Schwarzenberg: Schubertiade August 2021 – Teil 2

Dem in der Festspielzeit stark beschäftigten Bariton Andrè Schuen (Guglielmo in Salzburg, „Nozze“-Figaro in Aix-en-Provence) wurden in diesem Jahr bei der Schubertiade gemeinsam mit seinem ständigen Begleiter am Klavier Daniel Heide alle drei großen Lied-Zyklen von Franz Schubert anvertraut. Nach der „Müllerin“ war am Abend des 25.8. die „Winterreise“ an der Reihe; der „Zyklus schauerlicher Lieder“ (Schubert) mit seiner depressiven, oft verzweifelten Grundstimmung erfuhr eine tief bewegende Wiedergabe – eine Sternstunde der diesjährigen Schubertiade. Eine derart tiefgehende Interpretation der meist düsteren, nachdenklich machenden Lieder erlebt man wirklich nur selten. Der Südtiroler Sänger verfügt über einen in der Grundierung samtigen Bariton, dem er viele unterschiedliche Farben entlocken kann, von sanfter Lyrik bis zu dramatischem Aufbegehren. Das alles geschah mit geradezu perfekter, abgerundeter Stimmführung durch alle Lagen und einer exzellenten Textverständlichkeit, eigentlich ein „Muss“ im Liedgesang. Dazu kam die durchgehend gut nachvollziehbare Gestaltung der einzelnen Lieder, die mit dem Pianisten offenbar gründlich vorbereitet worden war, was sich besonders bei den höchst differenziert ausgedeuteten Strophenliedern bewährte. Weiter fiel positiv auf, wie Kontraste in und auch zwischen den Liedern herausgearbeitet wurden, so die lyrischen und dramatischen Gegensätze in „Letzte Hoffnung“ oder zwischen dem „stürmischen Morgen“ und der „Täuschung“. Geradezu erschütternd gerieten am Schluss die zum Tod weisenden Lieder „Der Wegweiser“ und „Das Wirtshaus“; da half auch das trotzige Aufbegehren in „Mut“ nichts, bevor die Künstler das Bild vom „Leiermann“ zeichneten. Nach einer Weile stillen Innehaltens brauste stürmischer, lang anhaltender Beifall des zu Recht enthusiasmierten Publikums auf.

Am Nachmittag des 28.8. erklang der Zyklus „Schwanengesang“, eine Reihe von sieben Liedern nach Gedichten von Ludwig Rellstab und sechs nach Heine-Gedichten, die Schubert im Herbst 1828 komponiert hat, um sie als Zyklus zu veröffentlichen. Nach Schuberts Tod am 19. November 1828 hat der Verleger Haslinger diesen Plan verwirklicht, indem er die Lieder um ein vierzehntes ergänzte („Die Taubenpost“ nach einem Gedicht von J.G.Seidl) und sie unter dem Titel „Schwanengesang“ herausgab. Andrè Schuen und der wie immer solide Pianist Daniel Heide präsentierten die dreizehn Lieder wie einen „richtigen“ Zyklus ohne Pause, so dass auch inhaltlich sehr unterschiedliche Lieder unmittelbar aufeinander folgten. Erneut zeigten sich die Vorzüge des Sängers, von guter Diktion trotz manch flotter Tempi („Frühlingssehnsucht“ oder „Abschied“) bis zu bruchlosen Registerwechseln, wenn es aus tiefer Bassgrundierung in Kopfstimmenhöhen ging. Im bekannten „Ständchen“ hörte man vollendetes Legato-Singen und in Liedern mit auffallend langsamen Tempi („In der Ferne“ oder „Der Doppelgänger) bewunderte man den wahrlich „langen Atem“. Auch die kontrastreiche Ausdeutung der unterschiedlichen Lieder gefiel ausnahmslos. Als Beispiel sei das Heine-Gedicht „Am Meer“ genannt; die eigentlich kitschige Szene, wenn der Liebende die „Tränen von deiner Hand fortgetrunken“ hat, wurde vom Sänger mit seinem warmen Bariton geradezu veredelt. Nach 55 Minuten

war das offizielle Programm beendet und das Publikum hellauf begeistert; dafür bedankten sich die Künstler mit der zum „Schwanengesang“ gehörenden „Taubenpost“, dem „Musensohn“ und mit dem wunderbar gesungenen „Du bist die Ruh“. (GE)

Der Liederabend von Sophie Rennert und ihrem Liedbegleiter Joseph Middleton, der in Schwarzenberg sein Debüt gab, war ein weiterer Höhepunkt der Schubertiade (26.8.). Der erste Teil war ganz Franz Schubert gewidmet, wobei die beiden Künstler nicht nur auf Bekanntes wie „An die Laute“, „Gretchen am Spinnrad“ oder „Der Tod und das Mädchen“ setzten, sondern auch Besonderes ausgruben, was man außer bei den Schubertiaden kaum zu hören bekommt, wie z.B. „Versunken“, „Die Spinnerin“, „Kolmas Klage“ oder „Lied des Orpheus, als er in die Hölle ging“. In ihren Interpretationen überzeugte die junge Mezzosopranistin mit ausgefeilter Technik, gleichmäßiger Stimmführung durch alle Lagen, bester piano-Kultur und mezza voce. Direkt nach dem weichen Einstieg mit der „leisen Laute“ bewies sie im „Orpheus-Lied“, dass sie auch über genügend Attacke für Steigerungen verfügt. Gestalterisch variantenreich gelang ihr das Strophenlied „Die Spinnerin“; „Kolmas Klage“ bot sie gut nachempfunden, mit dichtem Legato und messa di voce im lyrischen Teil, sowie farbenreich „Gretchen im Zwinger“. Der in fahlem, geradem Ton gehaltene „Schwesterngruß“ geriet sehr eindringlich. Joseph Middleton war ihr ein mehr als kompetenter, unaufdringlicher Begleiter, dessen auf jede Nuance der Sängerin eingehendes Spiel begeisterte.

Im zweiten Teil stand Gustav Mahler auf dem Programm: Da gab es zunächst den frisch-fröhlichen „Frühlingsmorgen“, dem die von Rennert intensiv ausgelotete „Erinnerung“ folgte. Das „Lied des Verfolgten im Turm“ gestaltete die Sängerin mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, von fast Sprechgesang des Gefangenen bis zu lyrisch-malerischen Beschreibungen des Mädchens. Als Balsam für die Stimme folgte die einfühlsame Wiedergabe von „Nicht wiedersehen!“. Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert bildeten den Abschluss des anspruchsvollen Programms: Mit viel Ruhe und Ausstrahlung kam „Ich atmet‘ einen linden Duft“ daher, das reizende „Blicke mir nicht in die Lieder!“ huschte vorüber, und „Liebst du um Schönheit“ erklang dynamisch gut gesteigert. Sehr eindringlich gelangen den beiden Interpreten „Um Mitternacht“ und vor allem „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ mit dichter Atmosphäre und unendlicher Ruhe; zu letzterem trug mit entscheidend das hinführende Vorspiel Joseph Middletons bei, der bei seinem Debüt deutlich machte, wie wichtig ein guter Pianist für das gemeinsame Musizieren mit Stimmen ist!

Nach längerer Pause brach sich der Jubel der Zuhörer Bahn und forderte damit eine Zugabe, das „Urlicht“ aus Mahlers 2. Sinfonie, heraus, die zu Recht ebenso frenetisch beklatscht wurde. (ME)

Am 27.8. abends beeindruckten erneut Violeta Urmana und Helmut Deutsch mit Liedern von Franz Schubert und Gustav Mahler. Im ersten Teil hörte man eine Reihe eher unbekannter Schubert-Lieder, die sich vor allem durch lyrisch dahinfließenden Charakter kennzeichnen lassen, wie z.B. die nachdenklichen „Herbst“, „Schwanengesang“ oder „Der Winterabend“. Hier war wieder zu bewundern, wie sehr die Sängerin, die in letzter Zeit wieder ins Mezzo-Fach zurückgekehrt ist, ihre nach wie vor im dramatischen Opernrepertoire stark geforderte Stimme völlig schlackenfrei und ruhig durch alle Lagen zu führen wusste. Dabei fiel auch bei den bekannteren Liedern wie „Im Freien“ oder „Auf der Bruck“ positiv auf, dass sie aber auch nicht einen der kleineren Notenwerte vernachlässigte und außerdem dabei stets textverständlich und intonationsrein blieb. Im zweiten Teil des Abends wirkte die Urmana deutlich gelöster als bei den Schubert-Liedern; bei den teilweise dramatischeren, ja opernhaften Liedern von Gustav Mahler war sie in ihrem Element. So waren die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ mit wunderbar ausgesungenen Aufschwüngen und dramatisch zugespitzten Passagen eine Glanzleistung, wozu der Doyen der Liedbegleiter Helmut Deutsch in partnerschaftlicher Weise wesentlich beitrug. Wie schon 2019 folgten vier Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“, in denen die Sängerin auch ihr darstellerisches Talent durch ausdrucksstarke Mimik zur Geltung brachte. Die witzig servierte „Fischpredigt des Antonius von Padua“ und der urkomische „Trost im Unglück“ machten einfach Spaß. Eindringlich gestalteten schließlich die beiden Künstler in schönem Zusammenwirken das letztlich todtraurige „Wo die schönen Trompeten blasen“ und das intensive „Scheiden und Meiden“. Für den starken Beifall bedankten sie sich mit drei Zugaben, zwei Schubert-Liedern und „Wie sollten wir geheim sie halten“ von Richard Strauss. (GE)

In diesem Jahr hatte man Brigitte Fassbaender für einen Meisterkurs in der herrlichen Umgebung von Schwarzenberg gewinnen können. Bereits vor dem ersten Konzert der Schubertiade am 21.8. fand mit ihr ein öffentliches Interview für den Österreichischen Rundfunk statt, in dem sie von ihrem Leben, ihren Plänen und über ihre Meisterkurse sprach, wobei sie die Schubertiade als letzte Oase für Liedgesang bezeichnete . Für sie sei das Ziel der Kurse, die Teilnehmer dahin zu führen, sich ihrer technischen und emotionalen Mittel für Lied-Interpretationen sicherer zu werden; technische Disziplin trotz interpretatorischer Freiheit und Sensibilität für Übergänge beim Singen der Texte war das große Credo.

Vom 23. bis 27.8. ging die inzwischen 82-Jährige ohne jegliche Ermüdungserscheinung (!) jeden Morgen für drei Stunden an die intensive Arbeit mit sechs jungen Sängerinnen und Sängern, die jeweils von eigenen schon versierten Begleiterinnen und Begleitern am Flügel unterstützt wurden. Das künstlerische Niveau der Probanden war recht unterschiedlich, so dass Brigitte Fassbaender bei einigen nur noch interpretatorische Hilfen und Anregungen geben musste, bei anderen jedoch auch noch differenziert auf Atemtechnik, Artikulation oder Arbeit des Zwerchfells einging, um zu zeigen, wie man Töne freier und ohne Druck entwickeln kann. Zu klarerer Artikulation von engen Konsonantenverbindungen wie z.B. „tr“ oder „spr“ scheute sie sich nicht, den Trick zu empfehlen, – wie anno dazumal – Texte mit Korken im Mund zu üben. Wichtig war immer wieder, dass die Vokale alle an derselben Position gesungen werden. Mehrmals wies sie bei anderen zur Gestaltung freundlich darauf hin: Habe den Mut, aus dem Tempo auszusteigen oder da steht kein Bogen drüber, das muss nicht auf einem Atem gesungen werden, das ist falscher Ehrgeiz. All dies geschah in einer freundlich gelösten Atmosphäre, bei der man spürte, dass die jungen Leute mit Begeisterung bei der Sache waren. Einige Teilnehmer konnten die Anregungen sofort umsetzen, andere brauchten entsprechend etwas mehr Übung, aber dafür war bei allen am letzten Tag eine deutliche Entwicklung ihrer Darstellung und Interpretationsansätze festzustellen. Leider gab es wieder kein Abschlusskonzert der Meisterklasse, was allseits bedauert wurde. (ME)

Das Kammerkonzert zum Abschluss der diesjährigen August-Schubertiade in Schwarzenberg am Vormittag des 29.8. begann mit dem Jerusalem Quartet (Alexander Pavlovsky, Sergei Bresler, Ori Kam, Kyril Zlotnikov), das zunächst Mozarts spätes Streichquartett D-Dur KV 575 präsentierte. Die seit 1996 zusammen musizierenden israelischen Künstler präsentierten das 1. der drei „Preußischen“ Quartette mit ihrer für sie typischen akzentreichen Spielweise. Dabei trafen sie ideal den klassischen Duktus des schönen Quartetts, indem sie durchgehend für Transparenz sorgten. Die für den preußischen König Friedrich Wilhelm II. gedachten Cello-Soli im Trio des Menuetto und im abschließenden Allegretto fügten sich wunderbar in den Gesamtklang ein.

Das 2007 gegründete Novus String Quartet (Jaeyoung Kim, Dayoon You anstelle des wegen Corona verhinderten Young-uk Kim, Kyuhyun Kim und seit 2020 neu Wonhae Lee) aus Südkorea, das auf gutem Weg in die erste Reihe der Quartette ist, spielte Schuberts frühes Streichquartett g-Moll D 173 mit passendem jugendlichem Schwung. Das einleitende Allegro con brio kam geradezu leidenschaftlich daher, während das besinnliche Andantino deutlich mit dem energischen Menuetto kontrastierte; rasant beschloss das Allegro das kammermusikalisch wertvolle Werk.

J. Kim, D. You, S. Bresler, A. Pavlovsky, K. Kim, O. Kam, W. Lee, K. Zlotnikov

Nach der Pause spielten beide Quartette das Streichoktett Es-Dur op.20 des 16-jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy, das mit seinen frühen Streicher-Sinfonien zahlreiche Ähnlichkeiten aufweist. Mit seinen romantisierenden Elementen geht das Oktett weit über die klassische Komponierweise hinaus und verlangt eine hohe streicherische Kompetenz, die die Künstler aus Israel und Südkorea überzeugend unter Beweis stellten. Unter Führung des jungen Primgeigers des Novus String Quartet, der durch sichere Ausführung der vielen virtuosen Passagen imponierte, gelang eine begeisternde Interpretation des vielschichtigen Werks. Im 1. Satz, dem Allegro moderato con fuoco, verfielen die Streicher trotz des sinfonischen Charakters der Komposition niemals in zu starkes Spielen der typisch orchestralen Begleitfiguren und des durchgehenden Tremolos, was den beiden führenden Geigen doch akustische Probleme bereitet hätte. Im Andante gefiel der schön gewebte Streicherklang-Teppich, der der solistischen 1. Violine bereitet wurde. Die streicherischen Finessen wie Springbögen, Pizzikati und Triller-Verzierungen im dahin huschenden Scherzo, einer Vorwegnahme der Elfenklänge aus dem „Sommernachtstraum“, leiteten über in das Schluss-Presto mit seiner Fülle von Themen und einem Fugato wie einem Perpetuum mobile; hier gelang mit irrwitzigem Tempo ein hinreißender Abschluss des Oktetts und damit der diesjährigen Schubertiade Schwarzenberg. (GE)

Fotos: © Schubertiade

Marion und Gerhard Eckels 30.8.2021

Weitere Schubertiaden: 30.9.-5.10.2021, 28.4.-4.5. + 1.-9.10.2022 in Hohenems und 18.-26.6. + 20.-28.8.2022 in Schwarzenberg