Palau de les Arts Reina Sofia – Premiere am 8.3.15
Wer immer sich für Oper mit all ihren Nebengeräuschen interessiert, wird wohl über den Eingriff der spanischen Polizei gelesen haben, die für ein paar Stunden die österreichische Intendantin des Hauses in Gewahrsam genommen hatte.
Ohne im Rahmen einer Besprechung auf diese Situation einzugehen, soll hier die noch von ihr verantwortete, in den finanziellen Mitteln drastisch beschnittene Saison (man denke an die Vorjahre, als die gesamte Tetralogie und aufwendig zu produzierende Werke wie „Les Troyens“ oder „Parsifal“ neben so bedeutenden Titeln wie „Fidelio“, „Carmen“ oder „Simon Boccanegra“ zur Aufführung kamen und das Haus mit seinem phantastischen Orchester als das künstlerisch bedeutendste in Spanien positionierten) besprochen werden, die nun nach „Manon Lescaut“, „Luisa Fernanda“ und „Don Pasquale“ eine interessante „Norma“ präsentierte, in der Mariella Devia nach ihrem Rollendebut im Vorjahr in Bologna nun neuerlich die Druidenpriesterin verkörperte. Devia, die nie die ganz große Divenkarriere gemacht (und vermutlich auch nicht angestrebt) hat, verfügt über eine Technik, wie sie in dieser Perfektion heute nur mehr ganz selten zu finden ist. Mehr noch, die Stimme der im gleichen Alter wie Edita Gruberova stehenden Sängerin besitzt die Frische einer Dreißigjährigen. Was Mariella Devia fehlt, ist eine Ausstrahlung, die gemeinhin als Charisma umrissen wird, aber Achtung, es handelt sich nicht um das langweilige Abspulen virtuoser Rouladen usw., sondern diese Stimme vermag alle Nuancen von Emotionen zu transportieren, ohne halt das gewisse Quäntchen stardom. Jedenfalls eine faszinierende Leistung, von deren Möglichkeiten der Nachwuchs durch aufmerksames Hören nur profitieren kann.
Akzeptierte man als Hörer, dass ihr mit Varduhi Abrahamyan eine Adalgisa mit sehr viel dunklerem Mezzo zur Seite stand, während Devias Sopran in quasi jungfräulicher Klarheit erklang (also eine contradictio in se angesichts der Mutterrolle Normas, ohne auf die Uraufführung verweisen zu müssen, in der die Hochdramatische Giuditta Pasta in der Titelrolle die Lyrische Giuditta Grisi als Adalgisa neben sich hatte), so ist der armenischen Sängerin zu bescheinigen, dass sie dem für Bellini geforderten Belcantostil bestens entsprach. Eine Überraschung war der farbige Tenor Russel Thomas, der als Pollione eine echte Spintostimme erklingen ließ, die aber auch über die nötigen Mezzavoce-Nuancen verfügte. Enttäuschend Sergej Artamonov, der dem Oroveso zwar authentische Basstöne schenkte, dem aber schon bei leichteren Höhenflügen die entsprechenden Farben abhanden kamen. Aus der Opernschule des Hauses kamen Cristina Alunno (Clotilde) und David Fruci (Flavio), die beide gute Figur machten. Weniger beeindruckte Gustavo Cimeno am Pult des Orquestra de la Comunitat Valenciana: Der über zehn Jahre als Schlagwerker im Concertgebouw Amsterdam tätige Musiker soll sich als Dirigent von symphonischer Musik einen guten Namen gemacht haben, aber „Norma“ überzeugte nicht. Bekanntlich ist es besonders schwierig, Bellinis Orchesterbegleitung Leben einzuhauchen (aber in den letzten Jahren haben wir das mit Michele Mariotti und Matteo Beltrami durchaus erlebt), doch davon war Cimeno leider noch weit entfernt. (Ein Beispiel ist die Einleitung zum zweiten Akt, als nach und nach immer mehr Huster zu hören waren). Stimmprächtig hingegen wieder der Cor de la Generalitat Valenciana unter Francesc Perales.
Davide Livermore, bisher Leiter der Opernschule des Palau de les Arts und hier bereits mehrfach und erfolgreich eingesetzter Regisseur, sorgte auch diesmal für die Inszenierung. Hinsichtlich der Sängerführung hatte er einige neue Einfälle, etwa wenn Norma „Casta diva“ wie in Trance singt und dabei von Adalgisa mehrmals gestützt werden muss. Auch Normas Kindern, die u.a. vor dem den 1. Akt beschließenden Terzett von Adalgisa gesehen werden, kommt größere Bedeutung als üblich zu, etwa, wenn eines der Kinder sichtlich vor der Mutter Angst hat. Manche Einfälle sind etwas überbordend, wenn sich beispielsweise schon während der Ouvertüre Tänzer zeigen, die wohl Elfen im Heiligen Wald verkörpern sollen. Auch die Produktionen von D-WOK illustrieren oft mehr als nötig, aber sehr gelungen ist das Bühnenbild von Giò Forma, das einen verzweigten, durch eingehauene Stufen begehbaren Baumstamm in das Zentrum der Bühne stellt. Ist dieser nicht zu sehen, verwandelt sich der eigentlich aus Metallstangen bestehende Wald je nach Stimmung und wird im Kerzenschein der Fackeln auch zum Flammenmeer des abschließenden Scheiterhaufens. Die für die Römer durchaus historisch ausgefallenen Kostüme von Mariana Fracasso schienen mir für Norma besonders geglückt, da sie zusammen mit der Haartracht die Gratwanderung der unglücklichen Hohepriesterin besonders unterstrichen.
Im Ganzen eine mitreißende Aufführung, die unter einem interessanteren Dirigat besonders erinnerungswürdig geworden wäre.
Eva Pleus 21.3.2015
P.S.: Davide Livermore wurde als neuer Intendant des Teatro de les Arts für 4+2 Jahre bestätigt. Als musikalische Leiter bestellte er Fabio Biondi für die Barockmusik und Roberto Abbado für das romantische und moderne Repertoire. Gregory Kunde wird head coach der Opernschule. Das derzeitige (magere) Budget ist bestätigt. Das macht Livermore aber keine Angst: Sein „Otello“ hat für Bühnenbild, Kostüme und Projektionen 150.000 Euro gekostet, die hier besprochen „Norma“ gerade einmal 135.000.
P.P.S.: Die Außenseite des derzeit eingerüsteten Theatergebäudes soll in den nächsten 8 Monaten auf Kosten des Architekten Calatrava und der betreffenden Baufirmen instand gesetzt werden. „Eine spanische Komödie und weiter nix“?
Bilder: Tato Baeza / Palau de les Arts