am 11.2.2018
Nicht etwa, dass die Wagner-Oper in französischer Sprache aufgeführt wurde – nein, aber mit der französischen Form des Titels hat man sie sozusagen völlig eingemeindet. Unsere Gruppe aus Wien und etliche deutsche Gäste bildeten eine verschwindende Minderheit, der Wagners Muttersprache in die Wiege gelegt wurde. Unter den Einheimischen, die das Haus füllten, war die Mehrheit offenbar des Deutschen unkundig. Sicherlich war die französische Übersetzung des Textes, die am oberen Bühnenrand mitlief, eine Hilfe, aber das volle emotionale Verstehen des Werkes wurde von der Bühne her und aus dem Orchester ermöglicht. Auch Erstbesucher dieses „Ring“-Abends wurden mitgerissen. Für mich war es eine jener Aufführungen, bei denen man meint, das Werk zum ersten Mal zu hören – ein nicht unwesentliches Qualitätskriterium!
Diese letzte von 5 Aufführungen war nach Aussage von Mitwirkenden die beste der Serie. Einerseits verständlich, weil man schon eingespielt ist, andererseits könnte sich bei solch anspruchsvoller Kost innerhalb von 13 Tagen (und vorhergehenden Proben) leicht schon Ermüdung einstellen. Aber nichts davon in dieser herrliehen (Faschings-)Sonntagnachmittagsvorstellung! Es wurde mit glühender Intensität gesungen und musiziert. Und dies in einer „normalen“ Inszenierung, mit einem Orchester, dessen Mitglieder das Stück großenteils zum ersten Mal spielten, unter einem Dirigenten, für den es – mit nur 6 Orchesterproben, ebenfalls ein Werk-Debut war, und einigen Rollendebutanten unter den Solisten. Die geniale Musik und das gigantische Bühnengeschehen überwältigte alle. Und man weiß ja seit Uraufführungszeiten, dass die Franzosen zu den begeisterungsfähigsten Wagnerianern zählen.
Ein eingespieltes Regieteam garantierte eine hochprofessionelle optische Realisierung: Nicolas Joel (mis en scene, ein sehr guter Ausdruck, weil es ein lebendiges In-Szene-Setzen suggeriert, nicht jenes heute vielzitierte willkürliche „Konzept“), Ezio Frigerio (decors, was in diesem Fall wohl auch mehr aussagt als das deutsche „Bühne“ oder „Bühnenbild“) und Franca Sqarciapini (Kostüme), von der im 1.Rang-Foyer gerade eine Ausstellung gezeigt wurde. Sie alle machten deutlich, dass Richard Wagner große, starke Persönlichkeiten mit gewaltigen Schicksalen auf die Bühne gebracht hat. Sowohl die Götter wie auch ihre Abkömmlinge erscheinen in würdiger Gewandung, Fricka gar in einem glitzernden weißen Kleid mit Schleppe, die ihre gehobene soziale Stellung kundtut. Auch Hunding ist kein Wüstling. Brünnhilde und ihr 8 Walküren-Schwestern, die einen Haufen toter Helden abzutransportieren haben, erscheinen wohlgerüstet. Doch gab es kein hohles Pathos – weder seitens der Bühnenakteure noch in der musikalischen Wiedergabe. Alle Sängerdarsteller überzeugten in ihren Rollen und fesselten im Zusammenspiel.
Auf einem spiegelglatten Boden (den wir bei einer Hausführung am Vormittag betreten durften) erhebt sich im 1. Akt der mächtige Stumpf einer Esche inmitten der Bühne. Bei Einbruch des „Wonnemonds“ hat er plötzlich eine Blätterkrone. Quer davor steht ein Tisch mit Stühlen. Also alles schön zentriert mit genügend Spielraum für die Sänger. Den 2. und 3. Akt beherrscht ein den ganzen Bühnenraum ausfüllender Turmbau die Szene und auf der herabführenden Freitreppe lassen sich alle wichtigen Handlungsmomente wunderbar einsichtig darstellen. Die passend variierte Beleuchtung, kulminierend in einem prächtigen Feuerzauber, in dessen Mitte der Göttervater mit erhobenem Speer – noch – über die Welt gebietet, sorgt für ein großes Theatererlebnis. Alles im Einklang mit der Musik, versteht sich – in der französischen „Provinz“ ist so etwas ja noch erlaubt.
Claus Peter Flor dirigierte, als ginge es um sein Leben. Und so spielten auch die Musiker. Der in Zwickau, Weimar und Leipzig (u.a. bei Kurt Masur) ausgebildete Dirigent hat weltweit vor allem eine Konzertkarriere gemacht, war u.a. GMD des Berliner Symphonieorchesters (mit weltweiten Gastspielen), hat viel mit dem Tonhalle Orchester Zürich, wo er auch wohnt, gearbeitet und 6 Jahre in Malaysia. Nichtsdestotrotz zeigte er in Toulouse, wo er mehrere Jahre am Théâtre du Capitole gewirkt hat, alle Qualitäten eines erstrangigen Operndirigenten. Auf der Basis klassischer Tempi gelang es ihm, die ab dem 1. Takt aufgebaute Spannung durch alle 3 Akte nie abreißen zu lassen. Mit trefflicher Zeichengebung inspirierte er alle Mitwirkenden zu vollem, aber wohldosiertem Einsatz, und hatte wohl schon bei den Proben auf größte Wortdeutlichkeit der Sänger Wert gelegt. So erhielt die Musik ihre volle Ausdruckskraft und es konnten prächtige Höhepunkte aufgebaut werden, vom „blühenden Wälsungenblut“ über das „hehrste Wunder“ und den mitreißenden Walkürenritt bis zu Wotans groß dimensioniertem Abschied. Im nicht übergroßen Orchestergraben waren, wie in Bayreuth, die schweren Bläser und das Schlagzeug unter Bühnenniveau platziert, sodass keine Gefahr bestand, dass die Sänger zugedeckt wurden. Alles in allem also eine großartige Gesamtdisposition. Dass Dirigent und Musiker nach jedem Akt einander mit strahlenden Gesichtern applaudierten, soll nicht unerwähnt bleiben. Der Wagner-Funke ist offenbar von jedem zu jedem übergesprungen…
Die Mezzosopranistin Daniela Sindram, immer schon (etwa als Octavian, Brangäne, Fricka, Adriano oder Kundry) auch mit sicherer Höhe aufwartend, konnte dank ihrer breiten, kräftigen Mittellage der Sieglinde besondere Autorität verleihen. Das war kein armes vom Ehemann unterdrücktes, Hascherl, sondern eine eigenständige Persönlichkeit, die sich ihrem ebenso groß gewachsenen „leuchtenden Bruder“ stolz in die Arme warf und ihr weiteres Schicksal gefasst auf sich nahm. Michael König sang und spielte mit ausgeglichenem, kräftigem Tenor und würdig-heldischem Auftreten einen glaubwürdigen Siegmund. Auch der Hunding von Dimitry Ivashchenko beeindruckte mit Basseskraft und als selbstbewusster Hausherr.
Die Hojotoho-Rufe der Russin Anna Smirnova eröffneten neue vokale Dimensionen. Auf diese Tochter durfte Vater Wotan stolz sein. Sie wusste, was sie tat und sang – mit unbegrenzten Stimm-Mitteln und in allen Lebens- und Stimmlagen souverän. Sehr beeindruckend auch ihr Auftreten als Todverkünderin auf der Mitteltreppe des väterlichen Palastes, wo jedes Wort und jeder Ton Gewicht hatte. Und sehr überzeugend dann das Plädoyer für ihr richtiges Handeln gegenüber dem erzürnten Gott. Den kannten wir gut. Tomasz Konieczny fesselte mit der gewohnten göttlichen Autorität, durchlebte recht ergreifend die verschiedenen emotionalen Schicksalsmomente bis zum würdigen Abschied von seinem „besseren Ich“, aber schön gesungen hat er wirklich nicht. Derart grell und forciert im beinah Dauer-Forte mit an und für sich viel zu hellem Bassbariton und den ständigen Vokalverfärbungen – da stellt sich kein Hörvergnügen ein. Ein paar schöne piano-Phrasen am Schluss zeigten, dass es auch anders ginge. Ich mag einfach nicht glauben, dass sich da nichts verbessern ließe. Seine göttliche Gemahlin, Elena Zhidkova, verwies ihn da glatt – mit verständlichem Erfolg – auf den zweiten Platz. Das ist eine Prachtstimme für derlei Autoritäten!
Die Damen Marie-Laure Garnier, Oksana Sekerina, Pilat Vasquez, Daryl Freedman, Sonja Mühleck, Sylvia Vörös, Karin Lovelius und Ekaterina Egorova v erdingten sich als Schlachtjungfrauen. Ihre Namen mögen beweisen, wo überall auf der Welt sich Wotan umgetrieben hat. Dass das weder lauter Nobelstimmen waren noch das für diese Wotanstöchter verpflichtende Umherschleifen männlicher Leichen sie als edle Geschöpfe auswies, entschuldigt wohl manche grellen Töne.
Aber gerade im Kontrast zu diesen wilden Umtrieben berührten einen die Schicksale der so menschlich gezeichneten, ihr Schicksal voll auslebenden und heldenhaft ertragenden Wagner-Figuren desto stärker. Lebendiger Mythos – dank dem Dichterkomponisten und seinen Interpreten – der fesselt jenseits des jeweiligen Sprachraums.
Foto (c) theatre du capitole
Sieglinde Pfabigan 16.2.2018
Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online Wien