Anton Bruckner
8. Sinfonie
Toshio Hosokawa
«Ceremony» für Flöte und Orchester
Gleich zu Beginn des Konzerts feuerte der Verwaltungsratspräsident der Tonhalle-Gesellschaft Zürich AG, Martin Vollenwyder, mit seinem voluminösen Organ (er verzichtete wie immer bei seinen Ansprachen auf ein Mikrofon und nutzte die exzellente Akustik des renovierten Saals!) das Publikum zu Begeisterung und Treue und Werbung für die kommenden Konzerte auf. Die Intendantin, Ilona Schmiel (mit Mikrofon), strich die programmatischen Schwerpunkte der 154. Saison in diesem grandiosen Saal heraus: Die Zusammenarbeit mit dem diesjährigen Inhabers des Creative Chairs, Toshio Hosokawa, dessen Flötenkonzert CEREMONY an diesem Abend zur Uraufführung gelangen wird, ausgeführt und gewidmet dem diesjährigen Fokus-Künstler, dem Flötisten Emmanuel Pahud. Einen weiteren Schwerpunkt der Saison wird die Fortführung der Aufnahmen der Sinfonien Anton Bruckners unter der Leitung des Music Directors Paavo Järvi bilden, dessen monumentalstes Werk, die 8. Sinfonie, nach der Pause erklingen werde.
Toshio Hosokawas Flötenkonzert CEREMONY beginnt wie aus dem Welt-Atem geboren – es wird nur Luft durch Blasinstrumente geblasen. Selbst der Solist Emmanuel Pahud, dem das Werk gewidmet ist, lässt nur stockenden Atem durch seine Querflöte fliessen. Langsam entstehen aus wilden Fetzen Töne, zusammenhängendere Passagen. Lautstärke und Virtuosität schwellen an. Der Solist ist für Hosokawa eine Art Schamane, der sich mit der Natur auseinandersetzt. Mit grosser Verblüffung verfolgt man den Solisten, der seinen drei Instrumenten (er wechselt auch mal zur Altflöte und zur Piccoloflöte) eine unfassbare Palette an Farben und Ausdrucksmöglichkeiten entlockt, mal fast schwelgerisch, dann wieder schrill und hysterisch. Hochspannend gerät ein Dialog mit der Holzbläsergruppe, die beim Tonhalle-Orchester Zürich herausragend besetzt ist. Im dritten Teil entwickelt sich ein tosender Kampf zwischen Orchester und Solist, Hosokawa evoziert eine lärmige Sogwirkung, auf welche ein hypnotischer Sologesang der Flöte folgt. Im letzten Teil scheint eine Versöhnung mit der Natur stattzufinden, man hört Naturlaute, Vogelgesang. Nach Angaben des Komponisten stellt dieser Schlussatz auch eine Gebetsmusik dar, welche um das Ende der Pandemie bittet. Jedenfalls findet man sich am Ende als Hörer in einer absolut friedlichen Stimmung und staunt über das unheimlich subtile Verklingen, welches Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester¨im Saal auszubreiten vermögen. Der anwesende Komponist durfte anerkennenden Beifall entgegennehmen. Wie oft bei zeitgenössischer Musik wird man sie erst nach mehrmaliger Begegnung wirklich würdigen können.
Dies ging den Zeitgenossen Anton Bruckners wohl genauso. Lange brauchte der Komponist, um die ihm gebührende Anerkennung zu erfahren. Seine achte Sinfonie wird als seine gewaltigste bezeichnet, ja einige Adlaten versteigen sich gar dazu, sie als das grösste je geschaffene sinfonische Werk zu bezeichnen. Da wir bei der Musik und nicht beim Sport sind, will ich das nicht weiter ausführen. Unbestritten ist, dass sie an die Ausführenden monumentale Ansprüche stellt. Es muss nämlich gelingen, einen Spannungsbogen über 80 Minuten zu halten und eine klangliche Balance zu finden, bei der das Blech nicht alle anderen Stimmen zudeckt und trotzdem die Kulminationspunkte – die schwer erkämpft werden müssen (wie stets bei Bruckner) – zur effektgeladenen Explosion zu bringen. Dies gelingt Paavo Järvi und dem exzellent spielenden Tonhalle-Orchester Zürich an diesem Abend auf herausragende Art und Weise. Järvi geht diese Schöpfung zum Glück zügig an, er zelebriert nicht am Hochaltar, sondern erzählt ein dramatisches Gedicht. Knapp 80 Minuten braucht er dazu (Celibidache z.B. nahm sich 100 Minuten Zeit).
Der erste Satz beginnt mit einem mürrisch-drohenden Motiv, wie wenn ein Riese aus seinem Tiefschlaf geweckt würde. Das Motiv trotzt immer wieder der lichteren Stimmung, welche die Geigen zu verbreiten suchen. In mehreren Anläufen wird der Höhepunkt erreicht – Gänsehaut. Doch schnell fällt alles wieder zusammen, die „Totenuhr“ (Bruckner) beginnt zu ticken, der Satz endet (als einziger von Bruckners Ecksätzen) im Pianissimo, welches von Järvi und dem Orchester – wie schon bei Hosokawa – ausserordentlich bewegend gestaltet wird. (Kleine Anmerkung: In der Erstfassung der Sinfonie endet dieser erste Satz im Ostinato C-Dur Fortissimo.) Dem tragischen Ende dieses Kopfsatzes stellte Bruckner im zweiten Satz die derbe Tolpatschigkeit des „deutschen Michel“ gegenüber. Järvi und das Tonhalle-Orchester nehmen diesen stampfenden Bauern mit Genuss auf, das klingt rhythmisch überragend sicher und die klangliche Finesse wird subtil ausgekostet, mit den glitzernden drei Harfen, welche auch im überlangen Adagio-Satz ihre himmlischen Arpeggien beisteuern. Begeisternd intonieren die Celli und die Bratschen den Anfang dieses wunderschönen langsamen Satzes, da wird eine bewegende Innigkeit evoziert.
Natürlich braucht Bruckner auch hier mehrere Anläufe, um den Höhepunkt zu erreichen, doch wenn es dann soweit ist, verfällt man der klanglich eruptiven Magie mit den beiden krönenden Beckenschlägen (in der Erstfassung waren es noch sechs!). Hier ist unbedingt auch der beim Schlussapplaus dann besonders gefeierte Paukist zu erwähnen, der mit seinen zum Teil brachialen, aber stets mit haargenauer rhythmischer Präzision ausgeführten Schlägen und Wirbeln aufhorchen liess. Auch die wunderbar sauber intonierenden Hörner und Wagnertuben sowie der Spieler der Basstuba verdienten sich mit ihren Leistungen einen Sonderapplaus. Der Finalsatz lässt die diversen Motive der vorangehenden Sätzen zumindest in ihrer Rhythmik nochmals auftürmen, das Blech stellt vehemente Thesen auf, das Holz bestätigt diese. Wunderschön erklingt das kurze besänftigende zweite Thema, verschafft uns etwas Ruhe, bevor dann resolut auf die krönende Coda zugeschritten wird. Die hat es wahrlich in sich und verfehlt auch an diesem Abend ihre mitreissende Wirkung nicht, die sich in einem verdienten und lang anhaltenden Beifallssturm für das Tonhalle-Orchester Zürich und seinen Chefidrigenten Paavo Järvi entlädt.
Kaspar Sannemann, 17.9.22