Trier: „Der Wildschütz“

Mit gebremstem Witz: Deutscher Landadel in den fünfziger Jahren

Komische Oper, deutsche Spieloper oder Biedermeier-Oper – wie immer man diese auf dem Musikfundus der Romantik beruhende deutsche Operngattung benennt: sehr häufig sind diese Werke auf den Spielplänen der deutschen Musiktheater nicht mehr anzutreffen; eine der wenigen Ausnahmen ist Lortzings Wildschütz, der es regelmäßig noch auf eine Handvoll Neuproduktionen in einer Spielzeit schafft. Das liegt sicher auch an dem vergnüglichen Zeigefinger mit welchem Lortzing auf das Gebaren eines Auslaufmodells der Gesellschaft des 19. Jhdts. zeigt: der ebenso präpotente wie dümmliche Duodez-Adel mit seinen Operettenstaaten. Das ist noch nicht so lange her, dass das Publikum es nicht mehr im Gedächtnis des Geschichtsunterrichts gegenwärtig hätte und bietet den Regisseuren die Möglichkeit zu Produktionen, die über das Leichte, Operettenhafte des Stoffs hinausgehen.

Lortzing hat sich das Libretto zu seiner Oper selbst geschrieben; es basiert auf von Kotzebues Lustspiel „Der Rehbock oder die schuldlosen Schuldbewussten“. (Dass von Kotzebues Ermordung 1819 in Mannheim mitursächlich für Karlsbader Beschlüsse und Polizeistaat war, als deren Folge sich die komplaisant-resignative Biedermeier-Kultur entwickeln würde, stellt eine Ironie im kulturhistorischen Zusammenhangs dar.) Lortzing hat sich in seinem Schaffen immer wieder an Theaterpolizei und Zensur gerieben. Die Grafenverarschung im Wildschütz (sie stellt ebenso wie die fast verwirrenden Travestien einen unmittelbaren Zusammenhang zu Mozarts Nozze di Figaro her) hat Lortzing (während Mozart durch seine Arbeit in Bierverschiss geriet) nicht weiter geschadet; wohl aber seine 1848 entstandene Revolutionsoper „Regina“, aufgrund derer er seine komfortable Festanstellung verlor und am Ende seines Lebens an dessen beruflichen Ausgangspunkt als Wanderschauspiele zurückgeworfen wurde. Zu seiner Beerdigung 1851in Berlin in einem von einem in Schwarz-Rot-Gold ausgekleideten Sarg gab sich auch Giacomo Meyerbeer die Ehre.

Ankunft der Baronin Freimann auf dem Lande: Joana Caspar (Baronin); Silvie Offenbeck (Nanette)

Der Hintergrund von Werk und Komponist eröffnet etliche interessante Inszenierungsaspekte für den Wildschütz, natürlich auch die Verlegung in spätere Zeiten. Der Regisseur der Trierer Produktion, Matthias Kaiser, verlegt sie (nicht sehr zielgenau) in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts, die er als „ästhetischen Ausgangspunkt“ seiner Arbeit nimmt und als das „Biedermeier des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Die Umsetzung gelingt ziemlich reibungslos, abgesehen davon, dass seit 1919 Grafen und Barone zwar noch im Namen existieren, aber ansonsten (außerhalb der Regenbogenpresse) funktionslos geworden sind. Und genau hier liegt der Schwachpunkt des Regiekonzepts, weil so Lortzings veräppelnde Gesellschaftskritik nicht greifen kann. Da wäre anstelle des Grafen ein Neureich, ein Playboy oder – angesichts der gelungenen Kostüme von Carola Vollath – ein bayerischer Landrat zielführender gewesen und hätte sich konzeptlich noch besser in die Nachkriegszeit geschmiegt.

Freundlich blick‘ ich auf diesen und jenen: Svetislav Stojanovic (Baron Kronthal(; Amadeu Tasca (Graf von Eberbach); Chor

Den Texten nach zu urteilen kam es Matthias Kaiser aber gar nicht auf hintergründigen Tiefgang an. Die gesprochenen Dialoge hat er neu gefasst und kürzer gestaltet. Leider bleiben sie vom Niveau von Fernsehkabarett ebensoweit entfernt wie von einer fetzig temperamentvollen Umsetzung auf der Bühne. „Studienrat Baculus“ mit Pensionsberechtigung – in seiner Aufmachung entfernt an Heinz Ehrhardt erinnernd – kommt da noch am besten zu Recht. Die dauernden schlüpfrigen Zweideutigkeiten sind nicht wirklich witzig und passen besser in eine Boulevardkomödie mit dazu ausgebildeten Schauspielern als in eine komische Oper. Sie reichen vom gelungenen Kalauer über Gähner bis zum feist aufgetragenen „man muss nicht immer Austern schlürfen, es dürfen auch mal Pflaumen sein“ oder zur Umsetzung des nächtlichen Billard-Spiels um Gretchen/Baronin als Übung zum „Einlochen“ (mit Golfbällen). Der „Sprech“ des Skripts ist nicht der der fünfziger Jahre, sondern viel moderner. Als die Frage aufkam, ob auf die notorischen 5000 Taler 19% Mehrwertsteuer zu erheben seien, kam bei Ihrem Kritiker Nostalgie auf: Als diese Steuer 1968 eingeführt wurde, betrug sie nur 10%… Kein Wunder, dass kein Geld mehr für Theater vorhanden ist!

Das richtige und das falsche Gretchen: Evelyn Czesla (Gretchen); Alexander Trauth (Baculus); Joana Caspar (Baronin Freimann)

Optisch ist das Ganze schon wesentlich besser aufbereitet als inhaltlich. Detlev Beaujean hat vor allem für den Mittelakt ein recht opulentes zweiteiliges Bühnenbild erstellt. Auf der kleinen Drehbühne zeigt es für den ersten Akt eine kalottenartige Erhebung vor einem Rosenhaag. Die Kalottenhänge werden zur wenig lustigen Rutschbahn bei der Verlobungsfeier und Volksfest. Hier treffen die Baronin und ihre Zofe als Studenten verkleidet in Lederkluft auf einem Motorrad mit Beiwagen ein. Hierher kommt auch der Graf von der Jagd zurück; seine Jagdgenossen in kurzen Lederhosen ziehen Wackeldackel hinter sich her. Durch eine 180°-Drehung der Bühne gelangt man in den zweiten Akt und in den Salon des Grafen/der Gräfin mit antiken Statuen (Michelangelos David in mehreren Papp-Kopien und einem Fotoausschnitt seines Unterleibs als zentralem Wandbild) auf der rechten, der Gräfin-Seite und einer Bildergalerie von angsterregenden Hunden, darunter die abgestellten Wackeldackel der Jagdgesellschaft auf der linken, der Grafenseite. Eine der zentralen Stellen der Oper, das Billard-Duell wird von der Regie leider vergeben. Gesamthaft gut gelungen ist indes die Personenregie. Da herrscht immer Bewegung, und auch die Chorregie ist abwechslungsreich: keine langweiliges Auf- und Ablatschen, sondern gekonntes, bewegliches Spiel. — Für Ihren Rezensenten ist unter etlichen Arbeiten Kaisers (darunter sein fulminanter Peter Grimes in Trier!) die vorliegende Wildschütz-Inszenierung die einzige eines komödiantischen Werks, aber auch die schwächste. Der Funke will trotz origineller Bebilderung nicht überspringen.

Die Gräfin rezitiert: Silvia Lefringhausen; Chor (Das mittige Wandbild ist nach der Premiere durch einen weniger vergrößerten Ausschnitt ersetzt worden.

Musikalisch bot das Theater Trier wesentlich bessere Qualität. Auch wenn durch die Partitur ein Hauch von Mozart, Weber und Mendelssohn weht, war es dennoch überwiegend unverkennbarer origineller Lortzing, den das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter der Leitung seines Ersten Kapellmeisters und stellvertretenden GMD Joongbae Jee musizierte. Bis auf ein paar im Repertoire-Betrieb (und bei z.T. straffen Tempi) verzeihlichem Unschärfen spielte das Orchester gekonnt auf, es entstand richtiger heiterer Lortzing, süffige, inspirierte Musik, ebenso inspiriert dargeboten. Auch der Chor und Extrachor überzeugten, wobei Bühnenpräsenz, Bewegung und Wärme vor Präzision gingen (Einstudierung: Angela Händel).

László Lukács (Pankratius); Chor

Grundsolide und homogen in der Qualität auch das Sängerensemble. Alexander Trauth gab trotz Maske einen sehr jugendlich wirkenden Baculus mit lebendigem Spiel und recht hellem, kräftigem bestens verständlichem Bassbariton. „Sein“ Gretchen war Evelyn Czesla mit reifem, klarem, abgedunkeltem Sopran. Amadeu Tasca sang den Grafen Eberbach: sein kultivierter, gut verständlicher und kräftiger Bariton weitaus nobler als der Charakter des Letzteren. Mit Svetislav Stojanovic war der Baron Kronthal besetzt: diese Partie lag seiner schlanken, mit schönem tenoralen Schmelz versehenen mittel timbrierten Stimme offensichtlich gut in der Kehle. Als Baronin Freimann (Schwester des Grafen, inkognito, als Student, dann wieder als Gretchen verkleidet) überzeugte Joana Caspar mit quirligem Spiel und gut artikulierendem hellem Sopran und einem leichten, anregend wirkenden Vibrato; als Nanette, ihre Zofe wirkte die zierliche Mezzosopranistin Silvie Offenbeck; die Chorsolistin Silvia Lefringhausen rundete als Gräfin mit abgrundtiefem, stimmschönem, aber schlecht verständlichem Alt das weibliche Tableau ab. László Lukács gefiel in den beiden Sprecheinlagen mit seinem charmanten ungarischen Akzent ebenso wie mit seinem eleganten, klaren Bariton als Haushofmeister Pankratius. Alle Positionen waren aus dem Trierer Ensemble besetzt.

Es war insgesamt ein unterhaltsamer Abend mit nur mäßigem Publikumszuspruch, aber sehr freundlichem Beifall. Es gibt noch sieben weitere Aufführungen bis zum 18. Mai.2014.

Manfred Langer, 29.0.2014
Fotos: Marco Piecuch