Vorstellung am 14. September 2013
Gemischte Gefühle nach der Premiere von Sweeney Todd aus der Feder von Stephen Sondheim (Buch von Hugh Wheeler): Die Wiener Volksoper beginnt damit ihren Musical-Schwerpunkt für die Saison 2013/14 und könnte daher mit dem jugendlichen Zielpublikum seine Besucherstruktur erheblich verbessern. Andererseits stellt sich doch die berechtigte Frage, ob es ausgerechnet Stücke von Sondheim sein müssen (die letzte Musicalproduktion war sein „Die spinnen, die Römer“), welche das Haus am Gürtel zu einer ernsthaften Konkurrenz für die musicalerprobten Vereinigten Bühnen Wiens werden lässt. Das Zeug zum richtigen Renner scheint nämlich Sweeney Todd – zumindest in Wien – nicht wirklich zu haben.
Unbestritten bleibt die musikalische Komplexität der Kompositionen, denen allerdings der fetzige Ohrwurm fehlt. Einen Musical-Thriller nennt das Programmheft das Werk, obwohl die Musik weitgehend durchkomponiert ist. Die Handlung ist rasch erzählt: Der Barbier Sweeney Todd kehrt nach Jahren der Verbannung ins heimatliche London zurück, um an seinem einstigen Peiniger Richter Turpin, der Todds Frau missbrauchte und vermeintlich in den Tod trieb, blutige Rache zu nehmen. Als ihm dieser entwischt, wird der Titelheld im Wahn zum Massenmörder und schneidet seinen Kunden die Kehlen durch. Seine Komplizin Mrs. Lovett stellt aus den Opfern Fleischpasteten her. Schwarzer Humor übertrifft dabei den Horrorfaktor. Dazu kommt noch die unvermeidliche Liebesgeschichte zwischen Todds Tochter Johanna und dem Seemann Anthony, der Todd das Leben gerettet hatte. Und schließlich gibt es eine Schlusspointe, die aber nicht wirklich überraschend kommt.
Trotzdem wurde das 1979 uraufgeführte Musical mit den sechs wichtigsten Tony-Awards ausgezeichnet. Nach der Volksopernpremiere wundert man sich aber darüber, wie sehr sich doch der Musikgeschmack in 34 Jahren verändern kann, ich konnte jedenfalls diese Preisflut heute nicht mehr nachvollziehen.
Handwerklich wurde an der Volksoper nichts verkehrt gemacht, Matthias Davids sorgte für eine gefällige Regie, im Mittelpunkt beim Leading-Team stand aber eher das Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau: Eine Maschine auf einer Drehbühne (ein etwas plumper Hinweis auf das industrielle Zeitalter!), die perfekt das Nebeneinander der Handlungsstränge ermöglicht und so für einen umbaufreien zügigen Ablauf sorgt. Dennoch hing das Stück manchmal gefährlich durch. In musikalischer Hinsicht sorgte am Pult Joseph R. Olefirowicz in bewährter Weise für den notwendigen Drive, das Herausarbeiten der Leitmotive, die Sondheim ähnlich Richard Wagner verwendet, gelang indes nicht so toll. Auf der Habenseite sind allerdings die schwierigen Ensemble- und Chorszenen zu verbuchen, die tadellos gelangen (hervorragend der auch solistisch geforderte Chor unter Thomas Böttcher). Dass die Sänger mit Mikroports agieren ist ja bei Musicals selbstverständlich, dass aber die technische Abteilung der Volksoper in Sachen Akustik und Sound ziemlich hinter ihren Kollegen von Raimundtheater und Ronacher hinterherhinken, darf auch nicht verschwiegen werden.
Kommen wir also zu den Darstellern und hier räumt Dagmar Hellberg als Mrs. Lovett ab: Ein Vollblutweib mit forciertem Spiel und der richtigen Stimme für dieses Genre. Das kann man von Morten Frank Larsen nicht ganz behaupten. Der am Haus unter Vertrag stehende Bariton bringt die geforderte Dämonie für den Sweeney Todd nicht mit, in sängerischer Hinsicht und bei den Dialogen bemüht sich der gebürtige Däne, aber insgesamt bleibt noch Luft nach oben. Volksoperndirektor Robert Meyer ließ es sich auch diesmal nicht nehmen aktiv mitzumischen, sein Richter Turpin kommt aber erstaunlich undifferenziert, eindrucksvoll hingegen die gesangliche Leistung des Vollblutschauspielers, der auch in den komplexesten Ensembles nicht den Faden verlor.
Für eine wirklich positive Überraschung sorgte Alexander Pinderaks Anthony, wunderbar kam diesmal seine Tenorstimme mit Schmelz zur Geltung, schade, dass seine „Nummern“ so kurz waren. An seiner Seite Anita Götz als Johanna, liebenswert, quirlig, die Beurteilung der Stimme muss angesichts der gerade bei ihr unzureichenden Ton-Akustik unterbleiben. Tom Schimon steigerte sich als Toby nach verhaltenem Beginn bis zum berührenden Schlussbild, während die an der Volksoper debütierende Patricia Nessy bereits mit ihrem ersten Auftritt als Bettlerin das Publikum fesselte – und das bis zum bitteren Ende. In den Nebenrollen sah man Routiniertes (etwa Kurt Schreibmayer als Büttel Bamford) und Skuriles (die Rolle des Quacksalbers Pirelli schien Vincent Schirrmacher auf den Leib geschrieben).
In Anwesenheit des Komponisten gab es für das gesamte Team den übliche Premieren-Schrei-Jubel, der mit sieben Minuten aber erstaunlich kurz ausfiel, dann noch ein musikalisches Encore des Orchesters, im Ohr blieb auch davon nichts!
Ernst Kopica
Fotocopyright: Barbara Palffy/Wiener Volksoper