am Text gearbeitet wurde, vielleicht nicht ganz so wie sein Lübecker „Ring“, der sicherlich ein großes Statement war, aber wieder eine gelungene Arbeit, die man nicht aller Tage sieht. Natürlich ist Wagner Chefsache in Lübeck und Stefan Vladar dirigiert einen, ich möchte mal sagen, flexiblen „Lohengrin“, also nicht lyrisch oder schnell, sondern der Bühnensituation angeglichen. Man ist manchmal etwas überrascht von einigen Tempi, doch gleichzeitig gelingt es dem Dirigenten, den Rezensenten einige Stellen quasi „neu“ hören zu lassen.Das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck folgt mit wirklich nur kleinen Unkonzentriertheiten bestens. Insgesamt eine Aufführung, die sich sehen und hören lassen kann. Martin Freitag, 24.9.22