Zürich, Konzert: Strauss, Weber, Schumann

Es kommt selten vor, dass das Konzertpublikum vom Podium herab dazu aufgefordert wird, sein Smartphone Einzuschalten! So geschehen gestern Abend in der Tonhalle Zürich anlässlich des Abschlusskonzerts von Paavo Järvis „Conductors´ Academy“ – aus gutem Grund, denn das Publikum durfte mittels des auf dem Programmzettel aufgedruckten QR-Codes den Gewinner des Publikumspreises im Wert von CHF 1000 bestimmen. Zur Wahl standen zwei Dirigentinnen und vier Dirigenten, welche aus über 280 Bewerbern ausgewählt worden waren, während einiger Tage zusammen mit Music Director Paavo Järvi und dem Tonhalle-Orchester Zürich vier Werke einzustudieren und in einem Abschlusskonzert vor Publikum aufzuführen, mit weltweiter Übertragung auf YouTube. Bereits die Proben waren öffentlich und frei zugänglich und ebenfalls auf YouTube mitzuerleben. Für den Besuch des Abschlusskonzerts wurde ein bescheidener Einheitspreis von 40 Franken erhoben. Trotzdem blieben sehr viele Plätze leer, denn das Zürcher Publikum setzt bei seinen Präferenzen leider allzu oft einfach nur auf grosse Namen, obwohl das zusammengestellte Programm sehr gefällig war. Schade, dass Bartóks Tanz-Suite, an der während der vorangegangen Tage fleißig gearbeitet worden war, kommentarlos gestrichen wurde.

Durch den Abend führte die Journalistin, Regisseurin und bekannte Moderatorin Andrea Thilo äußerst sympathisch, eloquent und ohne Anbiederung in englischer Sprache, da mittels YouTube ein internationales Publikum für diese Ereignis anvisiert wurde.

(c) Sannemann

Eröffnet wurde das Konzert mit dem von der polnischen Dirigentin Agata Zając geleiteten Konzertwalzer „Rosenaus dem Süden“ von Johann Strauss, Sohn. Agata Zając achtete auf eine subtile Dynamik, klug gesetzte Accelerandi und fulminante, berauschende Klangexplosionen. Ganz wunderbar! Beim nächsten Werk zeigte sich die Problematik der ganzen Veranstaltung: Da es mehr Conductor als Werke waren, mussten die verbleibenden beiden Werke auf zwei (Webers Fagottkonzert) und gar drei Dirigate aufgeteilt werden (Schumanns Frühlingssinfonie). Die Unterbrüche nach den Sätzen (natürlich mit dem jeweils mehr als verdienten Zwischenapplaus) erschwerten für das Publikum am Ende die Beurteilung der Leistung der Dirigenten, denn natürlich macht beim ersten Anhören ein effektvolles, finales Allegro animato des vollen Orchesters mehr Eindruck als ein verhaltenes Larghetto oder ein fast kammermusikalisch besetztes Solistenkonzert.

Ich nehme mal an, dass der Chef, Paavo Järvi, den einzelnen TeilnehmerInnen die jeweilige Aufgabe übertragen hat und nicht gelost wurde. Wie dem auch sei, der exzellente Kandidat überzeugte sowohl beim Fagott Konzert aus der Feder des zur Zeit der ersten Niederschrift noch relativ jungen Carl Maria von Weber als auch bei Robert Schumanns mitreißender und vor Freude und Emphase nur so sprudelnder 1. Sinfonie. Der italienisch/schweizerische Dirigent Mauro Mariani leitete wunderbar phrasierend, mit großer Präsenz und stilistisch einwandfrei den Atem der Frühromantik evozierend den ersten Satz von Webers Fagott Konzert. Der Solist war Matthias Rácz, Solofagottist beim Tonhalle-Orchester Zürich und beim Lucerne Festival Orchestra. Sein Spiel war berückend, mit unglaublich Großem Atem schaffte er atemberaubende Phrasen und ausdrucksstarke Intervallsprünge.

Für den zweiten und den dritten Satz übernahm der ukrainische Dirigent Sasha Yankevych die Leitung, transportierte sehr einnehmend die elegische Stimmung des zweiten Satzes, verlieh ihr gar einen mystischen Touch. Auffallend war, dass er eigentlich sehr wenig Blickkontakt mit dem exzellenten Solisten Matthias Ràcz suchte und trotzdem die Koordination mit dem Orchester im Griff hatte. Leider hatte ein Idiot im Publikum, das mit den Smartphones nicht kapiert und ließ sein Gerät mitten in die feine, berührend zart intonierte Solokadenz des Fagottisten Matthias Rácz im zweiten Satz klingeln. Shame on you!

Als Abschluss des relativ kurzen Konzerts (wie gesagt, das Werk von Bartók hätte noch gut ins Programm gepasst) erklang Schumanns erste seiner vier Sinfonien. Der koreanische Dirigent und bereits bekannte Komponist Jaehyuck Choi leitete mit ausgefeilter Dynamik den ersten Satz, ein junger Mann, der genaue Klangvorstellungen hat und diese präzise umsetzen kann. Das war dosiert stürmisch, jugendlich frisch, mit schön herausgehörten Soli (Flöte!). Für das Larghetto, diesen liedhaften, wunderbar friedvollen Satz, trat die Griechin Eleni Kotsmanidou vor das Tonhalle-Orchester. Sie achtete ausgezeichnet auf die klangliche Transparenz und beachtete die Quintessenz dessen, was Järvi den jungen angehenden Orchesterleitern während des Meisterkurses immer wieder eingebläut hatte, nicht einzelne Takte zu dirigieren, sondern in Phrasen zu denken und dem Orchester immer wieder Raum zu geben, nicht wild herumzufuchteln, sondern Vertrauen in das überragende Können des Orchesters zu haben.

(c) Tonhalle

So erklangen die herrlichen Passagen der Bratschen, der Flöte, der Oboe und der Celli wunderschön herausgehört und die fantastisch spielenden Posaunen erhielten den erforderlichen Raum. Die letzten beiden Sätze der Sinfonie, das Scherzo und das Allegro wurden dem Georgier Mirian Khukhunaishvili anvertraut. Ihm gelang es großartig, die kontrastierenden Hauptthemen des Scherzos gegeneinander abzusetzen, das robuste, bodenständige erste Thema und das anmutige zweite. Die neckischen Wechsel der Instrumentengruppen im ersten Trio und die tonleiterhaften Bewegungen im zweiten Trio brachte er mit sparsamen, aber präzisen Armbewegungen und Zeichensetzungen zum Klingen. Beim Finalsatz dann wurden seine Armbewegungen ausgreifender, so erreichte er die gewollten klanglichen Kulminationspunkte. Ganz fantastisch intonierten zwei Hörner und die Flöte die wunderbare Überleitung zur Reprise, erneut begeisterte die in dieser Sinfonie ganz besonders wichtige Gruppe der Blechbläser mit ihrem strahlenden Klang.

Nun war also das Publikum gefordert und musste (durfte) den Publikumspreisträger bestimmen. Es kam wie es kommen musste, der Georgier Mirian Khukhunaishvili gewann ihn. Die Anzahl der abgegebenen Stimmen und die Verteilung der Stimmen auf die einzelnen Bewerber wurden nicht kommuniziert. Paavo Järvi verlieh selber auch einen Preis: Mit seiner Paavo Järvi Scholarship lud er einen der sechs Kandidat zum Pärnu Music Festival 2023 ein. Der Gewinner war (keine wirkliche Überraschung) ebenfalls Mirian Khukhunaishvili, mit seinen 33 Jahren auch der älteste Teilnehmer. Unter seiner Leitung erklangen am Ende nochmals die „Rosen aus Tirol“. Irgendwie erschien mir das persönlich gegenüber der ersten Dirigentin ungerecht. Vielleicht hätte an dieser Stelle doch der Bartók gepasst?

Kaspar Sannemann, 19.11.2022


Zürich, Tonhalle: Conductors Academy

Abschlusskonzert, 18.11.2022

Diverse Dirigate

Tonhalle Orchester

Johann Strauss (Sohn):«Rosen aus dem Süden» op. 388

Carl Maria von Weber: Fagottkonzert F-Dur op. 75

Robert Schumann: Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 «Frühlingssinfonie»