Premiere: 16. September 2017
„Sinnlose Plage, Müh ohne Zweck…“
Kaum zu glauben, aber in den 80er Jahren konnten die Wuppertaler Bühnen sogar einen eigenen „Ring des Nibelungen“ herausbringen, der von 1986 bis 1989 regelmäßig auf dem Spielplan stand. Solche Zeiten sind lange vorbei und immer wieder ist die Existenz der Bühne oder einzelner Sparten durch das Handeln der lokalen Politiker oder sogar des eigenen Intendanten bedroht. Immerhin versucht Opernintendant Berthold Schneider an den Wagner-Glanz früherer Tage anzuknüpfen, wenn er Wagners „Götterdämmerung“ auf den Spielplan setzt. Was aber schon bei der Ankündigung verwunderte: Es wird nur der 3. Akt gespielt und dann auch noch mit Ausschnitten aus Heiner Goebbels Orchesterzyklus „Surrogate Cities“ verknüpft.
Bei solch einem Projekt erwartet man, dass sich die beiden kombinierten Werke gegenseitig befruchteten, dass man als Zuschauer zu einem tieferen Verständnis gelangt. Davon kann hier aber nicht die Rede sein. Das Sinfonieorchester Wuppertal spielt unter dem Dirigat von Johannes Pell die griffige Goebbels-Partitur mit großer Energie und Klarheit. Jedoch benötigt das Stück eine passende visuelle Umsetzung, wie man bei der Ruhrtriennale 2014 im Duisburger Landschaftspark Nord erleben konnte, als das Stück als großes Tanzspektakel für und mit Bürgern des Ruhrgebiets gespielt wurde.
Regisseur Jay Scheib findet aber, sofern keine Texte gesungen oder gesprochen werden, keine adäquate Umsetzung. In der Orchesterlandschaft, die Katrin Wittig entworfen hat, gibt es nur eine relative schmale Spielfläche. Dort werden die Akteure live gefilmt und sind dann im Zoom auf zwei Leinwänden zu sehen. Die erste große Szene besteht darin, dass sich Baritonistin Lucia Lucas, die auch den Hagen spielt, aus der Motorradkluft pellt, unter die Dusche stellt und immer weiter entkleidet, abtrocknet und dann wieder anzieht. Inhaltlich ist diese Szene ebenso beliebig wie bedeutungslos und steht in keinerlei Beziehung zur Musik. Später wird auch Jenna Siladie, welche die Gutrune spielt, beim Liegen, Stehen und Umherlaufen gefilmt.
Die „Götterdämmerung“ wird dann als Junggesellenabschied gezeigt, der in einem Familien–Massaker endet. Siegfried ist ein Playboy, die Rheintöchter wirken wie Callgirls im Glamourfummel, die Mannen machen sich mit bloßen Händen über die Hochzeitstorte her. Das kann man so inszenieren, muss man aber nicht. Weil der gesamte Ring-Kontext fehlt, verliert die Szene zudem an Bedeutung und man fragt sich, ob die Figuren vorher nicht auch ganz andere Geschichten erlebt haben können, als das bei Wagner der Fall ist.
Musiziert wird in Wuppertal übrigens respektabel bis sehr gut. Das Sinfonie-Orchester Wuppertal pflegt einen lyrisch-leichten Stil in der Rheintöchter-Szene und auch Siegfrieds Erzählung kommt ganz geschmeidig daher. Im Trauermarsch, nach dem Pause gemacht wird, kann das Orchester mit großer Klangpracht aufspielen und Brünnhildes Schlussgesang und das Orchesterfinale sind, trotz des szenischen Debakels, mitreißend gespielt.
Tenor Ronald Samm, der aus Trinidad stammt, singt mit seiner hellen und klaren Stimme einen sehr gut artikulierten Siegfried. Selbst die exponierten Passagen gestaltet er überzeugend. Ihn und Sopranistin Annemarie Kremer, welche die Brünnhilde singt, kann man sich sehr gut auch in einem kompletten Ring-Zyklus vorstellen. Annemarie Kremer ist eine sportive Brünnhilde, die über eine kraftvolle Stimme verfügt, die nie forcieren muss. Mit den sie begleitenden Orchestermassen hat sie keinerlei Probleme.
Baritonistin Lucia Lucas singt zwar einen schneidig-verschlagenen Hagen. Die für die Partie notwendige Tiefe fehlt ihr aber. Ein zuverlässiges Gibichungen-Paar sind Jenna Siladie und Sebastian Campione, die in diesem Akt jedoch zu wenig Möglichkeit haben, sich optimal zu präsentieren. Wenn man schon solch eine Besetzung zur Verfügung hat, hätte man auch gleich die ganze „Götterdämmerung“ spielen können, oder den „Siegfried“ für den ja noch weniger Personal benötigt wird.
Nach dem Schlussakkord der „Götterdämmerung“ schiebt Scheib gleich noch „Three Horatian Songs“ von Goebbels nach. Das ist eine starke Musik, die von Elisabeth King großartig interpretiert wird, jedoch benötigt Wagner keinen Epilog und der Zuschauer wird komplett aus der Stimmung gerissen, die Wagners Musik erzeugt.
Insgesamt muss man sich fragen, welches Publikum Intendant Scheider mit dieser Produktion, die gerade vier Mal gespielt wird, ansprechen will? Eigentlich ist dieser Abend nur für Wagner-Fans geeignet, die aber gleichzeitig auch davon begeistert sein sollten, wenn das Werk des Meisters durch den szenischen Fleischwolf gedreht wird. Die Zielgruppe dürfte also verschwindend gering sein. Wer in NRW die ganze „Götterdämmerung“ sehen will, muss sich auch nur noch ein Jahr gedulden, denn im Oktober 2018 vollenden sowohl die Deutsche Oper am Rhein und der Richard-Wagner-Verband Minden ihre „Ring“-Zyklen.
Rudolf Hermes 19.9.2017
Bilder (c) Wuppertaler Oper