Lübeck: „La fille du régiment“, Gaetano Donizetti

„Punks not dead!“ – der Name des 1981 erschienenen Albums der britischen Punk-Band „Exploited“ hätte auch als Untertitel zu Pier Francesco Maestrinis Inszenierung von Donizettis „La fille du régiment“ (mit accent aigu, liebe Bühnenbildner!) am Theater Lübeck dienen können.

© Olaf Malzahn

In der Premiere am 8. März konnte das Publikum erleben, daß nach einem (in offenbar einer nicht allzu fernen Zukunft zu erwartenden) Atomkrieg zwei Gruppen von Menschen überleben werden: eine Horde von Punk-Rebellen mit Hang zum Ballern und der Rest einer spießigen Oberschicht, die irgendwo im Spät-Feudalismus hängengeblieben ist (Kostüme von Marco Nateri). Hatte man in den 80er Jahren nicht immer schon die Ahnung, daß diejenigen Punks, die nicht in den Fußgängerzonen herumhingen, sondern die, vor denen jeder Nazi und jeder Bierkasten zittern mußte, das Zeug hatten, auch atomare Strahlung wegstecken zu können? Nun ja, ein paar eklige Hautkrankheiten, wie sie in Lübeck aus den zauseligen Köpfen wuchern, machen deutlich, daß hier etwas Gravierendes passiert ist. Dazu kommen im Bühnenbild von Juan Guillermo Nova Atommüllfässer (Achtung, eines davon enthält Bier!), eine dystopische Landschaft, heruntergekommene Schaltzentralen mit Computerbildschirmen und die Sprache hat auch gelitten. Als Gottheit wird das „Große Känguruh“ angebetet – hier haben offenbar die „Känguruh-Chroniken von Marc-Uwe Kling Pate gestanden.

Maestrini schlägt ein Comic-Heft auf und begleitet die Handlung anhand bunter Bilder und kleiner, gelungener Filmsequenzen, wie gleich zu Beginn, als zur Ouvertüre die Geschichte vom Findelkind erzählt wird, das bei den rauhen Rabauken aufwächst und zum Liebling der Gang wird.

Der Ansatz ist mal was ganz anderes und daher zu begrüßen, aber diese Produktion geht sehr frei mit den musikalischen und textlichen Vorgaben um. Die gesprochenen Passagen sind einer modernen, derben Sprache angepaßt, die auch vor wirklich heftigen Kraftausdrücken nicht zurückscheut. Zwar ist das gesungene Libretto original, aber die Übertitel suggerieren ebenfalls einen aktuellen Sprachduktus. Takahiro Nagasaki, Erster Kapellmeister und stellvertretender GMD, der Donizettis Musik schon bei der öffentlichen Probe als „zu laut“ und „streckenweise langweilig“ bezeichnete, entschied sich einerseits zu einer sehr begrüßenswerten Dynamik-Reduktion, die allen Solistinnen und Solisten ausreichend Entfaltungsraum läßt, und andererseits zum Aufpeppen der Partitur mit Pop-Musik-haften Schlagzeugeinsätzen. Zwischendrin werden auch Popsongs zitiert, einmal dröhnt zur grellen Lichtorgel heftiger Punk-Rhythmus.

© Olaf Malzahn

Wer sich darauf einläßt, kann viel Spaß an der Produktion haben, aber die vielen absichtlichen Brüche sind für Donizetti-Freunde immer wieder eine Herausforderung. Zudem werden leitmotivisch eingesetzte Effekte wie MG-Geballere und das Hochheben Maries auf die Schultern der Punks mit Wacken-Teufels-Geste überstrapaziert. Schon klar, das sollen running gags sein, aber die wirken hier eher bemüht. Die Grunzlaute der harten Jungs erinnern zuweilen an die Äußerungen von Frühmenschen.

Erklingt die Musik aber in Reinform, wird sie frisch und zackig vom Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck unter der Leitung Nagasakis gespielt. Da kommt, um mal im Fachjargon zu bleiben, die Gute-Laune-Mucke von Donizetti wirklich an.

Absolut überzeugend sind die solistischen Leistungen, allen voran von Elvire Beekhuizen aus dem Opernstudio als Marie, die für die erkrankte Andrea Stadel einsprang und nach nur zwei Proben eine reife Leistung hinlegt. Gerade die sanften Partien singt sie mit Hingabe und steigert sich noch während des Abends in Dynamik und Ausdruck.

Gespannt war man natürlich auf Yoonki Baek und die halsbrecherische „Ah, mes amis“-Arie, deren neun hohe Cs er mit Leichtigkeit erklimmt. Da ist auch der für ihn typische schluchzende Duktus verschwunden.

© Olaf Malzahn

Mit komödiantischen Glanzleistungen und gesanglicher Finesse erfrischt die großartig vielseitige Laila Salome Fischer als Marquise von Berkenfield mit Anleihen aus den „Golden Girls“ mit der mannstollen Blanche Deveraux; Kenner der Klamauk-Serie „Klimbim“ denken auch an Elisabeth Volkmann. Ihr zur Seite steht der wundere Steffen Kubach als Hortensius – ein Komiker erster Güte, den man viel zu selten singen hört, denn auch das beherrscht er wundervoll.

Laurence Kalaidjian als Sulpice und Changjun Lee in der Rolle des Korporals überzeugen beide „hart aber herzlich“ – auch sie kommen aus dem Lübecker Opernstudio, einer echten Talentschmiede.

Imke Looft aus dem Chor gibt großartig überspannt die Herzogin von Crakentorp, was wieder einmal beweist, was für begabte Stimmen im auch diesmal starken Chor des Theaters Lübeck unter Jan-Michael Krüger wirken. Die Personenregie in der Choreographie von Alessandra Panzavolta ist ausgesprochen lebhaft, es passiert ständig etwas auf der Bühne und die Mitwirkenden haben alle ihren eigenen Charakter. Die Angestellten der „Konformisten“ oder auch „Normalos“ laufen dagegen immer wieder wie Marionetten aus der „Augsburger Puppenkiste“ herum, Bewegungen und Kostüme sind uniform.

Sind denn die „anderen“ wirklich so individuell? Auch die haben einen eigenen Kleidungs- und Verhaltenskodex und wer da nicht hineinpaßt, wird ausgegrenzt. So funktionieren Gruppen eben und man ist gut beraten, sich immer wieder zu fragen, ob man schon das Kollektiv-Brett vor dem Kopf hat oder Anderssein akzeptiert, auch wenn es nicht der Norm der Gemeinschaft entspricht. Auch Punks können spießig sein.

Herzlicher Beifall beschließt diesen Abend, der Applaus gilt vor allem den Sängerinnen und Sängern sowie Nagasaki und dem Orchester.

Andreas Ströbl, 9. März 2024


Gaetano Donizett
La fille du régiment“ (Die Regimentstochter)

Theater Lübeck

Premiere am 8. März 2024

Inszenierung: Pier Francesco Maestrini
Musikalische Leitung: Takahiro Nagasaki
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

Nächste Vorstellungen: 15. März, 6. und 28. April.