Augsburg: „Der König Kandaules“

Zum Dritten

Premiere: 27.9. 2015. Besuchte Aufführung: 25.10. 2015

Kraftvolle Figuren in einem starken Drama

Zwei Tage nach dem Macbeth, der beim Opernfreund – rein stimmlich betrachtet – eher gemischte Gefühle hinterließ, stand der König Kandaules unter einem weit besseren Stern. Nun wurde auch klar, dass es auch räumliche Gründe waren, die dafür sorgten, dass Sally du Randt als Lady Macbeth weniger dominierte, als es eine Lady Macbeth ansonsten zu tun pflegt: vom rein Sexuellen mal abgesehen.

Sally du Randt ersingt sich nämlich als Nyssia, die Frau des König Kandaules, einen enormen Erfolg. Nun dringt sie sogar (meist) durch die Klangmassen durch, die ihr gelegentlich das Zemlinskysche Orchester entgegenschleudert (die Augsburger Philharmoniker unter Lancelot Fuhry tun ihr Bestes, um Zemlinskys Oper samt Antony Beaumonts Instrumentation elegant und kraftvoll aus dem Orchestergraben zu deuten: zwischen den reizendsten Fin-de-siécle-Glitzereien und gleichsam antikischer Wucht). Nun liegt ihre Stimme sicher auf den Höhen; das Drama der Königin, der vom Gemahl der Fischer Gyges ins Bett gelegt wird, und die daraufhin eben diesen Gemahl vom neuen Geliebten stracks töten lässt – dieses Drama findet in der Augsburger Aufführung seine Höhepunkte in den Solisten der drei Hauptpartien. Sie findet Gipfelpunkte (man höre nur das „tragische“ Vorspiel zum dritten Aufzug) im faszinierenden Orchesterpart: einer Wiener Mischung aus dem Schönberg der Gurre-Lieder, einem deutlichen Schuss Korngold, einer Prise Schreker – und einem unnachahmlichen Bodensatz Zemlinsky. Und es findet seine totale Steigerung im zweiten Teil: dank des zugeschnürten Konflikts, dank der Solisten.

Mathias Schulz ist ein glänzender König: hysterisch, lyrisch, selbstgefällig, selbstmitleidig, dominant, vor allem aber: stimmschön noch im Ton eines Kraftkerls, dessen Präpotenz nur behauptet wird. Großartig, wie er die Festgesänge des ersten und die Zerstörungsmonologe des letzten Akts auskostet. Wenn diese Oper, die nach 20 Jahren (die posthume Uraufführung der komplettierten Oper fand 1996 in Hamburg statt) erst zum vierten oder fünften Mal inszeniert wurde, auf den Bühnen eine Chance hat, dann nur dank Sängern wie Mathias Schulz.

Gyges ist mit dem Bassbariton Oliver Zwarg ebenso glänzend besetzt: vom Prolog an, den er allein macht, bis zur Enthüllung – die Enthüllung eines Mannes, der der Königin die schönste Liebesnacht ihres Lebens verschaffte, weil der eigene Mann vor lauter Ästhetizismus und Nihilismus längst nicht mehr in der Lage ist, die Schönheit mit einem nichtdekadenten Sinn für die gesunde Wollust zu genießen. Zwarg spielt gleichermassen einen Kraftkerl: aber einen ernsthaft Wütenden, dessen Fundamentalismus es nicht zulässt, dass die Ehefrau es mit einem der Hofleute nächtens in der Küche treibt. Eine dramatisch packende Figur: keine, die zur Identifikation auffordern würde (das tut keine der Figuren dieses Zemlinskyschen Spätwerks aus dem Geist des Andre Gideschen Symbolismus) – aber eine, die den Zuschauer und –hörer zusehends interessiert. Sie lässt vergessen, dass die Kostümierung der höfischen Nassauer, die sich als 7 Zwerge auszugeben haben, schon schnell den Opernfreund anödet. Wie gesagt: erst mit der doppelten Verführung: der Verführung des Fischers durch den König und der Verführung der Königin durch den Fischer, gewinnt das Drama an jener Fahrt, die auch uns heute noch zu interessieren vermag.

Bleiben die Vertreter des Hofs, unter denen Giulio Alvise Caselli (als Phedros) und Joel Annmo vertretungsweise genannt werden müssen. „Bella Figura“, so hieß vor Kurzem eine Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum, die den Münchner und Augsburger Bronzeplastiken der Renaissance und des Barock gewidmet wurde. Als Zwerge machen die seltsamen Figuren in der Inszenierung Sören Schuhmachers, die nach deutlich sichtbaren Ideen Lorenzo Fioronis (der nach kurzer Probenzeit aus Gesundheitsgründen die Arbeit abbrechen musste) entstand, keine schönen, sondern bewusst lächerliche Figuren. Als Sänger repräsentieren sie den guten Querschnitt durch ein Ensemble, dass massive Brocken wie den Kandaules schadlos und relativ souverän aufführen kann. Der Beifall für dieses anspruchsvolle Werk und dessen Interpretation war denn auch einhellig: einhellig jubelnd.

Frank Piontek, 26.10. 2015

Bilder bei den Erstbesprechungen siehe weiter unten !