Magdeburg: „Carmen“, Georges Bizet

Die Premiere der turbulenten Neuinszenierung der beliebten Bizet-Oper war ein voller Erfolg, was auch daran lag, dass die Regie von Generalintendant Julien Chavaz konsequent aufs Tempo gedrückt hatte. Es kam eine Fassung zur Aufführung, in der es nur ganz kurze Dialoge und wenige weiterführende Rezitative gab. Auf jedes spanische Kolorit wurde verzichtet; nur das Kostüm von Escamillo und die Mantilla einer voll verschleierten Frau in Schwarz deuteten an, dass Spielort Spanien war. Diese erschien viermal, zum Todesmotiv am Ende des Vorspiels, zum ersten Streit zwischen Carmen und Don José vor dessen „Blumen-Arie“, zum Kartenterzett, wenn Carmen ihren eigenen Tod vorhersagt und natürlich ganz am Schluss nach der Tötung Carmens, die in einer Schaukel nach oben entschwebt, was wohl verdeutlichen soll, dass sie durch ihren Tod zur mythologischen Figur geworden ist.

© Andreas Lander

Die Bühne, entworfen vom Regisseur in Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin Meike Kurella, war mit einem großen, veränderlichen Quader und sich ebenfalls ständig verändernden Lichtwänden (Lichtdesign: Eloi Gianini) abstrakt gehalten, abgesehen von der eine Arena andeutenden halbrunden roten Wand im Hintergrund. Auch die Kostüme von Wojciech Dziedzic waren in ihrer äußeren und farblichen Einheitlichkeit eher abstrakt gehalten. Dazu kam in der Inszenierung die deutliche Betonung des Tanzes: So begleiteten Carmen die Tänzerinnen Valeria Busdraghi, Claudia Greco, Bronwyn Jolley und Amanda Mitrevski; verkleidet als kleine schwarze Toreros unterstützten sie aber auch Escamillo tänzerisch, was in der flotten Choreografie des früheren Magdeburger Tänzers Daniel Daniela Ojeda Yrureta einfach Spaß machte.

© Andreas Lander

Trotz des positiven Gesamteindrucks störten manche Übertreibungen: Dass wirklich alle Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik rauchen mussten (ein Albtraum der diensthabenden Feuerwehrleute) und Zuniga (Johannes Stermann mit gewohnt raumgreifenden Basstönen) ständig paffte, war einfach unnötig. Die „Blumen-Arie“ sang Don José an der Rampe ins Publikum, während die doch durch seine hoch emotionalen Worte angesprochene Carmen gelangweilt in einer Schaukel saß. Ebenso wirkte merkwürdig, dass sie sich am Schluss tänzerischen Bewegungen hingab, während die Todesdrohung Don Josés immer näher rückte.

Insgesamt hatte die musikalische Verwirklichung beachtliches Niveau: Am Pult der in allen Gruppen ausgezeichneten Magdeburgischen Philharmonie sorgte die französische Gastdirigentin Chloé Dufresne mit stets vorwärtsdrängender, klarer Zeichengebung für den nötigen Schwung. Wie in Magdeburg gewohnt, gefiel der klangmächtige Opernchor durch schöne Ausgewogenheit. Mit Eifer und munterer Fröhlichkeit waren die Kinder des Opernkinderchors des Konservatoriums Georg Philipp Telemann bei der Sache (Choreinstudierung: Martin Wagner).

© Andreas Lander

Die darstellerischen und sängerischen Leistungen zeigten das durchweg beachtlich hohe Niveau des Magdeburger Ensembles, das mit nur einem Gast auskam: Das war in der Titelrolle die Französin Héloise Mas, die mit auch tänzerisch ansehnlicher Gestaltung gefiel. Besonders begeisterte ihr volltimbrierter Mezzosopran, den sie durchgehend bruchlos durch alle Lagen führte. Als darstellerisch blasser Don José trat Aleksandr Nesterenko auf, dessen Stärken in den schön ausgesungenen lyrischen Passagen lagen. Bei den dramatischen Ausbrüchen fehlte ihm die nötige Durchschlagskraft, was die Dirigentin bei der Führung des teilweise zu lauten Orchesters hätte berücksichtigen müssen. Nach ihrem Gastauftritt als Gräfin in „Figaros Hochzeit“ in der vergangenen Saison gehört die Irin Amy Ní Fhearraigh nun zum Ensemble und gefiel als Micaela mit intonationsreinem und höhensicherem Sopran. Im langen Duett des ersten Aktes passte ihre ausdrucksvolle Stimme zum lyrischen Tenor Don Josés auffallend gut. Dem Escamillo von Giorgi Mtchedlishvili fehlte manches an der sonst so auffälligen Blasiertheit des eitlen Stierkämpfers. Sein runder Bassbariton bewältigte die extremen Höhen und Tiefen der vielschichtigen Partie recht ordentlich. Ein gestalterischer und stimmlicher Glanzpunkt des Abends war das Schmugglerquintett des zweiten Aktes, an dem neben Carmen beteiligt waren Mercédès (Emilie Renard mit charaktervollem Mezzo), Frasquita (Rosha Fitzhowle, die alle überstrahlte), Dancaïro (Marko Pantelić mit dominierendem Bariton) und als flink agierender Remendado Adrian Domarecki. Mit weichem Bariton ergänzte Doğukan Kuran als Moralès.

Zu Recht war das Premierenpublikum hellauf begeistert und spendete starken, lang anhaltenden Beifall für alle Mitwirkenden und das Regieteam.

Gerhard Eckels, 20. September 2024 


Carmen
Georges Bizet

Theater Magdeburg

Premiere am 19. Oktober 2024

Regie: Julien Chavaz
Musikalische Leitung: Chloé Dufresne
Magdeburgische Philharmonie

Weitere Vorstellungen: 2.,17. November, 8., 25. Dezember 2024 und öfter im Jahr 2025