Budapest: „Murad IV.“, Okan Demiriş

Im Jahr 2024 wurde anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Beziehungen zwischen der Türkei und Ungarn dieses Jahr zum „Türkei-Ungarn-Kulturjahr 2024“ erklärt. Unter dem Motto „Ein Jahrhundert der Freundschaft und Zusammenarbeit“ war es das Ziel beider Länder, jeweils 100 Veranstaltungen durchzuführen. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten haben die Künstler der Staatsoper und des Balletts von Antalya Murad IV., ein herausragendes Werk der türkischen Nationaloper vorgestellt. Ein Zitat des Komponisten und Dirigenten Okan Demiriş lautete: „Musik wird nicht geschaffen, um universelle Dimensionen zu erreichen, aber Musik, die für das eigene Volk gemacht wird, könnte eines Tages universelle Dimensionen erreichen“. Für Murad IV. schrieb Demiriş polyphone Arrangements, die traditionelle und Sufi-Musik verbinden.

© Virág Búza / Inmotion

Die Oper erzählt die Lebensgeschichte von Murad IV., der im Alter von elf Jahren osmanischer Sultan wurde. Wichtige historische Persönlichkeiten, darunter seine Mutter Kösem Sultan, der Großwesir Topal Recep Pascha, der Dichter Nef’i und Murads treuer Diener Dilfigar treten ebenso auf. Die Produktion bringt eine entscheidende Periode der osmanischen Geschichte auf die Bühne, dargestellt durch die geheimnisvolle Welt des Topkapipalastes und die Machtkämpfe darin. Murad war ein Sohn Sultan Ahmeds I. (Regierungszeit 1603-17) und folgte seinem Onkel Mustafa I. (Regierungszeit 1617-18) im Alter von elf Jahren auf den Thron. Er war der 17. Thronfolger aus dem Hause Osman. Seine Herrschaft dauerte nur 17 Jahre zwischen 1623 und 1640 und endete mit achtundzwanzig Jahren und – Ironie des Schicksals: Keines seiner angeblich 15 Kinder hat das Säuglingsalter überlebt. Zeitlebens war Murad IV. auch großem Druck durch seine eigene autoritäre Mutter Kösem Mahpeyker Sultan (um 1589-1651) ausgesetzt, einer Frau, die nicht zögerte, ihre eigenen Kinder und Enkelkinder zu töten, um Macht zu erlangen. In seinen frühen Jahren als Regent herrschte und verwaltete seine Mutter das Osmanische Reich als Valide Sultan. Sultan Murads Strenge war legendär. Er verbat den Konsum von Opium, Wein, Tabak und Kaffee. Kleinste Vergehen wurden mit dem Tode bestraft. Rebellen und Gegner wurden auf der Stelle hingerichtet. Die Zahl seiner Opfer soll die 100.000 überschritten haben. In der Oper nutzen die Janitscharen und Sipahi-Rebellen unter der Schirmherrschaft von Topal Recep Pascha (hingerichtet am 18.5.1632) die Entlassung von Hüsrev Pascha als Vorwand und überfallen den Topkapı-Palast. Die Rebellen rufen Sultan Murad zu einem dringenden Treffen, um ihnen einige der staatlichen Würdenträger zu übergeben. Bei diesem Treffen entlässt Sultan Murad Großwesir Hafiz Pascha, stimmt seiner Ermordung jedoch nicht zu. Topal Recep Pasha, der Anführer des Aufstands, wird unter dem Druck der Rebellen zum Großwesir ernannt. Kösem Sultan intrigiert dagegen und stellt sich an die Seite von Recep Pasha. Die Rebellen fordern, dass der Sultan ihnen den ehemaligen Großwesir Hafiz Pasha übergebe, Murad aber befiehlt dem Pascha, wegzulaufen. Doch dieser weigert sich zu fliehen, um den Sultan nicht in eine schwierige Lage zu bringen, vertraut ihm seine Kinder an und opfert sich. Hierauf schmieden Recep Pasha und Kösem Sultan ein Komplott zur Entthronung ihres Sohnes Sultan Murad unter der Bedingung, dass ihr anderer Sohn Prinz Kasım anstelle von Murad den Thron besteigen soll. Bei diesem Gespräch aber werden sie von Dilfigar belauscht, die das Komplott Murad entdeckt. Dieser befielt Recep Pasha zu erdrosseln und verbietet seiner Mutter Kösem Sultan, den Harem zu verlassen. Aber seine legendäre Stärke, mit der er einen schweren Streitkolben heben konnte, verlässt den Sultan, er beginnt wieder Alkohol zu trinken und stirbt schließlich an der Gicht.

© Virág Búza / Inmotion

Die zweiaktige Oper „Murad IV.“ wurde am 3. Mai 1980 im Atatürk Kultur Zentrum von Istanbul uraufgeführt. Der Komponist dirigierte dort und seine Gattin Leyla Demiriş sang die Rolle der Sultansmutter Kösem Sultan. Die Ouvertüre beginnt mit dem melancholischen Motiv von Murad IV. Das auf Itris, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Geschichte der türkischen Musik aus dem 11. Jhd., basierende „Salât-ı Ummiye“-Thema, dient als Fugeneinleitung, mit dem später die Koranszene vertont wird. Hier erweist sich der Komponisten als wahrer Meister im Kontrapunkt. Dann folgen die Motive des Großwesirs Topal Recep Pascha, der Angst und Schrecken verbreitete, und seiner Soldaten sowie das Volkslied des jungen Osma. Die Ouvertüre, gefüllt mit leuchtenden harmonischen Farben, unterbrochen von den terrorisierenden und befehlenden Motiven Murads IV., und die Motive von Kösem Sultan sind leitmotivisch durchzogen von süßen, lebhaften und sentimentalen ostanatolischen Volksmelodien. Murad selbst hatte große Angst vor dem Tod und große Teile der Oper sind von dieser Angst durchdrungen. Dennoch gilt er als der grausamste, aber auch der mutigste Sultan. Militärisch war sein größter Erfolg die Eroberung von Bagdad 1638. Zwei Jahre später erlag er einer Gichterkrankung. Murad IV. war aber auch ein leidenschaftlicher Künstler, der die Kalligrafie beherrschte und viele Stücke nach klassisch-türkischer Art komponierte. Diese Werke traten aber wegen seiner Härte und Politik in den Hintergrund. Die Oper Murad IV. gehört zu den meistinszenierten türkischen Opern und „Opera on Video“ listet ganze sechs Gesamteinspielungen auf.

In der Titelrolle gefiel Bassbariton Engin Suna durch seine besonders ausdrucksstarke Rollengestaltung. Arzu Yaman verlieh ihren wuchtigen Sopran der intriganten Mutter Kösem Sultan.  Serhat Konukman war ein hinreißender Intrigant als Großvisier Topal Recep Pasha. Göksay Yaran war ein besonders gefühlvoller Dichter Nef’I, der sich selbst der Staatsmacht auslieferte, nachdem er den Sultan in seinen Gedichten kritisiert hatte. Der treue Diener Dilfigar wurde von Isilay Meriç Karataş mit Verve gesungen. Emre Aytekin war in der Rolle des Bostancıbaşı der von Großvisier Topal Recep Pasha favorisierte Thronanwärter, der jedoch nicht zum Zug kam. Şekvet Baha İşler wirkte noch als Waffenmeister, Taner Ölçen als Bekri Mustafa, Duran Emre Akyurt alsGroßwesir Kara Mustafa Paşha, Ümit Burak Tekinay als Hafız Paşha, Baturalp Bilgili als ein alter Gelehrter, Toygarhan Atuner als Henker Kara Ali, Muhammed Yusuf Yldiz als Rädelsführer, Müge Günaydin und Selda Serdar als zwei Frauen sowie Sinan Hesapçioğlu, Zafer İşgören, Erdi Can Aybaş und Yalçın Ünsal als vier Einwohner von Istanbul, gesanglich und darstellerisch engagiert mit. Das historisierende Bühnenbild des Topkapipalastes sowie des 3. Bâbüssaâde (Tor des Glückes) genannten Eingangstores stammen von Özgür Usta, die ebenso historisierenden Kostüme von Gazal Erten. Die spannende Lichtregie besorgte Mustafa Eski. Regisseur Haldun Özörten breitete die Intrigen rund um Murad IV. mit Liebe zum Detail lustvoll aus. Dem Orchester der Staatsoper unter Hakan Kalkan gelang es, eine in unseren Breitengraden eher unbekannte Oper durch die Schönheit ihrer Musik nahe zu bringen, was auch den großen Applaus des Publikums am Ende der Vorstellung unter Beweis stellte.

Harald Lacina, 9. November 2024


Murad IV.  
Oper von Okan Demiriş

Ungarische Staatsoper Budapest
Gastspiel der Staatsoper und des Staatsballetts Antalya

6. November 2024

Inszenierung: Haldun Özörten
Musikalische Leitung: Hakan Kalkan
Orchester der ungarischen Staatsoper