Premiere am 17.04.2015
Na geht doch!
Lieber Opernfreund-Freund,
nach der öden „Tosca“ im Herbst wollte ich eigentlich nicht mehr so bald an die Wupper gefahren sein, zumal die Anfahrt aus Köln gerade an einem Freitag zum Feierabend alles andere als Spaß macht. Gestern allerdings konnte die Premiere von Richard Strauss‘ „Salome“ am Wuppertaler Opernhaus für diese Mühe durchaus entschädigen, wurde doch ein spannender Opernabend mit mehr als überzeugender musikalischer Leistung gezeigt.
Michiel Dijkemas als durchaus als konventionell zu bezeichnende szenische Umsetzung verzichtet auf allzu große Experimente und tut gut daran, haben doch der Text von Strauss nach Oscar Wildes Vorlage und seine Musik auch nach mehr als 100 Jahren genug Kraft und Energie, dass es nicht wirklich einer Aktualisierung bedarf.
Die Bühne – ein Werk des Regisseurs ergänzt durch stimmungsvolles Licht von Nikolaus Vögele – zeigt ein Szenario mitten im Nirgendwo, die Zisterne, in der Jochanaan gefangen gehalten wird, spiegelt optisch den in der Oper immer wieder besungenen Mond. Die detail- und einfallsreichen Kostüme von Tatjana Ivschina wirken vor der kargen Szene um so mehr, zeigen einen bunten Mischmasch verschiedener Epochen: Pagen und Juden sind extrem traditionell gewandet, die Nazarener stecken in Anzügen der Jetztzeit, die Partygesellschaft von Herodes, der selbst an einen Hunnenkönig im Fellmantel erinnert, zeigt afrikanisch Anmutendes und glitzernde Phantasiekostüme, Herodias sieht nach Grande Dame der 1950er Jahre aus. Jochanaan trägt Lumpen, die Soldaten scheinen beinahe einem Comic entsprungen und Salome zeigt sich im rüschenbeschleppten Kleid, nach ihrem Tanz lediglich im seidenen Hemdchen. Die Personenregie abseits des Hauptgeschehens wirkt über weite Strecken ähnlich beliebig, eine rechte Bildspannung mag nicht aufkommen. Jedoch gelingt Dijkema durch die Konzentration auf Salome und deren Gefühlswelt eine überzeugende Umsetzung; zwar zündet nicht jeder Regieeinfall, die Abwehr eine Schlange, die aus der Zisterne kriecht, hat sogar Gelächter zur Folge, jedoch gewinnt die Produktion vor allem in der zweiten Hälfte an Intensität, bildgewaltige Effekte in der letzten Szene hallen lange nach. Der in jeder Inszenierung mit Spannung erwartete Tanz der sieben Schleier wird von der Sängerin selbst dargeboten. Sie verfügt über eine beinahe tänzerinnenhaft zierliche Figur und meistert die durchaus anspruchsvolle Choreographie von Matthew Tusa bravourös.
Und wie wird musiziert? Hier fangen wir aufgrund der besonderen Situation einmal „hinten“ an: Wuppertal sucht einen neuen GMD, dem Vernehmen nach sind noch 22 Kandidaten im Rennen. Bei der Salome-Produktion nun wird jede Vorstellung von einem anderen Kandidaten musikalisch geleitet, so dass sich auf diesem Wege schon einmal sechs Kandidaten präsentieren können. Der Finne Ari Rasilainen hat neben dem Dirigat am Premierenabend auch die musikalische Einstudierung übernommen. Mir startet er den Abend ein wenig zu zaghaft. Die musikalische Untermalung des Fluchs von Jochanaan klingt fast weichgespült, erinnert stellenweise an die romantischen Bögen, die meinetwegen Dukas‘ „Zauberlehrling“ kennzeichnen, und lässt die musikalische Gewalt in diesen Passagen nicht wirklich erklingen. Der Schleiertanz dagegen gelingt vorzüglich, danach traut er sich auch an die Schroffheit der Partitur und kommt zum Ende durchaus klanggewaltig und überzeugend daher.
Mit Cristina Baggio in der Titelrolle hat er auf der Bühne da auch eine Partnerin, mit der er vortrefflich spielen kann. Auch sie kämpft zu Beginn ein wenig – und zwar mit ihrer Mittellage, singt sich jedoch bald frei, glänzt in der Höhe und bedient bedrohlich das Brustregister, wenn es angezeigt scheint. Sie spielt wunderbar, überzeugt darstellerisch wie stimmlich als zickige Prinzessin wie als nach Liebe Suchende, die wahnhafte Kußszene mit Jochanaans Kopf erzeugt wirklichen Schauder. Eine tolle Salome! Ihr Mutter Herodias wird in der Inszenierung glücklicherweise einmal nicht als totale Alkoholikerin dargestellt, sondern als vom Leben frustrierte und von ihrem Mann und sogar ihrer Tochter gedemütigte Frau. Die Kroatin Dubrovka Mušović verleiht ihrer Figur viele Facetten, singt und agiert mit großer Leidenschaft. Michael Hendrick gibt den lüsternen Herodes herrlich schmierig. Emilio Pons als Narraboth verfügt über eine strahlende Höhe, bleibt aber im Vergleich zum Rest des Ensembles stimmlich eher blass. Auch von Thomas Gazheli in der Rolle des Propheten habe ich mir ein wenig mehr versprochen. Zwar verfügt er über eine kraftvolle Stimme und gibt optisch einen furchteinflößenden Jochanaan ab, kommt bei mir aber bisweilen fast ein wenig geknödelt an und singt recht undifferenziert. (Vielleicht war es auch deshalb notwendig, seinen Gesang aus der Zisterne heraus zu verstärken – aber hätte man dafür nicht ein weniger scheppernd und hallend klingendes Lautsprechermodell nehmen können?) Bemerkenswert auch, dass man bei ihm als einzigem native speaker unter den Hauptrollen – er ist in Karlsruhe geboren – die Übertitel mitunter wirklich braucht, um zu verstehen, was er singt.
Lucie Ceralovás Page ist beeindruckend intensiv, Falko Hönisch und Peter Paul sind solide Soldaten, letzterer komplettiert auch neben Noriyuki Sawabu, Johannes Grau, Markus Murke und Kalle Kanttila das glänzend aufeinander eingespielte Quintett der Juden. Ferdinand Junghänel überzeugt als Nazarener, Laura Demjan und Jan Szurgot ergänzen gut in den kleinen Rollen. Über das aber, was Greg Ryerson als 1. Nazarener da abgeliefert hat, möchte ich lieber nichts sagen.
Das Wuppertaler Publikum im gut besuchten Opernhaus ist nach 100 Minuten hörbar und sichtlich froh, dass es etwas Spannendes und Überzeugendes hat hören und sehen dürfen und goutiert reichlich und anhaltend. Ich selbst fand die standing ovations dann aber doch ein wenig too much – und ehe ich nun klinge wie Jil Sander in ihrer berühmten Denglish-Rede, empfehle ich Ihnen schnell noch einmal diese Produktion und verabschiede mich.
Ihr Jochen Rüth 18.04.2015
Produktionsbilder: Uwe Stratmann