Trier: „Rigoletto“

Ein Gesellschaftsbild zwischen Penthouse und Tiefgarage

Das dem Rigoletto-Libretto von Francesco Maria Piave zugrunde liegende Theaterstück „Le roi s’amuse“ von Victor Hugo löste bei seiner Uraufführung 1832 in Paris einen Theaterskandal aus; zu heikel und drastisch war das Gemisch: ein König als Wüstling und Bordellbesucher; eine nutzlose „gehobene Gesellschaft“ ein buckliger Narr, Prostitution und Schwerkriminalität. Da ging es nicht nur um die Figuren, sondern auch um Gesellschaftskritik. Das Theaterstück verschwand für 50 Jahre von der Bühne. Indessen hatten sich aber Piave und Verdi des Stoffs angenommen. Aus politisch-diplomatischen Gründen verbot die Zensur in Venedig jeglichen Bezug des Stoffs zu Frankreich und seinem König, weshalb die Fantasiefigur des Herzogs von Mantua entstand. Die Oper sollte erst „La Maledizione“ heißen; als Rigoletto im Teatro la Fenice 1851 uraufgeführt, wurde sie als erste von Verdis trilogia populare der bekannte Welterfolg.

Luis Lay, Svetislav Stojanovic, Opernchor des Theater Trier, Statisterie

Herzöge, Hofnarren und Bravos gibt es der früheren Form zwar nicht mehr, aber der Stoff lässt sich mit seinen drastischen Zutaten fast 1:1 in die Gegenwart übertragen, die um nichts schmeichelhafter ist, sondern eher noch brutaler als ein historisches Tableau. Der Regisseur Bruno-Berger-Gorski, der inzwischen seinen fünften Rigoletto vorstellt, tut das in Trier mit drastischen Mitteln bis hin zur Brutalität, wobei er aber die Grenzen des „guten Geschmacks“ unangetastet lässt. Für sein gesellschaftliches Dreischichten-Modell hat ihm der Bühnenbildner Thomas Dörfler, Ausstattungsleiter am Pfalztheater Kaiserslautern, einen Architekturkomplex der Gegenwart errichtet, der im Verlauf von oben nach unten ergründet wird. Oben befindet sich das Attikageschoss mit Dachterrasse. Hier feiert der „Herzog“ mit seinen Speichelleckern eine Bunga-Bunga-Party. Außer dem Herzog in weißem Anzug sind alle in bizarre schwarze Fantasiekostüme mit viel Durchblick auf nackte Haut gekleidet (Kostüme: Gera Graf). Ihrem Gastgeber zuliebe mobben sie „diese oder jene“ und werden alle von Rigoletto gemobbt (mit Narrenkappe und rotem Mantel über grauem Unterhemd und Schlabberhose mit Hosenträgern) Es wird ganz klar: von dieser ausgelassen-dekadenten Feiergesellschaft hat noch nie jemand mit Kopf- oder Handarbeit ehrlich an der Steigerung des Bruttosozialprodukts gearbeitet. Die jugendlich-jungenhafte Erscheinung des „Herzogs“ legt nahe, dass er verzogenes Kind ist; schon in jungen Jahren scheint er sich aber trotz Dauerfete zu langweilen.

Jacek Strauch (Rigoletto), Pawel Czekala (Sparafucile)

Praktischerweise in der Etage darunter lebt Rigoletto; im Treppenhaus begegnet er schicksalhaft Sparafucile: langes blondes Haar mit zum Pferdeschwanz gebunden, Springerstiefel, Sonnenbrille (auch im dunklen Flur). Sparfucile ist ein eingewanderter Mörder aus „Burgund“. Rigoletto erweist sich ebenfalls als Migrant: türkischer Muslim, der seine Tochter in seine heruntergekommene Wohnung eingesperrt hat. Hier darf sie vor dem Altar mit Bild der Mutter und roten Rosen ihren Gedanken nach Freiheit und Information nachhängen. „Lasst mich erfahren, wer meine Mutter ist.“ Im dritten Akt schließlich geht es in die unterste Etage der Gesellschaft: Straßenstrich in der Hofeinfahrt zwischen Müllcontainern. Äußerst brutal, bis zur Vergewaltigung springt hier Sparafucile mit seiner Schwester Maddalena um. In Projektion auf den Bühnenprospekt ziehen Gewitter und Starkregen auf, stroboskopisch beleuchten Blitze die Szene. Der „Herzog“ geht nicht nach Hause, sondern beobachtet die Szene bis zum traurigen Ende Gildas. Er ist tief betroffen. Hier setzt die Regie eine Art Erlösungsidee ein: „Colei sì pura, al cui modesto sguardo quasi spinto a virtù talor mi credo!“ (Sie, so rein, bei deren sittsamen Worten ich mich manchmal beinahe zur Tugend bewegt fühle!“) singt der Herzog zu Beginn des zweiten Akts. Aber eben nur beinahe! Hätte er durch Gilda auf den Weg der Tugend zurückgeführt werden können, oder hat Gilda durch ihr Opfer den Herzog gar erlöst? Aber sein zynisches „La donna è mobile“ intoniert der Herzog immerhin drei Mal! Dem Herzog auch nachdenkliche Züge zu verleihen, ist ein wichtiger Zug der Personenzeichnung, vom Regisseur schon in seiner Bonner Inszenierung von 2009 vorgenommen. Mit Gilda, deren Emanzipations- und Liebesversuch scheitert, bildet er so ein tragisches Opernpaar. Rigoletto und Sparafucile sind (aus unterschiedlichen Motiven) als Schurken ihre Gegenspieler. Maddalena ist ein weiteres Opfer. Wenn der Verdacht besteht, sie wolle nicht, dann wird sie mit Drogen gefügig gemacht – oder einfach „nur“ geschlagen. In einer solchen Konstellation braucht Rigoletto keinen Buckel. Gekonnte Personenregie und Chorführung mit viel individueller Bewegung runden das Bild einer durchwegs gelungenen Inszenierung ab, die wohl drastisch ist, aber nie provoziert und durchaus auch ganz klassische Bilder der Oper vermittelt.

Jennifer Riedel (Gilda)

Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter der Leitung des GMD Victor Puhl ließ nach wenigen anfänglichen Unsicherheiten nichts mehr anbrennen. Die Ballmusik zur Party im ersten Akt wurde teilweise eingespielt: die Reichen und Unnützen haben kein Orchester, sondern lassen sich aus der Konserve bedienen. Puhl führte das Orchester mit einer steten Steigerung von Ausdruckskraft und Emotionalität. Generische und gefällige Klänge wichen mehr und mehr Schärfungen und bis zum Schroffen führende Härten im dritten Akt. Da waren Regie und Musik gut abgestimmt. Angela Händel hatte Chor und Extrachor gut vorbereitet, dem es trotz seiner Bewegungsfreudigkeit nicht an Präzision gebrach.

Kristina Stanek (Maddalena)

Die Rolle des Herzogs sang Svetislav Stojanovic. Sein gut ansprechender Tenor gefiel mit weichem Schmelz in der Mittellage, zeigte aber an diesem Abend in den hohen Lagen Enge und Schwankungen sowie Intonationsprobleme, die ihn in dieser Rolle überfordert erscheinen ließen. Damit ist aber auch schon die einzige Schwäche des Abends genannt. Denn die stimmliche Qualität der anderen Rollen hätte selbst einem größeren Theater zur Ehre gereicht. In der Titelrolle begeisterte der mächtige Bariton von Jacek Strauch, einem bewährten Fahrensmann an vielen, auch großen Häusern. Seiner despotischen Rolle und seinem mächtigen Körperbau entsprechend hielt er sich mit Weinerlichkeiten nicht auf, sondern dominerte klanglich mit dunkel drohendem Stimmfundament bis in die hintersten Winkel des Opernhauses. In seiner Tochter Gilda fand sich in Jennifer Riedel ein feinsinniger Gegenpart. Ihr schlanker lyrischer Koloratursopran von sauberer Linienführung und bestechender Klarheit ließ sie in dieser Rolle überzeugen. Pawel Czekala mit bis in die Tiefe samtenem und rundem Bass gewann als Sparafucile. Eine Offenbarung war Kristina Stanek als Maddalena, die ihre bildhübsche Bühnenerscheinung mit ihrem klaren warm timbrierten Mezzo noch in den Schatten stellt. Auch in den vielen Nebenrollen hörte man ansprechende Stimmen und sah große Spielfreudigkeit.

Jacek Strauch (Rigoletto), Jennifer Riedel (Gilda)

Auf dem großen Parkplatz am Trierer Theater war kaum ein Parkplatz zu finden. Wo waren all die Leute? Leider nicht im Theater, denn das war vielleicht gerade zu einem Drittel gefüllt. Liebe Treverer, den besten Dienst, den Sie Ihrem Theater erweisen können, heißt hingehen; das ist viel wirkungsvoller als sich auf Listen einzutragen, was als Protest gegen erneute Spardiktate (von Leuten die sonst nicht sparen können) allerdings auch wichtig ist (siehe nächster Beitrag unten!). Rauschender Beifall von denen, die da waren, belohnte die Mitwirkenden. Weitere Vorstellungen von Rigoletto kommen am 6., 27. Oktober, 17., 24., 26. November, 15., 26. Dezember, 10. Januar, 1. und 21. Februar.

Manfred Langer, 03.10.13
Fotos: Marco Piecuch

Doppelabend