Frankfurt: „Francesca da Rimini“, Saverio Mercadante

Es ist schon erstaunlich: Da gibt es einen Komponisten, Saverio Mercadante heißt der Mann, der Musik von allergrößter Schönheit und knapp 60 Opern komponiert hat, in der Nachfolge Rossinis den Operngesang sachte reformierte, Wegbereiter des jungen Verdi und Impulsgeber für seine Zeitgenossen Donizetti und Bellini war – und trotzdem ist er heute nur noch Kennern ein Begriff, seine Werke tauchen kaum mehr auf den Spielplänen auf. Die Oper Frankfurt unternimmt mit der Premiere der langen Zeit im Archiv schlummernden Oper nun einen erfreulichen Anlauf, dies zu ändern und Mercadante ins Bewusstsein der Opernliebhaber zurückzuholen. Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit den Tiroler Festspielen Erl und erlebte im Dezember 2022 dort ihre österreichische Erstaufführung. Gestern Abend nun erfolgte die vom Premierenpublikum mit viel Zustimmung und begeistertem Applaus aufgenommene deutsche Erstaufführung an der Oper Frankfurt.

(c) Barbara Aumüller

Man muss sich allerdings auf die traumhaft schöne Musik einlassen wollen, denn die Melodien sind noch in längere Bögen verpackt als bei Bellini. Giuseppe Verdi erwähnte Bellinis „melodie lunghe, lunghe“. Dazu kommt, dass der vielbeschäftigte Librettist Felice Romani ein Libretto verfasst hatte, das eher ein psychologisches Kammerspiel als große Oper ist, viele differenzierte Innenansichten in die seelischen Befindlichkeiten der drei Hauptpersonen beinhaltet, aber wenig Handlung. Trotzdem weist die zweiaktige Oper eine reine Spielzeit von gut drei Stunden auf und erfordert so eine große Konzentrationsanstrengung seitens des Publikums. Hier liegt ein wenig die Krux dieser Koproduktion in der Regie von Hans Walter Richter: Die Dimensionen der Bühne und das Bühnenbild sind schlicht zu groß für das eigentlich sehr intime Werk. Richter hat sich in seiner Arbeit zwar zu Recht auf die Fokussierung auf die Protagonisten beschränkt, eine stimmige, poetische Verdoppelung der drei Hauptpersonen eingeführt, welche eine sich von der Realität entfernende und in eine ideale Traumwelt der Harmonie abgleitende Alternativversion der tragischen Handlung als Parallelaktion vollziehen. Allein, vieles verliert sich in dem großen, von Johannes Leiacker gestalteten, symbolbeladenen Raum. Gigantische weiße Wände erlauben Schattenwürfe und Projektionen, können sich öffnen und den Blick auf eine verfallene Abtei freigeben. Dieser Teil des Bühnenbildes ist angelehnt an Caspar David Friedrichs romantisches Gemälde „Abtei im Eichwald“, mit welchem der Maler das Geheimnis des Grabes und der Zukunft in einer Schneelandschaft ergründen wollte.

Auch in der Inszenierung setzt über der Landschaft mit der gotischen Kirchenruine dann prompt Schneefall ein. Ein Bild, das Nähe am Romantikkitsch vorbeischrammt. Zu erleben ist u.a. eine Bücherverbrennung durch Lanciottos Vertrauten Guelfo. Tenor Brian Michael Moore hat leider wenig zu singen, aber ist auf kämpferisch aufbrausend Art ein sehr präsenter Diener seines Herrn, allerdings verbrennt er anscheinend nicht nur die gemeinsam Lektüre von Francesca und, sondern scheint die gesamte Bibliothek in Brand gesetzt zu haben, wenn man die immensen Rauchschwaden, die da durch die Öffnung in der Wand dringen, richtig deutet. Immer wieder besteigen die Protagonisten, wenn sie einen ganz besonderen Erregungszustand unterstreichen wollen, einen Felsbrocken mitten im Schlafzimmer, es wird viel mit dem Schwert herumgefuchtelt und das Ehebett des unglücklichen Paares Francesca-Lanciotto ist verständlicherweise ein zentraler Handlungsort. Zentrale Bedeutung als Symbol für die Unterdrückung und Unterwerfung Francescas scheint auch ein roter Mantel zu haben (wohl zu Repräsentationszwecken), in den Francesca immer wieder wie in eine Zwangsjacke gezwungen wird. Die Kostüme im Stil der Entstehungszeit hat Raphaela Rose entworfen. Vieles ist sehr gut und stimmig gemacht, die Integration des mehrheitlich kommentieren Chors allerdings gerät manchmal zu einer etwas unbeholfen wirkenden Angelegenheit. Kraftvoll und energiegeladen singt der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt.

(c) Barbara Aumüller

Die drei Hauptpartien sind musikalisch ausgesprochen anspruchsvoll, haben sie doch je zwei große Einzelszenen mit Cavatine und bravouröser Cabaletta zu meistern, dazu ausladende Duette, Terzette und ein effektvolles Finale im ersten Akt. Jessica Pratt in der Titelpartie der Francesca ist eine Wucht, scheut keine Attacke, erreicht mühelos effektvolle Spitzentöne, schummelt nie bei Acuti, vermag aber auch den berührenden Seelenzuständen den der unglücklich verheirateten und am Rande des Wahnsinns dahinwelkenden Frau intensiven Ausdruck zu verleihen. Die Schuldfrage der Francesca am Ehebruch und den daraus folgenden Toten wurde oft thematisiert und diskutiert. Die Oper und die Inszenierung lassen an der Unschuld Francescas keine Zweifel: Auslöser waren die Männer, die sie im Glauben ließen, sie heirate den gutaussehenden Paolo, ihr tatsächlich aber dessen entstellten Bruder unterschoben.

Beachtliche Stimmakrobatik erfordert die Partie dieses Ehemannes Lanciotto: Theo Lebow beeindruckt mit stilsicherer Gestaltung als an Rossini geschulter „tenore di grazia“, versprüht Feuerwerke an atemberaubenden Koloraturen mit heller Stimme in den höchsten Lagen. In Mercadantes/Romanis Roman-Version des Stoffes ist die Rolle nicht so von Grund auf böse und hässlich angelegt wie bei Zandonais späterer und berühmterer Vertonung, die auf dem Roman Gabriele D’Annunzios beruht. Theo Lebow zeigt auch die sympathische, menschlich verständliche Seite dieses Mannes, der erst durch den offensichtlichen Ehebruch Francescas zum rasenden, vergewaltigenden Rächer und doppelt Betrogenen wird. Denn ausgerechnet sein Bruder, der schöne Paolo entpuppt sich als Liebhaber Francescas. Mercadante hat die Rolle des Paolo als Hosenrolle konzipiert. Die junge Mezzosopranistin Kelsey Lauritano ersang sich gestern Abend einen gewaltigen Erfolg mit ihrem jugendlich feurig funkelnden Timbre, dem balsamisch gestalteten Schmachten und der stürmischen Emphase des jungen Liebhabers. Die Duette mit Jessica Pratt waren von exquisiter Schönheit in der Verschmelzung der beiden Frauenstimmen.

(c) Barbara Aumüller

Der dritte manipulative Mann der Geschichte ist der Vater Francescas, Guido. Er hatte um des Friedens willen zwischen Rimini und Ravenna seine Tochter mit Lanciotto verheiratet. Erik van Heyningen verleiht ihm mit seinem geschmeidigen und – gerade im wunderschönen Terzett des ersten Aktes – die Ensembles bereichernden baritonalen Wohlklang das notwendige Gewicht. Die Dienerin Isaura wird von Karolina Bengtsson mit beachtlichem Profil interpretiert, ihr „tu piangi?“ war zutiefst erschütternd!

Unter der behutsam die Musik Mercadantes ausleuchtenden Leitung von Ramón Tebar ließ das Opern- und Museumsorchester Frankfurt wunderschöne solistische Passagen aufblitzen und mit den Stimmen auf der Bühne verschmelzen. Man kann nur hoffen, dass sich weitere Opernhäuser nun auf die Suche nach aufführungswürdigen Werken des einst so geachteten Saverio Mercadante machen werden. Der Komponist hätte es mehr als verdient!

Kaspar Sannemann, 28. Februar 2023


Francesca da Rimini
Saverio Mercadante

Oper Frankfurt

26. Februar 2023
Premiere Dezember 2022 in Erl

Regie: Hans Walter Richter
Ramón Tebar, Dirigat
Opern- und Museumsorchester Frankfurt